Die Geschichte ihrer Beziehung begann für die Reporterin Juliet Macur im Herbst 2006. Da brachte sie zwei ehemalige Mannschaftskollegen von Lance Armstrong dazu, endlich ihr schlechtes Gewissen zu entlasten und die Wahrheit zuzugeben. Sie hatten EPO genommen, um im US Postal Team mithalten zu können.
"Sein Anwalt drohte, mich zu verklagen, wenn ich noch mal über Lance schreibe. Aber dann rief mich Lance plötzlich an. Das war seltsam. Ich bin schon lange in dem Beruf, aber mich hat noch nie jemand, der so mächtig und so berühmt ist, einfach angerufen, um mich kennenzulernen und um mit mir zu plaudern. Ich habe seine Art von Charme schon früh kennengelernt.”
Man sah sich danach noch häufiger. So etwa bei der improvisierten Pressekonferenz am Bus bei der Tour de France 2010, nachdem die Anschuldigungen von Floyd Landis bekannt geworden waren.
“Why do you think he pinpointed you and Johan?”
“Juliet, he didn’t. He pinpointed a lot of people.”
Es war das alte Spiel. Armstrongs Taktik blieb es, alles abzustreiten. Und obendrein die Motive all jener zu attackieren, die Stück für Stück mit der Wahrheit rausrückten. Juliet Macur, blieb dran, deckte weiter auf und fühlte sich gleichzeitig auf eine seltsame Weise vom Texaner umgarnt. So wie ein PR-Experte, sagt sie, der sie und ihre Zeitung, die einflussreiche New York Times, auf seine Seite ziehen wollte. So wie bei der letzten Begegung vor einem Jahr in Austin, Monate nach seinem Geständnis in einer amerikanischen Talk-Show. “Ja, prima, komm vorbei”, sagte er ihr und betonte bei der Gelegenheit noch einmal, dass es darum gehe, dass sie “die wahre Geschichte” schreibt.
Diese Geschichte gibt es nun. In einem Buch mit dem Titel “Cycle of Lies - the Downfall of Lance Armstrong”. 480 Seiten. Und sie enthält diesen sehr privaten Moment, als sie in der Villa ankommt, wo sie von Max, dem jüngsten Sohn des einstigen Radsportidols begrüßt wird. Und Armstrong ihn auffordert:
“Say hi to Juliet, Max”, Armstrong says.
“Hi, Juliet”, Max says.
Then returns to his dad and asks for ice cream. A request that makes his father giggle, something I have never seen him do before.”
Ein Moment, der Armstrong zum Kichern bringt. “Das habe ich bis dahin noch nie gesehen”, schreibt Macur.
“Ich wollte zuerst kein Buch über Armstrong schreiben. Aber dann wollte ich doch wissen, was für ein Mensch ist das eigentlich? Der hat jahrelang gelogen. Live im Fernsehen. Unter Eid. Wie kam es, dass er es mit seinen Lügen so leicht hatte?”
Wie? Das beschreibt sie nun, Und es ist so entlarvend und so unvorteilhaft für die Hauptfigur wie keine andere ausführliche Darstellung bisher – sei es in Buchform oder als Dokumentarfilm.
Juliet Macur fand die entscheidenden Antworten für ihr Psychogramm eines professionellen Lügners nicht in Gesprächen mit Armstrong, sondern in Interviews mit alten Weggefährten. Darunter solchen, die ihm von Anfang an geholfen hatten zu dopen. Besonders erhellend war, was sie am Ende einer hartnäckigen Recherche zu hören bekam, als sie tagelang den Tonbandaufzeichnungen eines Toten lauschte. Die Stimme aus dem Grab gehörte J. T. Neal. Der war in der Frühphase von Armstrongs Karriere so etwas wie eine Vaterfigur gewesen. Niemand war ihm so nahe. Ein Mentor und Manager und jemand, der für ihn während der Krebsbehandlung da war. Er ist 2002 selbst an Krebs gestorben.
“Das war wahrscheinlich das Faszinierendste, was ich je als Journalist getan habe. Stundenlang, tagelang einem Verstorbenen zuhören, der Geschichten über Lance Armstrong erzählt.”
Große Enthüllungen und kleine wie die über Armstrongs Postkarte aus dem badischen Bischoffingen 1991, als der junge Radfahrer während eines Trainingsaufenthalts schrieb: “Deutschland ist sehr nett. Wie du weißt, ist es nur noch etwas mehr als eine Woche bis zur WM. Ich bin höllisch nervös.”
Irgendwann allerdings war er ganz und gar nicht mehr nervös, sondern kaltschnäuzig geworden und Meister von Machtpolitik der Marke “Machiavelli”. Dass die halbe Welt auf so einen reinfallen konnte, hat etwas mit dem kommerziellen Sport zu tun, der Hierarchien schafft und Abhängigkeiten, gekoppelt mit verführerisch großen finanziellen Versprechen. Ein System, in dem es nette Menschen von nebenan so gut wie nie nach oben schaffen.
“Hätten sie nur einmal mit Lance Armstrong geredet, hätten sie herausgefunden, dass er nicht nett ist. Dass er es nicht mag, wenn man ihm umarmt, dass ihn Krebskranke berühren wollen, weil sie so etwas inspiriert. Er wollte nichts mit Leuten zu tun haben. Das wussten, die ihn liebten und seine Plastik-Armbänder trugen nicht. Falls doch, die Geschichte wäre ganz anders gelaufen.”