Es surren wieder Räder. Unter denen, die hier beim Tirreno Adriatico surren, befinden sich auch Schweizer Fabrikate. Gleich zwei Schweizer Teams haben Wild Cards für das Rennen erhalten. Ein wichtiger Schritt auf ihrem Weg, auf je eigene Art den Radsport zu verändern.
Eines ist Team Tudor, Hauptsponsor eine Luxusuhrenmarke. Das gilt auch für Q36.5, dem zweiten Rennstall. Hier ist es mit Breitling ebenfalls eine Uhrenfirma.
„Es ist schön, dass solche Qualitätsmarken zurück in den Radsport kommen und dass sie in Verbindung gebracht werden wollen mit Freiluftsport und Freilufterlebnissen und dem Geist dieses Sports. Hoffen wir, dass viele mehr kommen", freut sich Doug Ryder, der Teamchef von Q36.5. Er sieht darin sogar Anzeichen für eine ganz neue Entwicklung des Radsports. Denn wegen der vielen Dopinggeschichten in der Vergangenheit scheuten viele Unternehmen den Weg ins Radsportsponsoring. Jetzt scheint sich das Blatt zu wenden.
"Anbruch einer neuen Zeit im Radsport"
„Ich denke, es ist wirklich der Anbruch einer neuen Zeit im Radsport. Es ist Vertrauen da. Und der Sport selbst ist unglaublich dynamisch, er verändert sich schnell und ist einfach aufregend anzuschauen.“
Ryders Team kommt in diesem sich erneuernden Radsport besondere Bedeutung zu. Er leitete lange den Rennstall Qhubeka. Der arbeitet mit der gleichnamigen Stiftung zusammen, die Kindern in Südafrika Räder schenkt und ihnen so den Weg zur Schule und zu größerer Selbstständigkeit allgemein erleichtert. Jetzt gehe es vor allem um das Motto „Für die Zukunft fahren“, so Ryder:
„‘Race the Future‘ bedeutet, dass wir als Team nachhaltiger und grüner auftreten und die richtigen Dinge für unseren Planeten tun wollen. Wir wollen Menschen und Mobilität in Südafrika und ganz Afrika unterstützen. Und wir geben Radfahrern aus Afrika weiterhin Unterstützung durch unser Development Team in Lucca in der Toskana. Dort haben wir U23-Fahrer aus Äthiopien, Eritrea, Algerien und Südafrika.“
Solarpaneele auf dem Teambus und keine Kurzstreckenflüge
Zu den ersten wirksamen Klimaengagements des Teams gehören Solarpaneele auf dem Teambus und die Selbstverpflichtung, Distanzen unterhalb von 90 Flugminuten mit alternativen Transportmitteln zu überwinden und eben nicht zu fliegen.
Auch das andere Schweizer Team hat einen besonderen Ansatz. Es will langsam wachsen und vor allem Schweizer Talente entwickeln. Spritus rector ist Fabian Cancellara, der frühere Zeitfahrweltmeister und Klassikerspezialist aus Bern. Er sieht sich jetzt als Architekt:
„Wir bauen ein Haus. Und wenn man ein Haus baut, dann fängt man unten an und da ist viel zu lernen. Es geht Stein um Stein, ja, und dann Fenster und Türen und alles, was man braucht.“
Für Siege reicht es bei Tudor noch nicht
Ist das Gebäude fertig, soll es reif für die World Tour sein, die höchste Radsportklasse. Davon ist jedenfalls Roland Thalmann überzeugt. Er ist mit 29 Jahren einer der älteren Profis im Team und beschreibt die Perspektive des Rennstalls so:
„Jetzt mal ins Profifeld einsteigen. Man denkt natürlich immer größer und hofft auf mehr. Aber das ist ein Prozess und wir schauen jetzt, dass wir Schritt für Schritt. Unsere Erfolge müssen dann auch irgendwann mal kommen.“
Mit den Erfolgen ist das aber noch so eine Sache. Fahrer von Tudor und Q36.5 sind beim Tirreno vor allem in Fluchtgruppen zu sehen. Für Siege reichte es in dieser Saison bei Tudor überhaupt noch nicht.
Für Team Q36.5 gewann immerhin der Italiener Matteo Moschetti eine der Mallorca Challenges. Moschetti, fünf Jahre lang beim World Tour-Team Trek Segafredo beschäftigt, sieht die Infrastruktur seines neuen Arbeitgebers auf vergleichbar gutem Niveau. Woran es noch etwas hapert, ist der Respekt im Peloton, meint der Italiener.
„Das braucht sicher etwas Zeit. Aber mit den Resultaten und auch unserem Auftreten im Peloton, wenn wir vorne fahren, werden wir unseren Raum bekommen und auch respektiert werden.“
Hoffnung auf wirklichen Neubeginn?
Es ist ein Wachstumsprozess auf vielen Ebenen. Cancellaras Tudor-Team, das aus der Mannschaft des Radsportverbands Swiss Cycling heraus entstanden ist, will vor allem den heimischen Radsportstandort stärken.
„Ich denke, wir haben zwei WorldTour-Rennen in der Schweiz, wir haben einen starken Schweizer Verband, wir haben eine Vergangenheit mit großen Rennfahrern. Und wenn ich meinen Teil dazu beitragen kann, auch in der Schweiz das weiterzubringen, dann bin ich super happy. Vielleicht ist eines Tages ein kleiner Junge mit seinem Papa an einem Rennen und sagt: ‚Ich will eines Tages bei diesem Team sein.‘ Wär doch was, oder?“
Nach langen Jahren, in denen neue Teams vor allem von Staaten finanziert wurden, die mit dem Radsport ihr Image verbessern und von Menschenrechtsverletzungen und anderen großen Problemen ablenken wollten, drängen jetzt Player mit neuen Zielen ins Peloton. Mancher einer hofft auf einen wirklichen Beginn einer neuen Ära.