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Radsport
Selbstmord, Mord oder Räuberpistole?

Italiens Radsport-Welt ist elektrisiert: Gleich zwei neue Ermittlungsverfahren sollen Licht in den Tod und die letzten Lebensjahre Marco Pantanis bringen. Dabei vermischen sich berechtigte Zweifel über die ursprünglichen Ermittlungsergebnisse mit echten Räuberpistolen.

Von Tom Mustroph |
    Der italienische Radprofi im Jahrf 2000 nach der 12. Etappe der Tour de France.
    Der italienische Radprofi Marco Pantani wurde im Februar 2004 tot in einem Hotelzimmer in Rimini aufgefunden. (afp / Pascal George)
    Im Todesort Rimini untersucht die Staatsanwaltschaft die unmittelbaren Umstände von Marco Pantanis Ableben. Die Staatsanwaltschaft Forli wiederum geht den Gerüchten über eine Manipulation der Dopingprobe Pantanis beim Giro 1999 nach, die seinen Ausschluss wegen eines erhöhten Hämatokritwerts zur Folge hatte. Sollten sich diese Gerüchte bestätigen, will Ivan Gotti, der Sieger in Pantanis Abwesenheit, sein Rosa Trikot zurückgeben.
    "Rimini ist wiedereröffnet worden, weil die Familie Pantanis neue Beweismittel eingebracht hat. Darunter sind Zeugenaussagen und auch ein medizinisches Gutachten. Das kam zu einem anderen Schluss als das Gutachten 2004. Viele Zweifel sind jetzt geweckt, viele Fragen offen, was wirklich passiert ist. Und es gibt die Hypothese, dass er ermordet wurde."
    Das erzählt Francesco Ceniti. Er hat sich bei der "Gazzetta dello Sport" auf den Kriminalfall Pantani spezialisiert. Der sorgt für großes Leserinteresse - und auch für die unterschwellige Hoffnung, dass aus einem Dopingsünder ein Opfer, ja einen tragischer Held erwachse.
    "Das Verfahren könnte Marco Pantani nachträglich Würde zurückgeben. Es ist eine Sache, wenn man wie 2004 behauptet, er sei gestorben, weil er 20 Gramm Kokain gegessen habe. Das ist eine unglaubliche Menge. Eine andere Sache ist aber zu sagen: Es hat jemand nachgeholfen."
    Dass die Staatsanwaltschaft Rimini das Verfahren überhaupt neu eröffnet hat, ist für Ceniti Zeichen für die Stichhaltigkeit der Zweifel. Aber wer sollte ein Interesse am Tod des Radstars gehabt haben?
    "Er war unbequem, vor allem für die Dealer. Er war ein schwieriger, aber auch ein reicher Klient. Der Drogenmarkt von Rimini war ein Millionenmarkt, besonders im Sommer. Und dieser Markt wollte keine Aufmerksamkeit. Pantanis Anwesenheit führte zu Problemen. Pantanis Mutter hat mehrfach gesagt, dass sie die Dealer kannte. Und sie drohte, sie anzuzeigen."
    Reicht dies für Mord aus? Hier kommt die zweite Ermittlung ins Spiel. Die Staatsanwaltschaft Forli untersucht die Vorgänge, die zum Ausschluss Pantanis beim Giro d'Italia 1999 in Madonna di Campiglio führten.
    "Laut der Staatsanwaltschaft Forli könnte hinter Campiglio die organisierte Kriminalität stecken. Und die hat keine großen Probleme, jemanden umzubringen. Das machen sie jeden Tag. Und weil es sich um eine bedeutende Persönlichkeit handelt, versucht sie das zu vertuschen. Sie schießt nicht in den Kopf, sondern versucht, es zu verbergen und profitiert dabei von dem Fakt, dass Pantani Kokain brauchte."
    Die Staatsanwaltschaft Forli hält demnach eine bizarre Räuberpistole für glaubhaft. Renato Vallanzasca, ein landesweit bekannter Straßenräuber, erzählte, dass illegale Buchmacher Pantani um den Giro-Sieg im Jahre 1999 gebracht hatten. Ihm war von einem Mitgefangenen ein todsicherer Gewinn mit einer Wette gegen Pantanis versprochen worden. 'Pantani wird Mailand nicht erreichen', hatte der Zellengenosse orakelt.
    Francesco Ceniti glaubt Vallanzasca.
    "Welches Motiv hatte Vallanzasca, von Pantani zu reden? 1999 war er im Gefängnis, zu lebenslänglich verurteilt. Er hat eine Geschichte erzählt, ich denke, sie ist eher glaubwürdig als unglaubwürdig. Er redet von illegalen Wetten. Und weil ich zu diesem Thema auch gearbeitet habe, weiß ich, dass die, die sich mit illegalen Wetten beschäftigen, zu allem bereit sind. Sie verändern Resultate, manipulieren Spiele, und können auch eine Dopingprobe beeinflussen."
    Ceniti hat seine journalistischen Erfahrungen tatsächlich mit den Manipulationsverfahren im italienischen Fußball gemacht. Er kennt das Syndikat aus Singapur und weiß von dessen Geldgebern. Vor anderthalb Jahrzehnten hatten auf diesem Gebiet allerdings andere das Sagen. Die Camorra beherrschte den illegalen Wettmarkt. Cenitis Schätzungen zufolge waren 1999 20 bis 30 Milliarden Lire auf den Giro gewettet, 70 bis 80% davon auf den Sieger Pantani. Hätte Pantani den Giro gewonnen, hätten die illegalen Buchmacher tatsächlich tief in die Tasche greifen müssen.
    Pech ist nur, dass ein anderer Experte recht wenig von diesen Kausalitäten hält. Filippo Beatrice ermittelt seit Jahrzehnten in der Antimafiastaatsanwaltschaft Neapels gegen die Camorra. Abgehörte Telefonate von Camorristi führten ihn im Jahre 2004 auch auf die Spur des Schiedsrichterbestechungsskandals um den früheren Juventus-Manager Luciano Moggi. Wenn sich jemand mit dem Totonero dieser Zeit auskennt, dann ist es Filippo Beatrice. Doch in seiner Ermittlerlaufbahn ist er auf keine Spur für eine Manipulation des Giro d'Italia aus Kreisen der Wettmafia gestoßen.
    "Auch ich habe von dieser Geschichte gelesen und etwas im Fernsehen gesehen. Aber als Ermittler habe ich keine Anhaltspunkte dafür. Wenn ich etwas dazu bemerken darf: Solche allgemeinen Informationen führen nirgendwo hin."
    Die ganz große Verschwörung war wohl also nicht die Ursache für den Tod von Marco Pantani. Gut möglich ist dennoch, dass er nicht freiwillig aus dem Leben schied. Jetzt muss man abwarten, was die Ermittlungen vor allem aus Rimini zutage fördern.