Es sind Bilder, die im Gedächtnis bleiben. Auf der 4. Etappe der Baskenland-Rundfahrt rast eine Gruppe von Top-Fahrern bergab, es kommt in einer Rechtskurve zu einem schweren Sturz in einen Betongraben, Krankenwagen müssen zur Erstversorgung herbeieilen. Schnell ist klar: Unter anderem für die Stars Jonas Vingegaard (Visma Lease a Bike), Sieger der Tour de France 2022 und 2023, Remco Evenepoel (Soudal Quick-Step) und Primoz Roglic (Bora-hansgrohe) ist die Rundfahrt vorbei.
Die Diagnosen: Schlüsselbeinbruch, gebrochene Rippen, eine Lungenquetschung und ein Pneumothorax bei Vingegaard. Evenepoel hütet mit einem Schlüsselbein- und Schulterblattbruch das Krankenbett. Auch Jay Vine (UAE Team Emirates), ein wichtiger Helfer von Spitzenfahrer Tadej Pogacar, trägt schwere Knochenbrüche davon.
Im Radsport flammt deshalb die Debatte um die Sicherheit der Fahrer wieder auf. Der Direktor des Klassikers Parix-Roubaix, Thierry Gouvenou, machte die Steigerung der Geschwindigkeit bei den Rennkursen gegenüber der französischen "L'Equipe" als großes Risiko aus: "Stopp, stopp, stopp, lassen Sie uns das Massaker beenden."
Sicherheitsexperte kontaktierte Baskenland-Team wegen Bedenken
Markus Lærum ist jemand, der aus Sicherheitsvorkehrungen im Radsport ein Geschäft gemacht hat. Er ist Gründer und Geschäftsführer der Radsport-Sicherheitsfirma Safe Cycling. Diese bietet verschiedene Sicherheitssysteme an, etwa Warnschilder und aufblasbare Crash-Wände.
Der Sicherheitsexperte teilt die Auffassung, die Organisatoren der Radrennen seien Schuld, nur mit Abstrichen. Im Deutschlandfunk-Interview erklärt er: "Wir können da nicht einfach den Organisatoren die Schuld geben. Das ist ein Unfall, der in diesem Sport leider passiert."
Wobei Lærum dann doch ergänzt: "Das Frustrierende war, dass es schon vor dem Rennen Bedenken gab über die Sicherheit der Abfahrten im Baskenland, schon vor Monaten. Nicht genau diese Kurve und diese Abfahrt, aber generelle Bedenken zu den Abfahrten in diesen Rennen."
Der Norweger hatte sich offenbar bemüht, diese Bedenken der Athleten vor der Baskenland-Rundfahrt an das Organisationsteam heranzutragen. Aber: "Wir haben nie eine Antwort erhalten. Und das ist nicht das erste Mal, dass das passiert ist." Dementsprechend sei der Unfall mit Vingegaard und Co. "sehr frustrierend" gewesen: "Wenn wir die Chance gehabt hätten, wäre vielleicht dort mindestens ein zusätzliches Sicherheitskissen platziert worden."
Straßenbelag als Tücke: Warnschilder könnten helfen
Ein gewisses Berufsrisiko ist zweifelsohne Bestandteil des Lebens als Radprofi. Menschliche Fahrfehler gibt es immer wieder, die Renngestaltung ist also nur einer von vielen Faktoren, die zu Unfällen führen können. Aber nach Meinung von Markus Lærum arbeiten die Organisatoren eben nicht mit genügend Sicherheitsmaßnahmen an kritischen Stellen eines Kurses.
"Was ich von den Fahrern gehört habe, war, dass es mehr ein Problem mit der Straße war, dass es Unebenheiten gab", erklärt der Sicherheitsexperte. "Klar ist es im Nachhinein einfach zu sagen: Wenn Leute das im Vorhinein gewusst hätten, hätte man vielleicht Warnhinweise platzieren können. So nach dem Motto: Hey, das sieht nach einer harmlosen Abfahrt aus, aber wegen des Straßenbelags kann trotzdem etwas passieren. Das hatten wir auch schon in der Vergangenheit, dass der Straßenbelag darüber entscheidet, wie gefährlich eine Abfahrt ist. "
Markus Lærum macht Kommunikation als Problem aus
Deshalb führt Lærum, der mit seiner Firma als eine Art Vermittler zwischen Fahrern und Organisatoren auftreten will, als Hauptproblem die seiner Ansicht nach mangelnde Kommunikation zwischen allen Parteien an. Und zieht ein Beispiel heran: "Ein Rennen in Belgien letztes Jahr: Nach einer Etappe hat sich ein Fahrer bei einem Organisator beschwert und ich habe gefragt: 'Was passiert jetzt mit dieser Info?' Und der Fahrer hat betont: 'Nein, ich weiß das ja jetzt und werde einfach nächstes Jahr an der Stelle aufpassen."
Solche Informationen möchte der norwegische Sicherheitsexperte nicht versanden lassen - sondern für alle Radsportler und Veranstalter verfügbar machen, um gefährliche Stellen in den Rennen zu identifizieren.
Knautschzonen von Safe Cycling bei Paris-Roubaix
Wie eine Zusammenarbeit laufen kann, zeigt die Kooperation der Organisatoren von Parix-Roubaix mit Lærums Firma Safe Cycling. Das Team um Renndirektor Thierry Gouvenou reagierte auf die schweren Stürze der letzten Wochen und baute eine zusätzliche Schikane vor dem gefährlichsten Teil ein – den Kopfsteinpflastern im Arenberg-Wald.
Markus Laerum erzählt: "Direkt nachdem diese Änderung veröffentlicht wurde, haben wir die Veranstalter informiert, dass wir auch aufblasbare Knautschzonen aufbauen können. Und innerhalb von ein paar Minuten haben wir vereinbart, dass wir an dieser Stelle mit einer 20 Meter langen, aufblasbaren Knautschzone stehen werden." Und die könnten schlimme Stürze wie bei der Baskenland-Rundfahrt mildern.
jti