Tadej Pogacar hat die Konkurrenz einmal mehr in den Schatten gestellt. Der Slowene, nun dreimaliger Gewinner der Tour de France, dominierte die Frankreich-Rundfahrt – auch das letzte Zeitfahren von Monaco nach Nizza, bei dem er mehr als eine Minute schneller war als sein dänischer Verfolger Jonas Vingegaard. In der Gesamtwertung distanzierte Pogacar am Ende Vingegaard und den Belgier Remco Evenepoel um mehr als sechs Minuten.
Pogacar, der vor der Tour schon den Giro d'Italia gewonnen hat, fährt in einer eigenen Liga. Das unterstrich auch der ehemalige deutsche Radprofi Marcel Kittel im Dlf-Sportgespräch: "Das war absehbar, dass er nach der letzten Woche der Tour ganz klar der Stärkere war. Er hat die Konkurrenz pulverisiert. Er ist eine Klasse besser."
Superstar Pogacar lebt auch von seinen Helfern
Kittel weiß, wovon er spricht. Der 36-Jährige war bis 2019 aktiv. Er ist deutscher Rekord-Etappensieger bei der Tour de France, in seiner Karriere gewann er 14 Etappen bei der Frankreich-Rundfahrt – darunter zweimal die "inoffizielle WM der Sprinter" auf dem Champs Élysées in Paris.
Deshalb weiß Kittel auch um die Bedeutung der starken Helfer von Pogacar. Die individuelle Klasse des Slowenen ist ein Erfolgsfaktor, die Qualität seiner Kollegen beim UAE Team Emirates aber ein weiterer. Kittel führte aus: "Pogacar hat die 'All-Time-Classics' in der Mannschaft, die auch in die Top-Ten im Gesamtklassement als Helfer mit reinfahren. Pogacar hat sich ins gemachte Nest gelegt."
Vingegaard für Kittel mehr zweiter Sieger als Verlierer
Kittel sprach allerdings auch dem Zweitplatzierten seinen Respekt aus. Vingegaard hatte sich im April bei der Baskenland-Rundfahrt schwer verletzt, trug eine Lungenquetschung und Knochenbrüche davon.
Kittel erklärte: "Das eigentliche Wunder bei dieser Tour ist für mich nicht die Dominanz von Tadej Pogacar, sondern Jonas Vingegaard, der sich in kürzester Zeit zurückgekämpft hat, um zumindest um das Podium mitzufahren." Niemand habe erwartet, "dass Vingegaard überhaupt eine Etappe gewinnt, geschweige denn die dritte Woche auf dem Niveau durchhält".
Kittel über Doping: "Werde für niemanden Hand ins Feuer legen"
Solche Leistungen ziehen aufgrund der Doping-Geschichte des Radsports natürlich Fragen nach sich. Angesprochen auf das Thema Doping sagte Marcel Kittel: "Ich werde für niemanden meine Hand ins Feuer legen, weil ich das einfach nicht weiß. Meine Einschätzung, wenn ich auch die Wattwerte sehe, die hier gefahren werden: Die sind natürlich sehr besonders." Kittel verwies dabei aber auch auf sportwissenschaftliche Fortschritte in den letzten "fünf, sechs Jahren".
Drei Teams (UAE Team Emirates, Visma-Lease A Bike und Israel-Premier Tech) bestätigten jüngst dem Webportal "Escape Collective", Kohlenmonoxid-Rückatmungsgeräte zu benutzen. Die kostspieligen Geräte sind nicht verboten und dienen dazu, schnell und effektiv Blutwerte zu messen. Allerdings belegen Studien, dass die Inhalation geringer Dosen von Kohlenmonoxid über einen längeren Zeitraum auch leistungssteigernd wirken kann.
Kittel führte aus: "Ich finde es erstmal fragwürdig und ich hoffe, dass es schnell geklärt wird, was damit passiert. Bisher ist es leider ein graues Gebiet."
Kittel bescheinigt deutschem Radsport "sehr gutes Niveau"
Das deutsche Team Red Bull-Bora-hansgrohe besitzt so ein Gerät nicht, wie der Rennstall gegenüber der "Sportschau" erklärte. Die Equipe unter der Leitung von Ralph Denk hatte dieses Jahr ebenfalls Hoffnungen auf den Gesamtsieg und alles auf den Slowenen Primoz Roglic gesetzt. Dieser stürzte aber auf der 12. Etappe und musste verletzt aufgeben.
Der Traum vom Gelben Trikot lebt dennoch weiter. Ob mit oder ohne Roglic, ist eine der Fragen. Marcel Kittels Einschätzung dazu lautete: "Ralph Denk hat ja schon angekündigt, dass viele Transfers geplant sind. Ich bin sehr gespannt." Einige deutsche Top-Fahrer, darunter Maximilian Schachmann, werden das Team verlassen.
Kittel bescheinigte im Dlf-Sportgespräch dem deutschen Radsport aber ein "sehr gutes Niveau". Der 36-Jährige ergänzte: "Nur haben wir nicht diese Sprinter-Breite, die uns aus den letzten Jahren in Erinnerung geblieben ist – Jungs wie John Degenkolb, André Greipel, Tony Martin oder mich. Die haben wir aktuell nicht. Aber das heißt ja nicht, dass das nicht mehr möglich ist."
jti