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Rächer und Schuldige

Tatort Cannes: Juwelendiebstahl und Pistolenschüsse rund um den Roten Teppich. Am Freitagabend feuerte ein Mann aus einer Schreckschusspistole und löste Panik aus. Zudem ließen Einbrecher angeblich millionenschwere Klunker aus einem Hotel mitgehen. Manche fühlten sich da an "Über den Dächern von Nizza" erinnert, andere an Sofia Coppolas Festivalbeitrag von "The Bling Ring".

Von Josef Schnelle | 18.05.2013
    Dass der Reserve-Tresor der Schmuckfirma Chopard tatsächlich gestern aus der Wand eines Hotelzimmers in einer unverdächtigen aber randständigen Bleibe ohne Bewachung aus der Wand gestemmt wurde, passt natürlich ganz wunderbar zur Premiere von Sofia Coppolas Jugendapotheose "The Bling Ring", in dem eine modebewusste Gang die Villen der Hollywood-Glamourstars heimsucht- frei nach dem Motto : gehen wir heute zu Paris. Gemeint ist die sinnfreie Starsimulation "Paris Hilton". Man trifft sie alle – die Reichen und die Schönen an den Hotspots von Los Angeles und so fühlen sich die diebischen Teenager irgendwie dazugehörig und schwelgen in den Luxusgütern in den Promi-Villen auf den Hollywood-Hills.

    Dass die Adressen der Superreichen leicht herauszufinden waren über Internetnetzwerke und irgendeine Tür immer offen stand, glaubt man kaum. Es ist aber die schlichte Wahrheit in diesem schicken Jugendfilm von Hollywoodprinzessin Sofia Coppola. Viel weiter führt das nicht, doch die Tochter des "Paten-Regisseurs" Francis Ford Coppola hat sich ja immer schon am liebsten mit der schönen Oberfläche der Dinge beschäftigt. Schön ist auch die 17jährige Isabelle in Francois Ozons Wettbewerbsfilm "Jeune & Jolie". Das ist sie tatsächlich und sie sucht nach ihrer Erotik und ihrer Sexualität und gerät dabei auf die Abwege eines Daseins als Call-Girl für ältere Männer. Der Sex, so sagt sie, macht nicht wirklich Spaß, aber wenn sie dann wieder zu Hause ist und darüber nachdenkt und in Phantasien schwelgt, dann möchte sie es gleich wieder tun.

    Francois Ozon ist eine betörende moderne Version von "Belle de Jour" mit Catherine Deneuve gelungen. Ein luftig leichter Film über schwere Dinge zu Schlagern von Francois Hardy. Eigentlich stehen die Zeichen allerdings auf Sturm im diesjährigen Wettbewerb von Cannes. Das Elend von Provinzlern in Mexiko beschreibt "Heli" von Amat Escalante, im ersten Wettbewerbsfilm, der überhaupt zu sehen war. Und auch "Ein Hauch von Sünde" des chinesischen Regisseurs Jia Zhangke zeigt in vier Episoden aus verschiedenen Regionen Chinas Verzweiflungstaten gegen Korruption und Brutalität, die der Regisseur einer Serie von Zeitungsausschnitten entnommen hat. Ein Rächer in der Manier eines Italowestern richtet die Schuldigen für die Verelendung eines Dorfes hin. Ein liebevoller Familienvater entpuppt sich als desillusionierter Raubmörder. Eine Frau sieht Rot, als sie von sexistischen Saunagästen angemacht wird und ein Fabrikarbeiter springt aus lauter Verzweiflung in den Tod. He du bist doch der Golfball sagen die Männer des Fabrikbesitzers und schlagen immer wieder wie auf dem Golfplatz auf seinen Kopf ein. Es wird ihnen später Leid tun. Das knallharte Gesellschaftsportät des chinesischen Meisters des realistischen Kinos Jia Zhanke beschreibt in Bildern, die lange im Gedächtnis bleiben, die Verwerfungen, die die ökonomische Erfolgsgeschichte Chinas im Leben der Menschen hinterlässt.

    Eine Scheidung in Paris. Die Wunden die die Figuren im Film des Iraners Asghar Fahrhadi mit sich herum schleppen sind nicht so offensichtlich. Der Berlinalegewinner und Oscarpreisträger drehte diesmal in Paris, erzählt aber eine kaum weniger verzwickte Beziehungsgeschichte wie in seinem Meisterwerk "Nader und Simin". Auch diesmal steht eine Trennung im Mittelpunkt. Eigens dafür ist Ahmad noch einmal nach Paris zurückgekehrt und muss erfahren, dass die Vergangenheit noch nicht vergangen ist – im Leben seiner Frau nicht und auch nicht im Leben der Kinder. Noch den feinsten Verästelungen von Schuld und Sühne, Lüge und Illusion spürt Farhadi nach und erweist sich als großer Meister der Inszenierungskunst, die man in Frankreich "Mise en Scène" nennt. Kleinste Gesten spiegeln das Beziehungsgeflecht wieder und man kann eigentlich sicher sein, dass das iranische Kino in Farhadi seinen Ingmar Bergmann gefunden hat. Natürlich ist dieser Film der erste Anwärter auf die "goldene Palme". Die wird auch von Chopard hergestellt, war aber sicher im bewachten Tresor des Martinez-Hotels an der Croisette.