Als Hans Egede 1721 im Godthabsfjord im Westen Grönlands landete, wollte er eigentlich die Wikinger zum protestantischen Glauben bekehren. Seit dem 15. Jahrhundert hatte in Europa niemand mehr von ihnen gehört, und so fürchtete Egede, sie könnten vom Glauben abgefallen sein. Doch da er in Grönland nur noch verfallene Steinmauern fand, missionierte er die Inuit und fragte sich, was mit den Nordmännern passiert sein könnte.
"Der Niedergang der Wikinger in Grönland regte schon immer die Fantasie an, und es waren Tragödien, die erzählt wurden. Einer derzeit beliebten Version zufolge waren die Wikinger unfähig, ihren Lebensstil zu ändern: Danach betrieben sie einfach immer weiter Landwirtschaft, obwohl sich das Klima verschlechterte. Es ist die Geschichte einer Zivilisation, die unterging, weil sie sich nicht anpassen konnte.
Verschiedene Theorien kursieren
Doch diese Geschichte sei Unfug, urteilt der Historiker Poul Holm vom Trinity College in Dublin. Ausgrabungen erzählen eine andere, komplexere Geschichte:
"Der Klimawandel dürfte die Landwirtschaft in den Siedlungsgebieten der Wikinger zwar beeinträchtigt haben. Doch die Isotopenanalysen ihrer Zähne zeigen, dass sie ihre Ernährung auf marine Ressourcen umstellten und immer mehr Robbenfleisch aßen. Sie haben sich also sehr wohl an den Klimawandel angepasst."
erklärt die Archäologin Jette Arneborg vom Nationalmuseum Dänemarks. Ohnehin seien die Wikinger wahrscheinlich nicht allein für die Viehzucht nach Grönland gekommen. Vielmehr sei wohl der Handel ein wichtiger Teil ihrer Überlebensstrategie gewesen:
"Sie wussten, dass sie in Grönland Walross-Elfenbein bekommen konnten, und Walross-Elfenbein war damals auf dem europäischen Markt sehr wertvoll."
Handel mit Walross-Stoßzähnen
Weil im Mittelalter die Handelswege nach Afrika unterbrochen waren und kaum Elefanten-Elfenbein mehr nach Europa kam, dienten die Robben-Stoßzähne als Ersatz. Bis ins 15. Jahrhundert. Da taten sich neue Liefergebiete in der heute russischen Arktis auf, und der Handel über das Mittelmeer lief wieder an. Gleichzeitig wurde die Schifffahrt zwischen Grönland und dem Rest Europas gefährlicher, da das Anbrechen der Kleinen Eiszeit für mehr und stärkere Stürme sorgte.
"Den Wikingern fiel es immer schwerer, Händler aus Europa anzulocken. Doch sie waren auf die Verbindung nach Europa angewiesen, brauchten beispielsweise Eisen, und die Wikinger selbst besaßen keine hochseegängigen Schiffe. Ich glaube, diese Veränderungen im Handel und in der Anbindung an Europa sind wichtige Ursachen für ihr Verschwinden aus Grönland."
Beim Nachweis dieser These wird das Elfenbein wichtig. Die Geochemikerin Karin Frei vom dänischen Nationalmuseum hat mit ihrem Team eine neue Methode entwickelt, um über Isotope die Herkunft der Walross-Stoßzähne zu klären:
"Bevor wir unsere Methode entwickelt hatten, ließ sich nicht sagen, ob Walross-Elfenbein aus Grönland stammt, Island, Norwegen oder der Barentsee. Walrösser ernähren sich jedoch von Muscheln, und diese Muscheln weisen - je nach Herkunftsgebiet - unterschiedliche Signaturen bei den Blei-Isotopen auf, die sich dann im Elfenbein nachweisen lassen. Wir können nun also in die Museen gehen, um die Herkunft des Elfenbeins bestimmen."
Rückzug der Wikinger war kein Desaster
Allerdings müssen die Kuratoren zustimmen, dass winzige Proben genommen werden. Was auch immer der Grund für den Rückzug der Wikinger aus Grönland gewesen sein mag - es sieht nicht nach einem Desaster aus:
"Die Friedhöfe verraten uns, dass die Toten bis zum Schluss ordentlich begraben wurden. Wir finden auch keine Hinweise auf ein gewaltsames Ende der Toten oder auf Seuchen. Die Wikinger haben Grönland anscheinend einfach verlassen. Die Population war ja sehr klein, selbst zu Hochzeiten umfasste sie rund 3.000 Personen. Wenn sich Menschen aus einem dünn besiedelten Gebiet zurückziehen, gehen immer die jungen Leute und ihre Kinder zuerst."
Und irgendwann ist dann die Bevölkerung zu klein, um sich zu halten.