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Rätselhafte Orientierung

Biologie. - Jedes Jahr im Herbst erlebt Nordamerika eine ganz besondere Parade. Die Monarchfalter wandern quer durch den ganzen Halbkontinent zu ihren Winterquartieren in Mexiko und im Süden Kaliforniens. Jedes Jahr finden die Schmetterlinge zielsicher ihren Weg über mehr als 3500 Kilometer, ohne daß sie selbst jemals dort gewesen wären. Neurobiologen der Universitätsklinik von Massachusetts haben jetzt zumindest entschlüsselt, warum die Falter unfehlbar ihr Ziel finden. In der aktuellen "Science" berichten sie darüber.

    Im kleinen südkalifornischen Städtchen Pacific Grove empfangen die Schulkinder die Schmetterlinge mit einer Parade. Jeden Herbst kommen die großen schwarz-orange gefärbten Falter hierher, um zu Millionen zu überwintern. Für die Touristen ist es eine Attraktion - und für die Wissenschaftler eine offene Frage: Wie finden die Monarchfalter an ihren Überwinterungsort, obwohl sie ihn nie zuvor gesehen haben? Stephen Reppert, Neurobiologe an der medizinischen Fakultät der University of Massachusetts: "Die Tiere, die sich im Herbst auf die Reise machen, sind die dritte oder vierte Generation, die nach der letzten Reise im Jahr zuvor geschlüpft ist. Also ist die Kunst des Navigierens bei ihnen größtenteils genetisch bedingt und wohl nur zu einem geringen Teil erlernt."

    Reppert hat daher die Rolle der Inneren Uhr bei der meisterhaften Navigation untersucht. Dazu setzten er die Tiere in einen Flugsimulator. Reppert: "So kann man die Flugrichtung des Schmetterlings mit Hilfe des Computers überwachen. Der Falter ist dabei locker mit dem Apparat verbunden, so daß er sich in der Horizontalen frei bewegt, aber nicht aufwärts oder abwärts." Zunächst ging es darum, das natürliche Verhalten der Monarchfalter zu verstehen. Im Mittelpunkt stand dabei die Rolle der Sonne. Reppert: "Sie bewegt sich im Laufe eines Tages über den Himmel. Will man die Sonne als Navigationshilfe benutzen, muß man die Bewegung kompensieren." Die Innere Uhr hilft den Tieren dabei, die Zeichen des Himmelslichts richtig zu deuten.

    In einem zweiten Schritt manipulierten die Forscher den Tagesrhythmus der Falter manipuliert, indem sie den Hell-Dunkel-Zyklus veränderten. Sie verschoben den Tag dabei um bis zu sechs Stunden nach vorn. Die Folge: Die getäuschten Schmetterlinge änderten ihre Richtung um 90 Grad und flogen plötzlich nach Südosten. Mit Lichtfiltern verfeinerten die Forscher ihre Ergebnisse noch weiter. Danach hängen die Navigationskünste der Monarchfalter von zwei Komponenten ab: Sie nutzen quasi eine Kompaßfunktion zur reinen Richtungssteuerung und die innere Uhr zur korrekten Interpretation. Steven Reppert: "Unsere Studie legt nahe, daß die Tiere mit Hilfe des UV-Lichts navigieren. Das ist nicht überraschend, auch andere Insekten nutzen UV-Licht zur Navigation. Das ist diese Kompaßfunktion. Die Innere Uhr selbst richtet sich jedoch nach einer anderer Wellenlänge aus. Sie korrigiert den Sonnenstand in ihren Berechnungen anhand von Wellenlängen im gerade sichtbaren violetten Spektrum." Die Signalwege für beide Mechanismen sind anscheinend sehr verschieden. Deshalb wollen die Neurobiologen nun das Zusammenspiel im Gehirn des Falters auf Zellebene verfolgen.

    [Quelle: Dagmar Röhrlich]