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Rätselhafte Rollen

500 Autoren haben die Qumran-Rollen verfasst. Waren es Auftragsproduktionen? Oder doch nur Texte für den Eigengebrauch? Belastbare Antworten liefern demnächst Berliner Physiker und Chemiker. Sie beschäftigt die Frage, wo genau die Texte geschrieben worden sind.

Von Mirko Smiljanic | 13.12.2007
    Die Autoren Michael Baigent und Richard Leigh ließen Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts mit ihrem Buch "Verschlusssache Jesus" eine Bombe platzen: Paulus, so ihre These, habe die Botschaft Jesu falsch vermittelt, das richtige Bild der damaligen christlichen Gemeinden sei allerdings in den Schriften von Qumran zu finden. Und zweitens: Der Vatikan habe aus Angst vor der Wahrheit die Bearbeiter der Qumran-Rollen mit dem Ziel unter Druck gesetzt, wichtige Texte geheim zu halten. Nun garantieren Bücher über Verschwörungstheorien im Umfeld der katholischen Kirche fast immer hohe Verkaufszahlen, in diesem Fall trafen die beiden Journalisten aber auf ungewöhnlich fruchtbaren Boden. Die wenigsten der zwischen 200 vor und 68 nach Christi geschriebenen Texte waren bis 1990 publiziert worden, viele Punkte noch ungeklärt. Schon auf die vermeintlich einfache Frage, wer denn die Urheber der Texte - die Essener - waren, gibt es widersprüchliche Antworten.

    " Allgemein üblich wird angenommen wird, dass die Essener eine Sekte waren, die sich eben am Ufer des Toten Meeres in der Nähe von Qumran aufgehalten haben, und wenn man sagt, dass die Essener wahrscheinlich eine Sekte gewesen sind, also ein Volksstamm, der keinen Kontakt zu anderen Stämmen gepflegt hat, "

    erläutert Oliver Hahn, Leiter der Arbeitsgruppe Kunst- und Kulturgutanalyse an der BAM, der Bundesanstalt für Materialforschung in Berlin. Die These von den ebenso asketischen wie frommen tagein, tagaus religiöse Texte schreibenden Essenern wird von neueren Ausgrabungen aber nicht gestützt. Manche Archäologen vermuten ein ehemaliges Dorf inklusive Familien hinter den Ruinen der Essener, andere gar ein Militärlager, der Gutshof wohlhabender Juden könnte es gewesen sein, eine Keramikwerkstatt wird für möglich gehalten, sogar eine Produktionsstätte für Parfüm. Welche These auch immer stimmt, auf jeden Fall wurde viel geschrieben. Aber für wen? 500 Autoren haben die Qumran-Rollen verfasst. Waren es Auftragsproduktionen? Oder doch nur Texte für den Eigengebrauch? Belastbare Antworten liefern demnächst Berliner Physiker und Chemiker. Sie beschäftigt die Frage, wo genau die Texte geschrieben worden sind.

    " Das heißt, bildet diese Essenische Bibliothek nur den Textbestand der Essener ab oder bildet sie eine Sammlung von Texten ab, die aus ganz unterschiedlichen Provenienzen zusammengetragen worden sind? Das würde bedeuten, dass da ein sehr reger Kulturaustausch zwischen den Essenern und anderen Bevölkerungsgruppen oder ich sag mal Stämmen stattgefunden hat, "

    und die Texte mit hoher Wahrscheinlichkeit aus unterschiedlichen Regionen der damals bekannten antiken Welt stammen müssten. Um das herauszubekommen, werden bei BESSY - dem Berliner Elektronenspeicherring für Synchrotronstrahlung - Qumran-Fragmente mit Röntgenstrahlen bombardiert. Ein spezielles Verfahren erlaubt es anschließend, die Konzentration und Verteilung der chemischen Elemente unmittelbar unterhalb der Pergament-Oberfläche zu bestimmen. Die Stoffe dort verraten nämlich, mit welchem Wasser die Pergamentrolle seinerzeit hergestellt worden ist. Untersuchungen zeigen,

    " dass es ein spezielles Verhältnis von dem chemischen Element Chlor zu Brom in der Umgebung des Toten Meeres gibt. Und da haben wir besonders Glück, weil dieses Verhältnis sonst nirgendwo in diesem Land gefunden werden kann, "
    sagt Birgit Kanngießer, Leiterin der Arbeitsgruppe Analytische Röntgenspektroskopie an der TU Berlin. Hat ein Fragment das gesuchte Brom-Chlor-Verhältnis, ist es am Toten Meer produziert worden, stimmt das Verhältnis nicht, liegt der Verdacht nahe,

    " dass das Pergament erst einmal auch woanders hergestellt worden ist. Man kann sich jetzt verschiedene Szenarien ausdenken, dass das Pergament woanders hergestellt worden ist, die Essener haben das Pergament sozusagen bezogen und dann beschrieben, oder es ist komplett in der Siedlung Qumran hergestellt worden und dann auch beschrieben worden. "

    Vergleichbare Analysen machen die Berliner Forscher mit der vor 2.000 Jahren benutzten Tusche aus Ruß und dem Bindemittel Gummi arabicum. Erste Ergebnisse zeigen, dass die Tusche einiger Fragmente gut erhalten ist, während andere unter dem bei Altertumsforscher gefürchteten Kupferfraß leiden. Nur: Wie gelangt Kupfer in die Tusche? Als Verunreinigung, sagt Oliver Hahn von der BAM. Und diese Verunreinigung kann Auskunft geben, wo die Tusche hergestellt worden ist.

    " Also normalerweise werden organische Materialien verbrannt, die müssen natürlich in irgendwelchen Gefäßen verbrannt oder aufbewahrt werden, dass durch den Herstellungsprozess des Rußes eben diese Kupferspuren in den Ruß hineingelangt sein können. "

    Chemische Verunreinigungen können aber noch ein weiteres Problem lösen. Jahrzehnte standen die Forscher ratlos vor vielen Tausend kleinen bis kleinsten Fragmenten. Mit der 3D-Röntgenfluoreszens-analyse sind nun Aussagen möglich, welcher Schnipsel zu welcher Rolle gehört. Das Zusammensetzen der Rollen wäre dann wesentlich einfacher, sagt Birgit Kanngießer. Bedeutung haben die Resultate aber für eine andere Frage: In welchem Verhältnis standen zurzeit Jesu das Judentum und die Jesusbewegung? Die Entwicklung der religiösen Vorstellungen lassen sich anhand der Qumran-Texte präzise verfolgen, weil sie auch die Entstehung des Christentums abdecken.

    " Es gibt zwei unterschiedliche Thesen: Die eine besagt, dass es unterschiedliche Wurzeln sind, aus denen diese beiden Religionen entstanden sind, eine andere sagt, dass es gewissen Ähnlichkeiten gibt, dass eben beide Religionen gemeinsame Wurzeln haben. Mit dieser generellen Frage setzen wir uns natürlich nicht auseinander, wir behandeln wirklich nur dieses sehr kleine Kapitel, als Naturwissenschaftler können wir uns erlauben, dieses Kapitel zu behandeln, finden wir eben diesen kulturellen Austausch oder nicht, aber dieses Ergebnis trägt sicher dazu bei, das Verhältnis zwischen der Entwicklung oder Entstehung der jüdischen und christlichen Religion vielleicht vor einem etwas anderen Hintergrund zu betrachten. "

    Mit äußerster Vorsicht bewegt sich Oliver Hahn auf dem verminten Gelände, es kommt nicht häufig vor, dass Naturwissenschaftler - und dann noch aus einer Bundesbehörde, die sich unter anderem mit der Sicherheit von Sylvesterraketen und Brücken beschäftigt - Entscheidendes zur Entwicklung zweier Weltreligionen sagen können.

    " Es ist eine hochpolitische Diskussion, wo unsere Untersuchungen sicher einen kleinen Beitrag liefern, ja! "

    Oliver Hahn untertreibt hier ein wenig. Die Untersuchungen der BAM und der TU Berlin sind zurzeit die größten ihrer Art. Wenn sie im April 2008 abgeschlossen sind, können die Qumran-Texte vielleicht weit präziser gedeutet werden als bisher. Vorausgesetzt Schriftgelehrte lassen sich von Naturwissenschaftlern beeindrucken.