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Räumung des "Dschungel von Calais"
"Wir sind keine Terroristen, wir sind Menschen"

Die Räumung des wilden Flüchtlingslagers in Calais hat begonnen. Busse bringen die Menschen in andere Teile Frankreichs. Dort können sie Asyl beantragen. Doch nicht alle wollen gehen - sie wollen weiter versuchen, nach Großbritannien zu kommen.

Von Kerstin Gallmeyer |
    Flüchtlinge warten mit ihrem Gepäck darauf, vom illegalen Lager in Calais in Aufnahmezentren in ganz Frankreich gebracht zu werden.
    Flüchtlinge warten mit ihrem Gepäck darauf, vom illegalen Lager in Calais in Aufnahmezentren in ganz Frankreich gebracht zu werden. (AFP / PHILIPPE HUGUEN)
    Die Musik, die durch die Hauptstraße des sogenannten Dschungels von Calais schallt, täuscht ein wenig - in diesen Tagen ist hier kaum noch etwas los. Bis vor Kurzem hatten hier Restaurants und kleine Läden geöffnet. Jetzt allerdings stehen die allermeisten der Hütten aus Holz und Planen leer. Müll und Essenreste liegen herum. Hier und da brennen kleine Haufen aus Holz und Plastik.
    Nicht weit davon zieht der Afghane Jagbar Safi seinen Koffer hinter sich her. Er ist auf dem Weg zur großen Lagerhalle, wo die Busse warten. Die Busse, von denen einer ihn in ein Aufnahmezentrum irgendwo in Frankreich bringen wird. Großbritannien war sein Traum, doch den hat er aufgegeben:
    "Heute werde ich in ein Haus ziehen. Ich werde meinen Asylantrag in Frankreich stellen. Mit dem Dschungel ist es vorbei. Für mich gibt es keine Chance nach England zu gelangen. Ich bleibe in Frankreich."
    "Ich werde gehen, weil es vorbei ist"
    Der 27-jährige Ahmed aus dem Sudan steht schon einige Zeit am Hangar und beobachtet wie sich Hunderte in den Warteschlagen vor dem Registrierungszentrum drängen. In seiner Heimat hatte er auf einem Flughafen gearbeitet, erzählt er. Auch er hatte die große Hoffnung, es auf die andere Seite des Ärmelkanals zu schaffen:
    "Ein Jahr und drei Monate habe ich im Dschungel verbracht. Und vielleicht an die tausend Mal versucht, nach Großbritannien zu gelangen, in LKWs und durch den Tunnel."
    Am Ende steigt auch er in einen Bus.
    "Ich werde gehen, weil es vorbei ist. Aber vielleicht werde ich es weiter versuchen, nach Großbritannien zu kommen - von woanders aus."
    "Wenn die Polizei kommt, ist es mir egal"
    Calais zu verlassen, das ist dagegen für Jawed aus Afghanistan keine Option. An Tag zwei der Räumung sitzt er auf einer kleinen Plastikbox zwischen Hütten und Zelten, hält eine große Spiegelscherbe in der Hand und rasiert sich den Bart. Über ein Jahr sei er schon hier. Seitdem habe er jeden Tag habe er versucht nach England rüber zu kommen, erzählt Jawed. Aufgeben will er noch lange nicht. Genauso wenig wie seine Freunde. Dafür habe er schon zu viel auf sich genommen:
    "Drei Monate lang sind wir die Nacht durchgelaufen von Afghanistan bis hier. Und jetzt wollen wir nach England. Wenn ich Asyl hier in Frankreich beantragen wollte, dann hätte ich das am ersten Tag gemacht."
    Was er nun tun wird, wo das Lager aufgelöst wird - Jawed ist sich noch nicht sicher. Nur eines weiß er: In einen Bus steigen und sich von hier wegbringen lassen, will er nicht.
    "Wenn die Polizei kommt, ist es mir egal, wenn sie mich ins Gefängnis steckt. Wenn sie mich wieder frei lassen, komme ich wieder. Wir sind doch keine Terroristen. Wir sind Menschen!"