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RAF Camoras "Zenit"
Düster, aber elegant

Der Österreicher Raphael Ragucci alias RAF Camora hat mit „Zenit“ die kompakte und stimmige Essenz einer langen Diskografie vorgelegt. Nach drei extrem erfolgreichen Jahren soll jetzt auf dem Höhepunkt der Karriere Schluss mit Rap sein.

Axel Rahmlow im Kollegengespräch mit Bernd Lechler |
RAF Camora (bürgerlich Raphael Ragucci) während eines Auftrittes im Rahmen des Sputnik SpringBreak Festival 2018
RAF Camora (Raphael Ragucci) während eines Auftrittes 2018 (imago stock&people/ STAR-MEDIA)
Bernd Lechler: Der erfolgreichste Österreicher in Deutschland seit Falco ist Raf Camora. In den letzten drei Jahren drei Nummer-1-Alben in Deutschland, hunderte Millionen Streams, Tourneen durch große Hallen. Und jetzt soll Schluss sein. Gestern ist sein neues Album "Zenit" erschienen, seit Monaten erzählt RAF Camora, es sei sein letztes. Da wird dieser Titel gleich noch mehr zur Ansage. Wir fragen Axel Rahmlow, der RAF Camora schon live gesehen hat, als erst 100 Leute kamen. Hat er tatsächlich jetzt einen Zenit erklommen?
Axel Rahmlow: Ja. Und er hat damit einen künstlerischen Höhepunkt erreicht, der tatsächlich auch die Konsequenz seiner bisherigen Karriere ist. Ich habe mich noch mal durch die sehr lange Diskografie durchgehört, und diese knappe Stunde jetzt, das ist tatsächlich das Beste aus 10 Jahren. Das ist ein sehr kompaktes Album, ein stimmiges Album. Das ist düster, edel. Es ist auch konfrontativ, aber es ist trotzdem selbstreflektierend. Das ist schon Platzhirsch-Musik. Aber es ist nicht obszön. Und das alles in nicht mal einer Stunde. Mir ist das beim Hören sogar kürzer vorgekommen, weil da auch manche Lieder so spannende Ein-Minuten-Einschübe quasi sind. Und in der Gesamtmenge ist der Titel dann wirklich gut gewählt.
Lechler: Und dieses Beste, diese Essenz, wie hat sich die entwickelt in den Jahren?
Rahmlow: Also, erstmal biografisch gesehen, Raphael Ragucci, so heißt er eigentlich, ist das Kind einer italienischen Mutter. Er ist erst im französischsprachigen Teil der Schweiz aufgewachsen. Da hat er viel Affinität zum französischen Rap bekommen. Dann ist er weitergezogen in ein raues Viertel von Wien. Da hat er dann Straßenattitüde bekommen, auch die Einflüsse vom Balkan. Ich würde sagen auch einen gewissen Hang zur Melancholie.
Hang zur Melancholie
Und in die Grundzutat der Musik, das ist immer Rap gewesen. Und das alleine reicht aber natürlich nicht, um dann irgendwie herauszuragen. Er hat, RAF Camora, schon immer den Mut gehabt, etwas zu tun, was vor 10 Jahren noch sehr verpönt war, und das nennt sich singen. Er hat damit, mit seiner dunklen Stimme, tatsächlich mehr rausholen können als die meisten Rapper und heute, wo das relativ normal geworden ist, profitiert er davon, weil er sehr viel harmonischer und auch sehr viel organischer klingt als viele anderen Künstler. Und dafür habe ich noch mal ein Beispiel, das ist "Nichts ist nichts".
Das zeigt für mich ganz gut, dass RAF Camora aus allen Experimenten und Ausflügen, die er so gemacht hat im Laufe der Zeit tatsächlich jetzt einen Zenit erklommen hat, kann man sagen, und eine Kernmische herausdestillieren konnte, eine düstere Grundstimmung aber immer auch mit einer ziemlich eleganten Note.
Lechler: Und das ist ja nicht nur künstlerisch konsequent, er ist auch sehr erfolgreich damit, gerade in Deutschland. Woran liegt's?
Rahmlow: Also erstmal, er hat sich vor mehr als 10 Jahren aus Österreich heraus getraut, ist nach Berlin gezogen, und das ist deswegen wichtig, weil einfach hier der Wettbewerb größer ist, aber auch der kreative Input und natürlich auch die Aufmerksamkeit. Und er ist dann langsam über die Jahre gewachsen, und vor drei Jahren ist er dann tatsächlich auf eine Goldgrube gestoßen.
Rap und Dancehall
RAF Camora, der hat schon in seinen allerersten Interviews vor mehr als 10 Jahren erzählt, dass er eigentlich vor hat, Rap und Dancehall zusammenzubringen. Das ist noch so ein Einfluss von ihm. Und vor drei Jahren hat er das dann zusammen geschafft mit dem Hamburger Bonez MC. Die haben damals wirklich den Zeitgeist getroffen. Das hier, das war der Überhit "Ohne mein Team".
Das Album dazu, "Palmen aus Plastik", das war dann tatsächlich der ganz große Durchbruch, das war melodisch, es war trotzdem tanzbar, es war wirklich harmonisch, die waren die ersten, denen man das abgenommen hat, dass das tatsächlich auch auf Deutsch funktionieren kann, Dancehall. Aber meiner Meinung nach war das dann auch eine ganze Weile lang schon eine ziemliche Hypothek für ihn.
Lechler: Wieso Hypothek? Von so einem Erfolg träumt man doch.
Rahmlow: Das ist richtig, aber es gab dann relativ schnell ein "Palmen aus Plastik 2" und das war wirklich wie ein Teil 2, ziemlich uninspiriert. Das hat er dann auch auf seinem letzten Solo-Album noch mal wiederholt. Das klang dann für mich schon ziemlich ausgelutscht, als ob er gar nicht wüsste, wie er eigentlich den Erfolg als Duo mit diesem "Palmen aus Plastik" jetzt auf sich alleine münzen kann, wie er sich da abgrenzen soll. Und jetzt auf "Zenit", da, finde ich, hat er es geschafft, noch ein paar Anleihen mitzunehmen, aber nicht in so einem anbiedernden Maße. Jetzt fügt sich das alles sehr viel besser zusammen, in das Gesamtbild für ihn als Solokünstler.
Der Zenit ist erreicht
Lechler: Und hört er jetzt wirklich auf, oder ist das nur Verkaufsmasche?
Rahmlow: Also, wenn ich ihn in den Interviews höre, dann habe ich den Eindruck, das ist ein sehr reflektierter Typ, der sagt das nicht einfach so, er hat ja auch für diesen Erfolg jahrelang kämpfen müssen und auf "Zenit" jetzt ist auch schon sehr oft die Einsicht zu hören, dass dieses Geschäft ja auch sehr schnell ist, dass der Ruhm auch sehr vergänglich sein kann. Insofern glaube ich ihm das durchaus, aber es gibt ja auch diverse Hintertüren. Zum einen sagt er immer wieder in Interviews er will sich jetzt auf seine Künstler konzentrieren, in seiner Management-Agentur und da ist natürlich auch sehr schnell mal ein gemeinsamer Song gemacht. Und natürlich, was auch immer eine Möglichkeit ist, einfach eine andere Kunstfigur zu schaffen. Insofern glaube ich, dass der Zenit für RAF Camora, der ist vielleicht hier erreicht, aber für den Menschen dahinter, also für Raphael Ragucci, da ist tatsächlich noch Zeit, bis der dann tatsächlich irgendwann mal überschritten sein sollte.