Lange war es ruhig um die die drei gesuchten ehemaligen Mitglieder der inzwischen aufgelösten Roten Armee Fraktion (RAF), nun überschlagen sich die Ereignisse: Zuerst wird Daniela Klette in Berlin gefasst. In einer Wohnung hatte sie jahrelang unter einer anderen Identität gelebt.
Nach ihren mutmaßlichen Komplizen Ernst-Volker Staub und Burkhard Garweg sucht die Polizei auch weiterhin. 150.000 Euro gibt es für Hinweise, die zu ihrer Ergreifung führen.
Was ist die Rote Armee Fraktion?
Die Geschichte der Roten Armee Fraktion (RAF) ist mit der 68er-Bewegung verbunden. Wie in anderen Ländern entwickelten sich daraus militante Gruppen. Eine davon war ab 1970 die RAF. Zu den Gründungsmitgliedern der sogenannten ersten Generation gehörten Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Horst Mahler.
Zu den Aktivitäten der ersten Generation gehörten Brandanschläge, unter anderem auf Kaufhäuser und eine Serie von Bombenanschlägen gegen Einrichtungen der Polizei und der US-Armee.
Nach der Festnahme der Mitglieder der ersten Generation ging es der sogenannten zweiten Generation vor allem um die Befreiung der Inhaftierten. Die Gewalt eskalierte im Herbst 1977.
Diese Zeit gilt unter Historikern als eine der schwersten Krisen der Geschichte Westdeutschlands. Hierzu zählt unter anderem die Entführung und anschließende Ermordung des Wirtschaftsfunktionärs und ehemaligen SS-Offiziers Hanns Martin Schleyer oder die Tötung des Generalbundesanwalts Siegfried Buback.
Auf die zweite Generation folgte die dritte Generation. Im März 1998 wurde die RAF aufgelöst, wie sie in einem Statement verkündete. In den knapp 30 Jahren ihres Bestehens soll die RAF 34 Menschen ermordet haben, mindestens 230 Personen sollen schwer verletzt und Sachschäden in Millionenhöhe verursacht worden sein.
Was ist die dritte Generation?
Die nun gefasste Daniela Klette und die beiden Gesuchten, Staub und Garweg, werden der sogenannten dritten Generation der RAF zugeordnet. Als deren Startpunkt gilt die strategische Neuausrichtung der RAF Anfang der 80er-Jahre. Der Kampf sollte sich auf die Metropolen konzentrieren.
Bis zur Auflösung der RAF im Frühjahr 1998 gehen etliche Anschläge und mehrere Morde auf das Konto der dritten Generation - darunter 1989 der Mord am Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, und des Präsidenten der Treuhandanstalt, Detlev Karsten Rohwedder, 1991.
Viele Taten konnten bislang nicht aufgeklärt werden. Ermittler gehen von einem Kreis von mindestens fünf Mitglieder aus. Insgesamt könnte die dritte Generation 15 bis 20 Personen zu bestimmten Phasen umfasst haben.
Was weiß man über Klette, Staub und Garweg?
Über sie ist relativ wenig bekannt. Zwischen ihnen gibt es eine große Altersspanne. Burkhard Garweg ist 1968 geboren und heute 55 Jahre. Ernst-Volker Staub kam 1954 auf die Welt und ist nun 69 Jahre. Daniela Marie Luise Klette ist 65.
Staub hatte sich Anfang der 80er-Jahre der RAF angeschlossen. 1986 wurde er wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu vier Jahren Haft verurteilt. Nach Verbüßung der Strafe tauchte er unter.
Daniela Klette war seit 1975 in linken Gruppen aktiv. 1989 ging sie in den Untergrund – kurz nachdem der Ermordung des Deutsche-Bank-Chefs Alfred Herrhausen.
Burkhard Garweg gehörte der linksautonomen Szene in Hamburg an. Dort soll er Klette und Staub kennengelernt haben. 1990 tauchte er ebenfalls ab.
Über Klette weiß man inzwischen, dass sie unter dem Namen Claudia Ivone mindestens 20, vielleicht sogar 30 Jahre lang unerkannt in Berlin gelebt hat. In ihrer Wohnung hatte sie Waffen, nach außen führte sie ein normales Leben.
Was wird dem Trio vorgeworfen?
Gegen alle drei Gesuchten bestehen Haftbefehle wegen des Verdachts an Beteiligung an Terroranschlägen. Gegen Daniela Klette wurden die Anschuldigungen konkretisiert: Sie soll seit den 1990er-Jahren bei mehreren Aktionen beteiligt gewesen sein. Darunter ein Schusswaffenangriff auf die US-Botschaft in Bonn 1991.
Außerdem wird vermutet, dass sie an dem Sprengstoffanschlag auf die Justizvollzugsanstalt Weiterstadt 1993 beteiligt gewesen war. Spuren deuten zudem darauf hin, dass sie 1993 im mecklenburgischen Bad Kleinen war. Dort wurde Birgit Hogefeld festgenommen, RAF-Mitglied Wolfgang Grams wurde ebenso wie ein Polizist erschossen.
Die Behörden werfen Klette zudem versuchten Mord und eine Serie schwerer Raubüberfälle zwischen 1999 und 2016 vor. Hierbei sollen auch Staub und Garweg beteiligt gewesen sein – das legen DNA-Analysen nahe.
Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass diese Überfälle nicht politisch motiviert waren. Es soll Klette und anderen aus der dritten Generation der RAF darum gegangen sein, an Geld zu kommen.
Warum wurden die Gesuchten 30 Jahre nicht gefasst?
Während Historiker und Justiz bei den ersten beiden Generationen viel mehr Klarheit über Namen und Taten haben, gibt die dritte Generation Ermittlern Rätsel auf. Der Anwalt Butz Peters bezeichnet die dritte Generation der RAF als „Blackbox“. Peters hat mehrere Bücher über die RAF veröffentlicht.
Die Mitglieder hätten aus den Fehlern der ersten und zweiten Generation gelernt. „Sie waren kriminaltechnisch auf dem neuesten Stand“, so Peters. Hinzu komme, dass sie bei Ihren Taten deutlich zurückgezogener vorgegangen sind als die ersten beiden Generationen: „Die hatte viele Unterstützer und viele Mitglieder, die irgendwann weich wurden. Daraus hat die dritte Generation die Lehre gezogen, dass sie sehr konspirativ und abgeschottet gelebt hat.“
Michael Buback, der Sohn des im April 1977 in Karlsruhe erschossenen Generalbundesanwalt Siegfried Buback, kritisiert die Ermittlungsarbeit der Polizei als langsam. „Wir sind sehr enttäuscht, dass diese vielen Morde nicht vollständig geklärt sind. Das wirft kein besonders gutes Licht auf die Arbeit deutscher Ermittler.“
Michael Colborne von der Investigativplattform Bellincat äußerte sich überrascht über den plötzlichen Fahndungserfolg der Polizei im Fall Klette. Er hatte für den Podcast „Legion“ der Sender NDR und RBB bereits im Dezember ein altes Foto von Daniela Klette in eine Bilderkennungssoftware eingespeist. Herausgekommen war das Foto einer Frau einer Berliner Tanzgruppe, die sehr wahrscheinlich Daniela Klette als Claudia Ivone war. „Die Tatsache, dass jemand wie ich, der kein Deutsch spricht, so kurze Zeit brauchte, um eine Spur zu finden, die direkt zu Daniela Klette führte, lässt mich fragen, wie sie 30 Jahre lang den Strafverfolgungsbehörden entgehen konnte“, kritisierte der kanadische Journalist.
Welche Erkenntnisse erhoffen sich Ermittler aus den Festnahmen?
Daniela Klette „könnte sehr viel erzählen", sagt der Buchautor Butz Peters. Es sei aber offen, wie sie reagieren werde. Vieles spreche dafür, dass sie nicht auf Angebote wie eine Kronzeugenregelung oder Strafnachlass eingehe. „Es sind aus der dritten Generation bisher nur zwei Frauen verhaftet worden, und die beiden haben hartnäckig geschwiegen.“
Auch Michael Buback, Sohn des getöteten Generalbundesanwalts Siegfried Buback, geht auch nicht davon aus, dass es durch die Festnahme weitere Erkenntnisse zu Mordfällen gibt: „Ich befürchte, dass Frau Klette dem Beispiel weiterer Terroristen folgen wird und weder sich noch andere belasten wird.“
Er erhofft sich aber weitere Erkenntnisse über die Strukturen der RAF. Gerade bei der dritten Generation sei noch sehr viel „im Dunklen“.
nm