Hans-Christian Ströbele eröffnet die Debatte mit der Ankündigung: "Ich habe mir vorgenommen, aufzuschreiben, wie es damals wirklich gewesen ist - und welche Einschätzung heute noch haltbar ist." Er schließt die - nach seinen eigenen Worten - provokante These an: "Ich bin heute noch der Meinung, dass sich der Rechtsstaat BRD nicht bewährt hat."
Diesen Vorwurf will Klaus Pflieger nicht auf sich sitzen lassen. Er räumt ein, dass der Rechtsstaat in der RAF-Zeit gewackelt habe, dass er "überreagiert" habe. Das habe er auch früher schon falsch gefunden und auch gesagt. Dennoch habe sich der Rechtsstaat bewährt. Das zeige sich nicht zuletzt an der Auflösungserklärung der RAF. Darin habe es geheißen, man habe gelernt, dass man auf diesem Wege mit dem Projekt nicht durchkommen werde.
"Es war so, dass wir mit dem Staat fertig waren"
Es wird geschichtlich. Ströbele erinnert sich an die Zeit, als er sich für den Staatsdienst bewarb (um Staatsanwalt und Richter zu werden). Er sei aber abgelehnt worden, weil er im Büro des Anwaltes Horst Mahler gearbeitet habe. Mahler war damals noch linksgerichtet, bevor er später der rechtsradikalen NPD beitrat und sie auch vor Gericht vertrat. Ströbele war dann an der Gründung des Sozialistischen Anwaltskollektivs beteiligt und räumt offen ein: "Es war so, dass wir mit dem Staat fertig waren." Aber: "Trotzdem habe ich versucht, den Rechtsstaat zur Geltung zu bringen." Das habe ihm auch die verachtende Stellungnahme von Andreas Baader eingebracht, dass er - Ströbele - der letzte sei, der an den Rechtsstaat glaube.
Klaus Pflieger berichtet, er habe den Baader-Meinhof-Prozess miterlebt, als Zuschauer. Er habe gesehen, dass die Verteidiger den Auftrag gehabt hätten, den Prozess zu instrumentalisieren, und zwar als Angriff auf den Staat. Die Angeklagten hätten es nahezu in der Hand gehabt, den Prozess zu torpedieren, etwa durch ihre Hungerstreiks. Das habe der Gesetzgeber aber dann durch zusätzliche Paragraphen elegant gelöst, mit einem juristischen Spagat: Wenn die Angeklagten die Möglichkeit bekämen, sich zum Auftakt zu äußern und sich später dann in einen Zustand der Verhandlungsunfähigkeit brächten - dann könne der Prozess trotzdem fortgesetzt werden. Pflieger betont: Alle Gesetze wurden vom Bundesverfassungsgericht geprüft und bestätigt. Er habe nur bei wenigen Dingen kalte Füße gehabt.
Die dunkle Zeit der Rechtsprechung in den Fünfziger und Sechziger Jahren
Kritisch sieht er die Rechtsprechung vor dieser Zeit, also in den Fünfziger und Sechziger Jahren. Damals seien Mörder der NS-Zeit oft nur wegen Beihilfe verurteilt worden. Erst später habe man das geändert. Heute, so Pflieger, sei man gut aufgestellt in der Justiz, was die Vergangenheit angehe. Er sei stolz, dass man die dunkle Zeit der 50er- und 60er-Jahre hinter sich gelassen habe. Hans-Christian Ströbele sieht das kritischer und betont, im BGH hätten damals Richter gesessen, die in der NS-Zeit Todesurteile gesprochen hätten.
Schließlich geht es noch um die Frage der Haftbedingungen, auch in Stuttgart-Stammheim. Ströbele wirft der Justiz in der damaligen Zeit "gravierende Fehler" vor, nicht nur in Bezug auf die RAF-Prozesse. So sei geleugnet worden, dass Menschen für anderthalb Jahre in Isolationshaft gesessen hätten. Pflieger weist auf einen anderen Aspekt hin: Die Medien seien damals instrumentalisiert worden - um in der Öffentlichkeit den Eindruck zu erwecken, dass in Stammheim gefoltert werde. Das Gegenteil sei aber der Fall gewesen, es habe dort sogar viele Privilegien für die RAF-Gefangenen gegeben.
Hans-Christian Ströbele hatte 1970 die Verteidigung der gefangenen RAF-Mitglieder übernommen, darunter Andreas Baader. 1975 wurde er aber vom Prozess gegen die Gefangenen in Stuttgart-Stammheim ausgeschlossen. Der Vorwurf: Missbrauch der Anwaltsprivilegien. Und 1980 dann die Verurteilung zu zehn Monaten Haft auf Bewährung wegen Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Ein Urteil, zu dem er in der Diskussion im Dlf sagt: "Nicht alle Urteile sind gerecht."
Klaus Pflieger ist Jurist und Autor mehrerer Bücher, unter anderem über die RAF. Er hat in verschiedenen Positionen an den Prozessen gegen die RAF mitgewirkt, als Ermittler, aber vor allem als Staatsanwalt. Er war auch für die Bundesanwaltschaft tätig und wurde dann Generalstaatsanwalt in Stuttgart. Klaus Pfleger hatte in seiner Laufbahn wiederholt auch mit den Themen Extremismus und Islamismus zu tun, unter anderem im Prozess nach dem Amoklauf von Winnenden.