Christoph Heinemann: Jean-Claude Juncker in Athen, Francoise Hollande in Berlin, heute Andonis Samaras an der Spree – Europa lebt, könnte man daraus schließen. Nur waren dies keine rundum fröhlichen Termine. Vielmehr ging und geht es abermals um den Euro und Griechenland, um Zeit und um Geld. Es wird viel geredet, zu viel, wie der luxemburgische Premierminister immer wieder betont. In Athen hat er das auf Englisch gesagt, Anfang des Monats auf Deutsch:
O-Ton Jean-Claude Juncker: "”Es wäre gut, wenn mehr Leute in Europa den Mund öfters halten würden.”"
Heinemann: Am Telefon ist Rainer Brüderle, der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion. Guten Morgen!
Rainer Brüderle: Guten Morgen, Herr Heinemann.
Heinemann: Herr Brüderle, kommt Andonis Samaras heute in die Höhle der Löwin?
Brüderle: Höhle der Löwin? Er kommt zum Platz der Klarheit, denn Vertrauen in eine Währung stärkt man ja nur – um Vertrauen geht es ja -, wenn man einen klaren Kurs fährt. Denn es hat ja keinen Sinn, ständig die Dinge wieder zu verändern, aufzuweichen. Weitere Zeit bedeutet letztlich auch mehr Geld. Das läuft dann je nach Ausgestaltung auf ein drittes Griechenland-Paket hinaus. Dazu ist meines Erachtens im Bundestag keine Bereitschaft, aus guten Gründen. Griechenland ist großzügigst geholfen worden, das ist eine Größenordnung von 200 Milliarden, wenn ich mal alles da zusammensortiere, was man ihnen an Möglichkeiten gegeben hat. Jetzt muss Griechenland mal liefern. Auch die jetzt regierende Mehrheitspartei der Konservativen hat ja in der Vergangenheit die Reformprozesse eben nicht durchgeführt, hat sie verschleppt, und jetzt ist einfach mal die Entscheidung in Athen gefordert, dass sie jetzt das glaubwürdig umsetzen. Nur mehr Geld hineingeben, ohne die Reformen glaubwürdig umzusetzen, löst die Probleme nicht. Kernproblem ist: Griechenland ist nicht wettbewerbsfähig, Griechenland hat Reformen jahrelang verschleppt, es hat eine Struktur, die einfach den modernen Anforderungen nicht entspricht, und daran müssen sie glaubwürdig arbeiten, dass man sieht, jawohl, sie nehmen nicht nur Geld, sondern sie tun etwas. Und daran fehlt es bisher, weil mehrfach feste Zusagen und Vereinbarungen gebrochen wurden, und das muss jetzt im September durch die Troika attestiert werden, ob sie entsprechende Fortschritte gemacht haben oder nicht.
Heinemann: Herr Brüderle, Stichwort "Platz der Klarheit" haben Sie gerade gesagt. Wir haben ja im Bericht von Stephan Detjen gerade die Herren Westerwelle und Schäuble gehört. Wir fassen zusammen: mit dem Bundesaußen- und dem Bundesfinanzminister für und gegen einen zeitlichen Aufschub. Wissen Sie, was gilt in dieser Regierung?
Brüderle: Nein, das ist überhaupt ja gar kein Gegensatz. Was Westerwelle gesagt hat, ist ja das, was ich auch sage: Die Kernzeitachse muss gehalten werden. Griechenland hat sich – ein souveräner Staat – den Luxus erlaubt, auf dem Höhepunkt seiner Wirtschaftskrise zwei nationale Wahlkämpfe durchzuführen, da ist natürlich Handlungsfähigkeit nicht da. Deshalb ist es eine Art Justierung, indem man da einige Wochen vielleicht anpasst. Darum geht es im Kern nicht, sondern man kann nicht wieder ein, zwei Jahre verschieben, was auch Herr Steinmeier fordert, dieses Laisser-faire. Das ist eine Fortsetzung einer falschen Strategie, die bedenkenlose Aufnahme Griechenlands, das die Voraussetzungen nicht erfüllt hat, das Aufweichen des Stabilitätspakts und jetzt auch noch weitere Fristen hineinzunehmen, Forderungen nach Schuldenunion. Kernpunkt ist: Man hat damals die politische Union - Rot-Grün, Große Koalition - nicht weiterentwickelt als Flankierung des Euros, den man eingeführt hat, sondern rückentwickelt. Da ist die Schwachstelle, die man verändern muss, und wir müssen im Grunde heute die Schwierigkeiten der Unterlassungen vergangener Jahre aufräumen, und da hilft es nicht, wieder in das Falsche hinein, in ein Laisser-faire zu flüchten, sondern nun muss man klare Kriterien umsetzen, und die Entscheidung, ob man das will, ob man das kann, liegt in Athen, nicht in Berlin und nicht in Brüssel.
Heinemann: Gleichwohl fordert Ihr Parteifreund Christian Lindner, man solle es nicht an einigen wenigen Tagen scheitern lassen. Das sagt der Chef der Liberalen in Nordrhein-Westfalen. Also noch mal mit Blick auf das bisher geleistete in Athen: zeitlicher Rabatt für Reform oder Null Rabatt?
Brüderle: Es geht doch nicht um Tage, das ist ja nicht das Problem. Man kann Tage oder auch wenige Wochen machen. Aber es geht doch nicht darum, dass man jetzt schon wieder fordert, wie Herr Steinmeier ein Jahr oder andere zwei Jahre. Damit ist doch schon wieder das Signal gesetzt, auch in Irland und Portugal, die einen harten Anpassungsweg gegangen sind: Man muss nur möglichst wenig machen, dann gibt es genügend Forderungen, ja, das ist ja alles gerechtfertigt, dann muss man wieder nachgeben, wieder draufschütten. Damit kriegt man in der Welt oder in Deutschland und in Europa kein Vertrauen in den Euro. Ohne Vertrauen in die Währung kann das nicht funktionieren. In einer sozialen Marktwirtschaft steuern wir über Preissignale, wenn wir inflationäre Tendenzen zulassen. Das ist die Folge von falscher Steuerung hier, dann haben wir Fehlsteuerungen der Wirtschaft, übrigens auch unsoziales Verhalten. Deutschland hat im Gencode drin die Sorge um Geldwertstabilität. Zu Beginn und Ende der unseligsten Zeit deutscher Geschichte stand Währungsreform und große Inflation. Deshalb müssen wir darauf achten, dass das solide und seriös gemacht wird, und nicht, wenn es dann mal wehtut und schwierig ist, als Erstes wieder Strukturprobleme mit mehr Geld zuzuschütten.
Heinemann: Rechnen Sie, Herr Brüderle, damit, dass die nächste Tranche in Höhe von 31 Milliarden Euro nach dem Troika-Bericht im September an Griechenland ausgezahlt werden kann?
Brüderle: Das kommt darauf an, wie der Troika-Bericht ausfällt.
Heinemann: Ein paar Informationen gibt es ja schon.
Brüderle: Ja Entschuldigung! Herr Schulz, der Präsident des Europäischen Parlaments, erklärt, das wird positiv sein. Woher er das weiß ... Ich kenne den Bericht nicht.
Heinemann: … hat Herr Schulz gestern bei uns gesagt.
Brüderle: Ja, ja, soll er ja sagen. Aber dann hat er Geheiminformationen. Andere kennen es nicht. Das muss seriös gemacht werden. Ich bin eher sehr ein bisschen vorsichtig, dass die Troika im September noch mal anreist, weil es offenbar bisher keine befriedigenden Auskünfte gibt. Das sollte man abwarten. Meine Meinung ist: Wenn der Bericht nicht bestätigt, dass sie wirklich überzeugend auf dem richtigen Weg sind, ist es schwerlich verantwortbar, weiteres Geld in ein Fass ohne Boden zu geben. Griechenland muss liefern, irgendwann ist auch dort die Stunde der Wahrheit.
Heinemann: Und das war es dann für Griechenland?
Brüderle: Das muss Griechenland entscheiden, was ist. Wenn die Voraussetzungen nicht erfüllt sind, wird Geld nicht ausgezahlt, und dann muss Griechenland entscheiden, welche Konsequenzen es daraus zieht, ob es dann endlich mal Ernst macht und nicht immer nur Versprechungen macht, die nicht gehalten werden. Wie oft wurden denn Aussagen gebrochen! Ich habe noch im Ohr, als der Vorgänger des jetzigen Ministerpräsidenten Papandreou in Berlin erzählt hat, wir brauchen keinen einzigen Cent, nein, es ist alles klar, wir haben alles im Griff. Das haben wir ja wie oft gehört! Griechenland muss jetzt seriös Veränderungen vornehmen im Land, und es geht nicht an, dass die Oberschicht das Geld aus dem Land herausschleppt, dass die Umsetzung von Veränderungen der Steuererhebung nicht funktioniert, dass man kein Katasterwesen ausbaut. Da gibt es ja eine Fülle von Hinweisen, was man alles machen müsste. Das Land hat keine modernen Strukturen, muss endlich sich aufraffen, auf den Weg zu mehr Wettbewerbsfähigkeit sich zu bewegen. Europa ist großzügigst bereit zu helfen, hat es getan, aber Solidarität ist keine Einbahnstraße, keine Leistung ohne Gegenleistung und die Krise macht keine Pause. Da muss eine klare Strategie verfolgt werden, sonst wird man an die Zukunft Europas nicht glauben. Mehr Europa ja, aber die Teilnehmer Europas müssen auch ihre vertragliche Verpflichtung erfüllen.
Heinemann: Herr Brüderle, die "Financial Times Deutschland" berichtet heute, im Bundesfinanzministerium bereite sich eine Arbeitsgruppe auf einen möglichen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone vor. Können Sie das bestätigen?
Brüderle: Das weiß ich nicht, ich bin nicht Mitglied der Administration im Finanzministerium.
Heinemann: Ist Ihnen vollkommen neu, diese Information?
Brüderle: Aber ich halte das für völlig normal, dass ein Ministerium auch Denkmodelle entwickelt für Worst-Case-Szenarien. Wenn Griechenland sich anders entscheidet – und sie entscheiden souverän selbst, nicht wir an ihrer Stelle -, müssen auch solche Gedankenmodelle natürlich durchgespielt werden. Es wäre fahrlässig, nicht auch nicht wünschenswerte Worst-Case-Situationen auch gedanklich zu durchspringen und Strukturen möglicherweise zu erkennen, die man dann auf den Weg bringen muss. Das gehört zu einer vorsorglichen planerischen Arbeit eines seriösen Ministeriums.
Heinemann: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie in einer Zeitung den Begriff "Pleite-Griechen" als durchgängige Bezeichnung für unsere europäischen Partner lesen?
Brüderle: Das ist nicht meine Sprache, ich finde das auch nicht gut. Die Griechen sind Freunde, sind europäische Partner, aber auch Freunden muss man die Meinung sagen können und auch Freunden muss man abverlangen, Zusagen einzuhalten und seriös rechtsstaatlich die Weiterentwicklung Europas mitzugestalten.
Heinemann: Rainer Brüderle, der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
Brüderle: Vielen Dank, auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
O-Ton Jean-Claude Juncker: "”Es wäre gut, wenn mehr Leute in Europa den Mund öfters halten würden.”"
Heinemann: Am Telefon ist Rainer Brüderle, der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion. Guten Morgen!
Rainer Brüderle: Guten Morgen, Herr Heinemann.
Heinemann: Herr Brüderle, kommt Andonis Samaras heute in die Höhle der Löwin?
Brüderle: Höhle der Löwin? Er kommt zum Platz der Klarheit, denn Vertrauen in eine Währung stärkt man ja nur – um Vertrauen geht es ja -, wenn man einen klaren Kurs fährt. Denn es hat ja keinen Sinn, ständig die Dinge wieder zu verändern, aufzuweichen. Weitere Zeit bedeutet letztlich auch mehr Geld. Das läuft dann je nach Ausgestaltung auf ein drittes Griechenland-Paket hinaus. Dazu ist meines Erachtens im Bundestag keine Bereitschaft, aus guten Gründen. Griechenland ist großzügigst geholfen worden, das ist eine Größenordnung von 200 Milliarden, wenn ich mal alles da zusammensortiere, was man ihnen an Möglichkeiten gegeben hat. Jetzt muss Griechenland mal liefern. Auch die jetzt regierende Mehrheitspartei der Konservativen hat ja in der Vergangenheit die Reformprozesse eben nicht durchgeführt, hat sie verschleppt, und jetzt ist einfach mal die Entscheidung in Athen gefordert, dass sie jetzt das glaubwürdig umsetzen. Nur mehr Geld hineingeben, ohne die Reformen glaubwürdig umzusetzen, löst die Probleme nicht. Kernproblem ist: Griechenland ist nicht wettbewerbsfähig, Griechenland hat Reformen jahrelang verschleppt, es hat eine Struktur, die einfach den modernen Anforderungen nicht entspricht, und daran müssen sie glaubwürdig arbeiten, dass man sieht, jawohl, sie nehmen nicht nur Geld, sondern sie tun etwas. Und daran fehlt es bisher, weil mehrfach feste Zusagen und Vereinbarungen gebrochen wurden, und das muss jetzt im September durch die Troika attestiert werden, ob sie entsprechende Fortschritte gemacht haben oder nicht.
Heinemann: Herr Brüderle, Stichwort "Platz der Klarheit" haben Sie gerade gesagt. Wir haben ja im Bericht von Stephan Detjen gerade die Herren Westerwelle und Schäuble gehört. Wir fassen zusammen: mit dem Bundesaußen- und dem Bundesfinanzminister für und gegen einen zeitlichen Aufschub. Wissen Sie, was gilt in dieser Regierung?
Brüderle: Nein, das ist überhaupt ja gar kein Gegensatz. Was Westerwelle gesagt hat, ist ja das, was ich auch sage: Die Kernzeitachse muss gehalten werden. Griechenland hat sich – ein souveräner Staat – den Luxus erlaubt, auf dem Höhepunkt seiner Wirtschaftskrise zwei nationale Wahlkämpfe durchzuführen, da ist natürlich Handlungsfähigkeit nicht da. Deshalb ist es eine Art Justierung, indem man da einige Wochen vielleicht anpasst. Darum geht es im Kern nicht, sondern man kann nicht wieder ein, zwei Jahre verschieben, was auch Herr Steinmeier fordert, dieses Laisser-faire. Das ist eine Fortsetzung einer falschen Strategie, die bedenkenlose Aufnahme Griechenlands, das die Voraussetzungen nicht erfüllt hat, das Aufweichen des Stabilitätspakts und jetzt auch noch weitere Fristen hineinzunehmen, Forderungen nach Schuldenunion. Kernpunkt ist: Man hat damals die politische Union - Rot-Grün, Große Koalition - nicht weiterentwickelt als Flankierung des Euros, den man eingeführt hat, sondern rückentwickelt. Da ist die Schwachstelle, die man verändern muss, und wir müssen im Grunde heute die Schwierigkeiten der Unterlassungen vergangener Jahre aufräumen, und da hilft es nicht, wieder in das Falsche hinein, in ein Laisser-faire zu flüchten, sondern nun muss man klare Kriterien umsetzen, und die Entscheidung, ob man das will, ob man das kann, liegt in Athen, nicht in Berlin und nicht in Brüssel.
Heinemann: Gleichwohl fordert Ihr Parteifreund Christian Lindner, man solle es nicht an einigen wenigen Tagen scheitern lassen. Das sagt der Chef der Liberalen in Nordrhein-Westfalen. Also noch mal mit Blick auf das bisher geleistete in Athen: zeitlicher Rabatt für Reform oder Null Rabatt?
Brüderle: Es geht doch nicht um Tage, das ist ja nicht das Problem. Man kann Tage oder auch wenige Wochen machen. Aber es geht doch nicht darum, dass man jetzt schon wieder fordert, wie Herr Steinmeier ein Jahr oder andere zwei Jahre. Damit ist doch schon wieder das Signal gesetzt, auch in Irland und Portugal, die einen harten Anpassungsweg gegangen sind: Man muss nur möglichst wenig machen, dann gibt es genügend Forderungen, ja, das ist ja alles gerechtfertigt, dann muss man wieder nachgeben, wieder draufschütten. Damit kriegt man in der Welt oder in Deutschland und in Europa kein Vertrauen in den Euro. Ohne Vertrauen in die Währung kann das nicht funktionieren. In einer sozialen Marktwirtschaft steuern wir über Preissignale, wenn wir inflationäre Tendenzen zulassen. Das ist die Folge von falscher Steuerung hier, dann haben wir Fehlsteuerungen der Wirtschaft, übrigens auch unsoziales Verhalten. Deutschland hat im Gencode drin die Sorge um Geldwertstabilität. Zu Beginn und Ende der unseligsten Zeit deutscher Geschichte stand Währungsreform und große Inflation. Deshalb müssen wir darauf achten, dass das solide und seriös gemacht wird, und nicht, wenn es dann mal wehtut und schwierig ist, als Erstes wieder Strukturprobleme mit mehr Geld zuzuschütten.
Heinemann: Rechnen Sie, Herr Brüderle, damit, dass die nächste Tranche in Höhe von 31 Milliarden Euro nach dem Troika-Bericht im September an Griechenland ausgezahlt werden kann?
Brüderle: Das kommt darauf an, wie der Troika-Bericht ausfällt.
Heinemann: Ein paar Informationen gibt es ja schon.
Brüderle: Ja Entschuldigung! Herr Schulz, der Präsident des Europäischen Parlaments, erklärt, das wird positiv sein. Woher er das weiß ... Ich kenne den Bericht nicht.
Heinemann: … hat Herr Schulz gestern bei uns gesagt.
Brüderle: Ja, ja, soll er ja sagen. Aber dann hat er Geheiminformationen. Andere kennen es nicht. Das muss seriös gemacht werden. Ich bin eher sehr ein bisschen vorsichtig, dass die Troika im September noch mal anreist, weil es offenbar bisher keine befriedigenden Auskünfte gibt. Das sollte man abwarten. Meine Meinung ist: Wenn der Bericht nicht bestätigt, dass sie wirklich überzeugend auf dem richtigen Weg sind, ist es schwerlich verantwortbar, weiteres Geld in ein Fass ohne Boden zu geben. Griechenland muss liefern, irgendwann ist auch dort die Stunde der Wahrheit.
Heinemann: Und das war es dann für Griechenland?
Brüderle: Das muss Griechenland entscheiden, was ist. Wenn die Voraussetzungen nicht erfüllt sind, wird Geld nicht ausgezahlt, und dann muss Griechenland entscheiden, welche Konsequenzen es daraus zieht, ob es dann endlich mal Ernst macht und nicht immer nur Versprechungen macht, die nicht gehalten werden. Wie oft wurden denn Aussagen gebrochen! Ich habe noch im Ohr, als der Vorgänger des jetzigen Ministerpräsidenten Papandreou in Berlin erzählt hat, wir brauchen keinen einzigen Cent, nein, es ist alles klar, wir haben alles im Griff. Das haben wir ja wie oft gehört! Griechenland muss jetzt seriös Veränderungen vornehmen im Land, und es geht nicht an, dass die Oberschicht das Geld aus dem Land herausschleppt, dass die Umsetzung von Veränderungen der Steuererhebung nicht funktioniert, dass man kein Katasterwesen ausbaut. Da gibt es ja eine Fülle von Hinweisen, was man alles machen müsste. Das Land hat keine modernen Strukturen, muss endlich sich aufraffen, auf den Weg zu mehr Wettbewerbsfähigkeit sich zu bewegen. Europa ist großzügigst bereit zu helfen, hat es getan, aber Solidarität ist keine Einbahnstraße, keine Leistung ohne Gegenleistung und die Krise macht keine Pause. Da muss eine klare Strategie verfolgt werden, sonst wird man an die Zukunft Europas nicht glauben. Mehr Europa ja, aber die Teilnehmer Europas müssen auch ihre vertragliche Verpflichtung erfüllen.
Heinemann: Herr Brüderle, die "Financial Times Deutschland" berichtet heute, im Bundesfinanzministerium bereite sich eine Arbeitsgruppe auf einen möglichen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone vor. Können Sie das bestätigen?
Brüderle: Das weiß ich nicht, ich bin nicht Mitglied der Administration im Finanzministerium.
Heinemann: Ist Ihnen vollkommen neu, diese Information?
Brüderle: Aber ich halte das für völlig normal, dass ein Ministerium auch Denkmodelle entwickelt für Worst-Case-Szenarien. Wenn Griechenland sich anders entscheidet – und sie entscheiden souverän selbst, nicht wir an ihrer Stelle -, müssen auch solche Gedankenmodelle natürlich durchgespielt werden. Es wäre fahrlässig, nicht auch nicht wünschenswerte Worst-Case-Situationen auch gedanklich zu durchspringen und Strukturen möglicherweise zu erkennen, die man dann auf den Weg bringen muss. Das gehört zu einer vorsorglichen planerischen Arbeit eines seriösen Ministeriums.
Heinemann: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie in einer Zeitung den Begriff "Pleite-Griechen" als durchgängige Bezeichnung für unsere europäischen Partner lesen?
Brüderle: Das ist nicht meine Sprache, ich finde das auch nicht gut. Die Griechen sind Freunde, sind europäische Partner, aber auch Freunden muss man die Meinung sagen können und auch Freunden muss man abverlangen, Zusagen einzuhalten und seriös rechtsstaatlich die Weiterentwicklung Europas mitzugestalten.
Heinemann: Rainer Brüderle, der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
Brüderle: Vielen Dank, auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.