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Raketenabwehrsystem Meads
"Wir brauchen einen Rundum-Schutz"

Das neue Luftabwehrsystem Meads sei das, was die Bundeswehr zu diesem Zeitpunkt brauche, sagte der SPD-Politiker Wolfgang Hellmich, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im Bundestag, im DLF. Das mit neuen Fähigkeiten versehene System decke eine Lücke und trage aktuellen Sicherheitsansprüchen Rechnung.

Wolfgang Hellmich im Gespräch mit Sandra Schulz | 10.06.2015
    Eine Luftabwehrrakete wird von einem fahrenden LKW aus in den blauen Himmel abgeschossen.
    Das Medium Extended Air Defense System - kurz Meads - bei einem Test im Jahr 2013. (picture alliance / dpa / MEADS International)
    In Zeiten hybrider Kriegsführung und asymmetrischer Kriege brauche man einen Rundum-Schutz. Damit könne man auch einen wichigen Beitrag innerhalb der NATO leisten.
    Das neue Waffensystem soll Angriffe mit Flugzeugen und Raketen abwehren können. Zu einer Einheit gehören unter anderem ein Gefechtsstand, ein 360-Grad-Radar und Raketenabschussrampen.
    Als positiv bewertete Hellmich auch ein besseres Projektmanagement unter Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Hier werde von Anfang an auch über Ausstiegsoptionen gesprochen.
    G36-Sturmgewehr Thema im Verteidigungsausschuss
    Am Nachmittag wollen die Mitglieder des Verteidigungsausschusses von dem ehemaligen Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) wissen, warum die Präzisionsprobleme beim Sturmgewehr G36 in seiner Amtszeit nicht aufgefallen waren. Es liege ein dicker Fragenkatalog auf dem Tisch, sagte Hellmich. Er sei aber zuversichtlich, dass bei dem Termin, an dem auch die amtierende Verteidigungsministerin von der Leyen teilnehme, Licht ins Dunkel gebracht werden könne. Die Angelegenheit sei beim Verteidigungsausschuss gut aufgehoben, betonte Hellmich. Einen Untersuchungsausschuss brauche man dafür nicht.

    Das Interview in voller Länge
    Sandra Schulz: Die USA haben schon vor vier Jahren gesagt, dieses Luftabwehrsystem schaffen wir für unsere Streitkräfte nicht an. Frankreich ist aus dessen Entwicklung auch schon ausgestiegen. Aber die deutsche Bundesregierung, die findet es gut, und gestern hat Verteidigungsministerin von der Leyen die Entscheidung offiziell gemacht, die Anschaffung des Luftabwehrsystems Meads. Es ist das erste eigene Rüstungsprojekt der CDU-Politikerin, milliardenschwer.
    Mitgehört hat Wolfgang Hellmich (SPD). Er ist der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag. Guten Morgen.
    Wolfgang Hellmich: Guten Morgen, Frau Schulz.
    "Meads deckt die Lücke, die Patriot aufmacht"
    Schulz: Für die Bundeswehr soll das Flugabwehrsystem Meads angeschafft werden. Ist das gut?
    Hellmich: Es deckt eine Lücke in unserem Fähigkeitsprofil in einem Zeitraum bis zirka 2025, wo wir wissen, dass das bestehende Patriot-System ausläuft, nicht mehr verwendungsfähig ist, und dafür gibt es dann einen Ersatz, der genau diese Lücke, die Patriot aufmacht, schließt und mit neuen Fähigkeiten versehen ist. Rundumschutz, die 360 Grad sind gerade genannt. Das ist das, was an dieser Stelle die Bundeswehr zu diesem Zeitpunkt auch braucht.
    Schulz: Die Opposition kritisiert das Projekt ja als nächstes Milliarden-Grab im Beschaffungswesen der Bundeswehr. Was macht Sie da so zuversichtlich, dass genau das nicht passieren wird?
    Hellmich: Wir sehen in den letzten Wochen und in den letzten Monaten sehr deutlich, dass es bei Rüstungsprojekten ein anderes, kritisches, offeneres Projektmanagement gibt, dass es einen neuen Ansatz gibt, auch mit vertraglichen Ausstiegsoptionen zu arbeiten. Das macht uns eigentlich hoffnungsfroh, dass das Management, das Projektmanagement an dieser Stelle besser wird und besser geworden ist, und die Absicht besteht, das auch besser zu machen.
    Schulz: Aber wie frei konnte die Ministerin denn entscheiden, wenn schon eine Milliarde Euro Steuergelder in das Projekt reingeflossen ist?
    Hellmich: Ja ich denke mal, die Kosten für das eine oder das andere Projekt sind an der Stelle exakt, fast gleich. Es gibt keinen großen Kostenunterschied zwischen einem Projekt Meads und einem Projekt einer entwickelten Patriot-Serie. An der Stelle sind auch in anderen Systemen die Kosten, die reingeflossen sind, die Produkte, die herauskommen, was zum Beispiel Radar und anderes angeht, auch verwendbar.
    Ich denke, diese eine Milliarde, das ist das, was von Beginn an das Projekt bereits in der Tat gekostet hat. Die sind auf jeden Fall unterbringbar und verwendbar. Das war, glaube ich, nicht der Druck an dieser Stelle, sich für Meads zu entscheiden. Das waren andere Gründe.
    "Meads entspricht den modernen Anforderungen von Kriegsführung"
    Schulz: Wofür braucht die Bundeswehr diese Systeme überhaupt?
    Hellmich: Es geht nun mal darum, dass wir in einer anderen Sicherheitslage leben. Wir reden über zum Beispiel hybride Kriegsführung. Wir reden darüber, dass moderne neue Möglichkeiten und Technologien einen Angriff von jeder Seite zum Beispiel auf Feldlager, auf kritische Infrastrukturen, Kraftwerke möglich macht und auch Großstädte, und dafür ein System zu haben, das auch diesen Rundumschutz gewährt, das ist eine technologische Neuerung und ein Fortschritt, der auch den aktuellen Sicherheitsbedürfnissen entspricht.
    Schulz: Aber, Herr Hellmich, gerade da gibt es ja die Kritik, nicht nur aus der Opposition, sondern auch von Experten, dass gerade diese Prioritätensetzung nicht stimmt, weil sich ja zeigt, Sie haben es auch angedeutet, dass asymmetrische Auseinandersetzungen mehr werden. Da brauche man kein Luftabwehrsystem, heißt es, weil zum Beispiel der IS ja auch keine Luftwaffe hat. Ist die Entscheidung denn wirklich auf die Auseinandersetzungen des 21. Jahrhunderts ausgerichtet?
    Hellmich: Es geht um IS, es geht um die Möglichkeiten, die technologischen Möglichkeiten, die weltweit schlichtweg entwickelt sind, und das bedeutet, dass zum Beispiel auch Raketen der mittleren Reichweite nicht nur in eine Richtung fliegen, sondern auch lenkbar sind. Das ist das Problem des Rundumschutzes.
    Deshalb eine solche Fähigkeit aufzubauen oder Fähigkeit zu haben, entspricht in der Tat eher den modernen Anforderungen von Kriegsführung, die heutzutage möglich ist. Da würde ich mit den Experten, die da sagen, das ist alles nicht so, einfach schlichtweg nicht mitgehen, weil wir haben zum Beispiel im Zuge der NATO auch diese Analysen vorgenommen und sehen das auch, dass es da andere Fähigkeiten braucht.
    Deshalb hat Deutschland ja auch gesagt, eine solche Fähigkeit auch in den internationalen Kontext, zum Beispiel in die NATO mit einbringen zu wollen als Framework Nation.
    Gegenseitige Demontage bei G36-Termin im Verteidigungsausschuss?
    Schulz: Wolfgang Hellmich, der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Ich möchte mit Ihnen noch auf einen Termin schauen, einen Termin im Verteidigungsausschuss heute Nachmittag, auf einen ganz besonderen Termin. Da geht es um das Gewehr G36.
    Die amtierende Verteidigungsministerin, Ursula von der Leyen, kommt und der frühere Verteidigungsminister und jetzige Innenminister Thomas de Maizière. Was erwarten Sie von dem Termin? Werden da zwei CDU-Minister versuchen, sich gegenseitig zu demontieren?
    Hellmich: Davon gehe ich nicht aus, sondern es geht darum, dass wir Licht in der einen oder anderen Stelle in das Dunkel hineinbringen, was die Vorgänge um das G36 angeht. Es gibt dicke Fragenkataloge, die auf dem Tisch liegen, die zum Teil neu sind, die zum Teil aber auch schon bearbeitet und abgearbeitet sind.
    Das, was wir als Verteidigungsausschuss an dieser Stelle tun können und gemacht haben, die Bitte an beide Minister, an beide Kabinettsmitglieder weiterzuleiten, im Ausschuss zu Fragen zur Verfügung zu stehen, und ich denke, genau das wird auch heute Nachmittag passieren, dass die Fragen, die da noch offen sind, gestellt werden und auch geklärt werden. Von gegenseitigen Demontagen - nein, ich glaube das ist weder das Interesse einer Befassung im Ausschuss, noch sonst ein Interesse.
    "Es muss schneller an Lösungen gearbeitet werden"
    Schulz: Aber die Minister sind ja ganz gegensätzlicher Meinung. Von der Leyen sagt, die Gewehre müssen ausgetauscht werden; de Maizière sagt, er sieht, ganz knapp gesagt, nicht, wo das Problem ist. Wie wollen Sie diesen Konflikt, wie wollen Sie diese Widersprüche denn nachher aufgelöst bekommen?
    Hellmich: Den Widerspruch aufzulösen, wird, glaube ich, heute so nicht gehen, sondern wir werden ein realistisches Bild über die Situation herstellen müssen. Diese Situation sagt uns, es gibt zu 90 Prozent ein fehlerfreies Funktionieren des Gewehres, es gibt zu zehn Prozent unter bestimmten Bedingungen eine Fehlfunktion nach den Untersuchungen, die wir auf dem Tisch liegen haben.
    Und das Interesse, das wir haben müssen, ist, unseren Soldatinnen und Soldaten die Instrumente, das heißt auch die Gewehre für die Einsätze in die Hand zu geben, die sie brauchen, die sicher sind, mit denen sie umgehen können. Ich glaube, das steht im Mittelpunkt.
    Schulz: Aber sind diese Argumente nicht tatsächlich auch ein Argument für einen Untersuchungsausschuss?
    Hellmich: Das, was wir im Verteidigungsausschuss bis jetzt geleistet haben und was wir an Informationen in großer Transparenz auf dem Tisch liegen haben, sagt mir eigentlich, dass wir in diesem Format des Verteidigungsausschusses diese Probleme bearbeiten und mit Lösungen versehen können, Lösungen, die dann durch das Ministerium in Gang gesetzt werden müssen. Da ist die Vorstellung, dass die Lösung erst in vier Jahren da ist, uns wesentlich zu spät. Da muss schneller dran gearbeitet werden.
    Ich glaube, diese Arbeit können wir als Verteidigungsausschuss leisten und leisten das auch, und ich bin mir sicher, wir werden nicht mehr sehr viele Sondersitzungen brauchen, sondern wir werden uns mit den Fragen dann wieder neu befassen, wenn die Kommissionsberichte der Müller-Kommission und der Nachtwei-Kommission und der Hofe-Kommission auf dem Tisch liegen. Also wird uns das Thema noch eine ganze Zeit befassen aufgrund von Sachinformationen.
    Schulz: Wolfgang Hellmich von der SPD, Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im Bundestag und hier heute in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Herzlichen Dank Ihnen.
    Hellmich: Danke gleichfalls.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.