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Ralf Stegner
"Mit der SPD wird das Asylrecht nicht verändert"

Ralf Stegner hat sich gegen eine Änderung am Asylrecht ausgesprochen. "Mit der SPD wird das Asylrecht nicht verändert", sagte der stellvertretende Bundesvorsitzende der SPD im Deutschlandfunk. Er plädiert zudem für eine Aufstockung der Finanzhilfen an die Kommunen durch den Bund - aber nur unter Einbeziehung der Länder.

    Der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Ralf Stegner.
    Der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Ralf Stegner. (dpa / Carsten Rehder)
    Bundesinnenminister Thomas de Maizière will bis Ende Oktober mehrere Gesetzesänderungen auf den Weg bringen, um den Bau von Unterkünften und die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber zu beschleunigen. In der SPD waren Befürchtungen laut geworden, dass so das Asylrecht geändert werden sollte.
    "Es ist soviel zu tun, da sollten wir nicht über eine Veränderung des Asylrechts nachdenken", sagte Stegner. "Wir haben gute Gründe gehabt, das Asylrecht einzuführen." Nach der Nazidikatur sei ein Grundgesetz geschaffen worden, damit Menschen Schutz finden können. "Dafür gibt es gute Gründe. Wir sollten aufhören, Flüchtlinge zu bekämpfen, sondern die Ursachen für ihre Flucht." Stegner forderte schnellere Verfahren und dafür mehr Entscheider. "Das ist eine Aufgabe des Bundesinnenministers."
    Stegner sprach sich dagegen aus, das Grundgesetz zu ändern, damit der Bund die Kommunen finanziell direkt - an den Bundesländern vorbei - unterstützen kann. Es wäre falsch, die Länder und Städte gegeneinander auszuspielen, sagte der SPD-Politiker. Stattdessen sollte der Bund seine Finanzhilfen aufstocken. Für die Unterbringung, die sprachliche Förderung und medizinische Versorgung der Flüchtlinge würden rund drei Milliarden Euro gebraucht.

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Angela Merkel hat gestern Bemerkenswertes in Bern gesagt. "Wer sich vor einer Islamisierung fürchtet, der sollte für die eigene Gesellschaft erst einmal die Gretchenfrage beantworten: Wie hast Du's mit der Religion?" Angela Merkel: "Wenn Sie mal Aufsätze in Deutschland schreiben lassen, was Pfingsten bedeutet, da, würde ich mal sagen, ist es mit der Kenntnis über das christliche Abendland nicht so weit her. Und sich anschließend zu beklagen, dass Muslime sich im Koran besser auskennen, das finde ich irgendwie komisch."
    Heinemann: Darüber könnte man ja einmal nachdenken. - Eins steht fest: Bei erwarteten 800.000 Menschen muss schneller entschieden werden, am besten per Mausklick und weniger mit Ärmelschonern und Aktenwägelchen. Thomas de Maizière möchte auf dem Verwaltungsweg an der einen oder anderen Haltestelle vorbeifahren. Dazu denkt der Bundesinnenminister auch über die Änderung des Grundgesetzes nach.
    Am Telefon ist Ralf Stegner, SPD-Fraktionschef in Schleswig-Holstein und stellvertretender Bundesvorsitzender. Guten Morgen.
    Ralf Stegner: Guten Morgen, Herr Heinemann.
    Heinemann: Herr Stegner, viele werden sich und vieles wird sich ändern. Warum nicht auch das Grundgesetz?
    Stegner: Wir haben das Grundgesetz schon mal geändert, Anfang der 90er-Jahre, und ich glaube, die Substanz unseres individuellen Rechts, dass politisches Asyl geprüft wird, die dürfen wir nicht einschränken. Und vor allen Dingen: Es lenkt ja auch ab von den Dingen, die eigentlich zu tun sind. Wenn so viele Menschen kommen, dann müssen wir dafür sorgen, dass sie gut untergebracht werden, dass schnell entschieden wird, wer verfolgt ist und wer nicht, dass medizinische Betreuung erfolgt, dass die, die integriert werden, Sprachförderung bekommen.
    Es ist so viel zu tun, da sollten wir jetzt nicht über Veränderungen am Asylrecht nachdenken, für die es keine politische Mehrheit gibt - wir wollen das nicht -, die im Übrigen auch schnell gar nicht zu machen wären. - Ich sage noch mal: Die Menschen erwarten doch jetzt, dass wir was tun, dass wir die praktischen Fragen lösen.
    "Wir sollten aufhören, die Flüchtlinge zu bekämpfen"
    Heinemann: Ich habe aber immer noch nicht verstanden, warum Sie das Asylrecht nicht ändern wollten.
    Stegner: Wir haben gute Gründe gehabt, das Asylrecht einzuführen in Deutschland. Wir haben nach der Nazi-Zeit ja in der Bundesrepublik Deutschland ein Grundgesetz geschaffen, das darauf Wert legt, dass Menschen, die flüchten vor Verfolgung, vor Krieg und Bürgerkrieg, dass die Schutz finden können bei uns. Dafür gibt es gute Gründe und wir sollten aufhören, die Flüchtlinge zu bekämpfen, uns eher darum kümmern, die Fluchtursachen zu bekämpfen. Das muss der Grundsatz sein und dazu hilft das nicht.
    "Mit der SPD wird das Asylrecht nicht verändert im Grundgesetz"
    Heinemann: Herr Stegner, es geht ja nicht um eine Abschaffung des Asylrechts. Es geht darum, möglicherweise Menschen aus Ländern, wo die Anerkennungsquote bei gerade mal zwei Prozent liegt, davon auszuschließen. Alle anderen sollten natürlich nach wie vor von diesem Recht Gebrauch machen können.
    Stegner: Aber erstens sind zwei Prozent nicht null, sondern zwei Prozent, und zweitens kann das sich ja auch ändern und die Anerkennungsquoten wechseln ja auch. Es geht nicht darum, dieses individuelle Prüfrecht abzuschaffen, sondern schnell festzustellen, ob jemand verfolgt ist.
    Auch die SPD sagt nicht, jeder der hier ist kann hier bleiben. Das ist doch klar! Und wir sollten darüber reden, was wir mit denen tun, die deswegen bei uns das Asylverfahren anstreben, weil sie aus bitterer Armut oder Perspektivlosigkeit mit ihren Familien geflohen sind. Auch da gibt es ja Möglichkeiten und es gibt ja auch Vorschläge der SPD, was man da tun kann, anstatt uns jetzt zu verhaken in einem Punkt, wo ich noch mal sage, mit der SPD wird das Asylrecht nicht verändert im Grundgesetz.
    Das kommt nicht in Frage. Das ist der falsche Weg. Und noch mal: Wir erleben doch jetzt, dass sich weltweit Menschen auf den Weg machen, weil sie flüchten müssen. Man muss sich mal reinversetzen in Menschen, die überhaupt gar keine Perspektiven mehr zuhause sehen, sodass sie ihre Heimat aufgeben, dass sie in ein Land gehen, wo sie nicht wissen, wie sie angenommen werden, und wir sehen ja gerade, was in Europa auch los ist, wenn der ungarische Premier sagt, das sei doch ein deutsches Problem und keine rein europäische Sache.
    "Wir brauchen mehr Entscheider"
    Heinemann: Bleiben wir noch mal kurz bitte beim Asylrecht. In letzter Konsequenz dessen, was Sie sagen, bleibt es dann bestehen bei dem Dreiklang herkommen, Ablehnung, hier bleiben.
    Stegner: Nein, das ist nicht richtig. Ich glaube, man kann deutlich schneller die Verfahren durchführen. Man muss das auch tun. Dafür ist übrigens der Bundesinnenminister verantwortlich. Das ist nämlich ein Bundesamt, was das regelt, dass schneller herausgefunden wird. Da brauchen wir mehr Entscheider, das muss schneller geprüft werden, dass herausgefunden wird, ob jemand verfolgt ist oder nicht. Und die, die hier bleiben, die müssen integriert werden, und die, die nicht hier bleiben können, die müssen auch in ihre Heimatländer zurück. Aber auch das ist in Teilen nicht so einfach, weil es da manchmal Hinderungsgründe gibt, zurückzukehren.
    "Die Behörden müssen zeigen, dass wir in der Lage sind, das Problem zu lösen"
    Heinemann: Also bleiben sie hier?
    Stegner: Sie bleiben nicht alle hier. Und im Übrigen: Manche gehen ja auch deswegen den Weg ins Asylverfahren, weil sie keinen anderen Weg sehen. Deswegen hat Olaf Scholz, wie ich finde, zurecht vorgeschlagen, dass wir zum Beispiel Flüchtlinge, die aus Balkan-Staaten kommen, die in die EU streben, dass man denen Zugang zum Arbeitsmarkt gewährt, also wer einen Arbeitsvertrag hat hier bleiben darf, so wie wir das übrigens kennen von den Gastarbeitern früher aus Jugoslawien, und wenn ein Staat in die EU kommt, herrscht ja sowieso Freizügigkeit. Das könnte man zum Beispiel tun und deswegen kann man das eine vom anderen nicht trennen.
    Wir haben auch innerhalb Europas einiges zu tun, damit das hier besser wird, denn wenn der ungarische Premier sagt, das sei ein deutsches Problem, dann meint er damit, Flüchtlinge werden hier ordentlich behandelt und anderswo nicht, und das kann doch nicht wahr sein, dass wir Fördergelder bezahlen und in Europa Roma diskriminiert werden und deswegen flüchten müssen, oder dass wir Zustände haben, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken oder jämmerlich ersticken in Lastwagen.
    Das sind alles Dinge, die man wirklich ändern kann und muss, und die SPD macht seit Monaten Vorschläge, wie das besser gehen kann und wie wir die praktischen Probleme lösen.
    Wir haben unermesslich viele Menschen, die in Deutschland helfen und hilfsbereit sind, und die Behörden müssen zeigen, dass wir in der Lage sind, dieses Problem zu lösen, und das sind wir übrigens.
    Heinemann: Herr Stegner, bleiben wir noch mal beim Grundgesetz. Das Asylrecht ist das eine; andere Änderungen betreffen weitere Bereiche. Was spricht zum Beispiel dagegen, auf dem endlosen Verwaltungsweg Abkürzungen zu nehmen, dass zum Beispiel der Bund direkt Kommunen helfen kann?
    Stegner: Es spricht vor allen Dingen nichts dagegen, diese Veränderungen durchzuführen, von denen Sie berichtet haben, was Baurecht und solche Fragen angeht, damit schneller gebaut werden kann. Das ist alles in Ordnung.
    Aber die Kommunen sind Teil der Länder und Länder und Kommunen arbeiten ja zusammen bei den Problemen, die wir haben. Das kann man doch überall sehen. Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat in dieser Woche dem Landtag in einer eindrucksvollen Rede geschildert, was alles geschieht zwischen Land und Kommunen dort, und das ist in Schleswig-Holstein auch so, in anderen Ländern auch. Was wir brauchen sind mehr Mittel vom Bund, mindestens drei Milliarden Euro mehr, damit die Kosten für Unterbringungen getragen werden können, damit die Gesundheitskosten getragen werden können und damit wir was tun können für die sprachliche Integration, weil das ja der Beginn ist für viele, die hier bleiben, dass sie eine Perspektive haben.
    Das heißt, wir werden schon einen Weg finden, wie die Mittel kommen. Sie müssen nur endlich mal bezahlt werden, und das heißt strukturelle Hilfen. Der Bund hat ja ganz lange Zeit negiert, dass es so viele Flüchtlinge sein würden, wie wir sie jetzt haben, und jetzt muss das schneller sein. Also noch mal: Die Verfahren kann man nur beschleunigen, wenn man mehr Entscheider hat. Das ist die Verantwortung von Herrn de Maizière.
    "Wir haben entsetzlich viele Anschläge gegen Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland"
    Heinemann: Aber die Länderbürokratie ist für Sie quasi ein Selbstzweck? Es gibt sie, also muss man sie beschäftigen.
    Stegner: Das ist doch Unsinn. Entschuldigung! Es geht nicht um Länderbürokratie und ich habe gerade selber gesagt, alles was bürokratischen Aufwand minimiert, das kann man gerne machen. Der Punkt ist: Im Augenblick krempeln doch alle die Ärmel hoch und tun, was sie können. Wir schaffen immer mehr Erstaufnahme-Einrichtungen überall in den Ländern und da muss mehr geschehen mit Mitteln, die vom Bund kommen müssen. Statt jetzt Länder gegen Kommunen auszuspielen und über Zuständigkeiten zu streiten sollten wir dafür sorgen, dass wir mindestens drei Milliarden Euro mehr bekommen.
    Schauen Sie, die Union macht ganz andere Diskussionen. Sie diskutiert darüber, ob man das Taschengeld kürzt oder Sachleistungen macht, was großer Unfug ist, weil es mehr Bürokratie erzeugt. Schikanen gegen Flüchtlinge, das hilft nicht. Was wir machen sollten ist eher Vereinfachungen. Zum Beispiel tritt der Bundesgesundheitsminister nicht für eine Gesundheitskarte ein für Flüchtlinge, wie wir das fordern. Das entlastet die Kommunen, das hilft unmittelbar und löst Probleme, und so gibt es viele Dinge.
    Denn schauen Sie: Wenn wir das nicht schaffen, die praktischen Probleme zu lösen, dann gewinnen die Auftrieb, die ja momentan schon Flüchtlingshetze betreiben. Wir haben entsetzlich viele Anschläge gegen Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland und dabei gerät dann in den Hintergrund, wie viele Menschen sich engagieren, um zu helfen. Dieses Deutschland packt nämlich an, um Flüchtlinge willkommen zu heißen.
    Heinemann: Thema Einwanderungsgesetz. Wir wollen noch mal Wolfgang Bosbach hören:
    Wolfgang Bosbach: "Ich bitte jeden darum, der für ein Einwanderungsgesetz wirbt, doch einmal konkret mitzuteilen, was in diesem Gesetz drinstehen soll, was sich von der gegenwärtigen Rechtslage im Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung unterscheidet. Ich persönlich kenne ausschließlich Vorschläge für eine Ausweitung der Zuwanderung, beispielsweise durch ein Punktesystem für eine noch stärkere Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes für Drittstaatsangehörige. Ich kenne keinen Vorschlag, der praxistauglich wäre, der verfassungskonform wäre, für eine Reduzierung der Zuwanderung."
    "Zuwanderung nicht immer als ein Problem sehen, sondern auch als eine große Chance"
    Heinemann: Herr Stegner, können Sie uns Ihre Vorschläge zur Verringerung von Zuwanderung bitte nennen?
    Stegner: Es geht nicht darum, Zuwanderung insgesamt zu verringern, sondern es geht darum, dass wir auf der einen Seite denjenigen, die verfolgt sind, helfen, und auf der anderen Seite zum Beispiel diejenigen, die beispielsweise Qualifikationen mitbringen, dass sie auf dem Arbeitsmarkt helfen könnten, denen eine Perspektive zu geben, dass sie sich schneller integrieren und eben nicht in diesen Verfahren sind, die ja für alle belastend sind. Und ich glaube einfach, die Erkenntnis, dass wir Zuwanderung brauchen, die muss sich in der Union noch ein bisschen weiter ausdehnen.
    Wir haben eine demografische Entwicklung, wo ganze Landstriche bei uns entvölkert werden, wo wir kaum noch Kinder und Jugendliche haben, wo die jungen Leute weggehen, und insofern sollten wir die Zuwanderung nicht immer als ein Problem sehen, sondern auch als eine große Chance, die wir haben, die in der Vielfalt liegt und übrigens auch im Ehrgeiz der Menschen, die hier zu uns kommen. Die haben manchmal so vieles hinter sich und freuen sich, wenn sie da sind, suchen eine neue Heimat und sind willens, sich hier zu integrieren und etwas zu tun.
    Und noch mal: Wenn wir nicht glauben, dass Deutschland das alleine schultern kann, wenn wir es schaffen, in europäischer Solidarität dafür zu sorgen, dass wir bessere Verteilung in Europa haben, dann können wir unseren Anteil auch schultern und dann ist das Thema Zuwanderungsgesetz ein zusätzlicher Baustein, dieses zu bewerkstelligen.
    Aber ich kann gar nicht verstehen, warum dieses große Deutschland sich so verhält. In Fragen, wenn es um Grexit und Finanzunion und Währungsunion geht, da setzen wir uns in Europa durch, aber wenn es um eine Flüchtlingspolitik, eine gemeinsame in Europa geht, da scheitern wir jämmerlich. Europa ist eine Wertegemeinschaft und deswegen geht das nur gemeinsam, aber Deutschland kann da einen großen Teil leisten, nur nicht alleine, und ich freue mich darüber, dass es jetzt gemeinsame Anstrengungen mit Frankreich gibt, dass wir zu einer gesamteuropäischen Lösung kommen. Da brauchen wir humanitäre Lösungen auf der einen Seite und ein Zuwanderungsgesetz auf der anderen.
    Heinemann: Und wir brauchen die Nachrichten.
    Ralf Stegner, der stellvertretende SPD-Vorsitzende. Danke schön fürs Gespräch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.