Jörg Münchenberg: Mit Annegret Kramp-Karrenbauer hat sich der liberale Flügel innerhalb der CDU und die Vertraute auch der Bundeskanzlerin durchgesetzt, auch wenn die neue Parteichefin schon hat durchblicken lassen, dass sie nicht in allen Punkten der Linie von Angela Merkel folgen wird. Schon im Januar soll es etwa Gespräche zur Flüchtlings- und Sicherheitspolitik geben.
Was bedeutet nun der Führungswechsel bei der CDU für die Regierungsarbeit im Allgemeinen und die SPD im Besonderen? Das soll SPD-Vize Ralf Stegner beantworten. Er ist jetzt am Telefon. Herr Stegner, einen schönen guten Morgen!
Ralf Stegner: Guten Morgen, Herr Münchenberg.
Münchenberg: Herr Stegner, Annegret Kramp-Karrenbauer, Vertreterin des liberalen Flügels, führt jetzt die CDU. Ist das aus Sicht auch der SPD die bessere Wahl?
Stegner: Na ja. Zunächst mal, glaube ich, ist es immer schlau, dass jede Partei ihre eigenen Herausforderungen löst und sich nicht definiert über die Führung anderer Parteien. Aber interessant war das schon, sich das anzusehen, und Frau Kramp-Karrenbauer wird sicherlich jetzt eine Menge Arbeit haben, die Wiedervereinigung der Union zu betreiben, denn das war ein sehr knappes Ergebnis und man hat ja da gesehen, dass doch die Meinungen sehr weit auseinanderstreben.
Nicht noch ein Sommertheater aufführen
Münchenberg: Nun hat sie ein erstes Zeichen gesetzt, hat mit Paul Ziemiak auch einen Vertreter des konservativen Flügels zum Generalsekretär gemacht. Heißt das, jetzt vielleicht auch aus Sicht der SPD, das Regieren wird eher schwieriger oder eher leichter?
Stegner: Dass sich was ändern muss in der Regierung, dass es besser werden muss, das haben wir ja nun in den letzten Wochen und Monaten hinreichend gesehen. Wir können uns sicherlich nicht erlauben, das Sommertheater wieder aufzuführen, was wir gesehen hatten zwischen CDU und CSU zur Flüchtlingspolitik. Das weiß Frau Kramp-Karrenbauer. Und die Grundlage ist natürlich der Koalitionsvertrag, den wir ausgehandelt haben.
Auf der anderen Seite sage ich noch mal: Es ist für die SPD nicht schlau, sich zu definieren über die Führung anderer Parteien, sondern wir müssen unsere eigenen Herausforderungen lösen. Dazu gehört neben der Regierungsarbeit – da war bisher sicher die SPD der professionelle Teil der Bundesregierung -, dass wir aber auch über das, was mit der Union zustimmungsfähig ist, hinaus definieren, was wir richtig finden, zum Beispiel bei Fragen der sozialen Sicherung nach Hartz IV, zum Beispiel beim Thema Arbeit und Umwelt, oder zum Beispiel auch beim Thema, wie wir mit gutem Beispiel vorangehen für ein soziales Europa, gegen die Nationalisten und bei globalen Gerechtigkeitsfragen. Das sind wichtige Themen und da werden die Unterschiede zwischen CDU und SPD herausgearbeitet werden müssen, egal wer die Union führt.
Münchenberg: Auf die einzelnen Punkte kommen wir gleich zu sprechen. Noch mal eher das Grundsätzliche, das Klima. Es gab diesen Zwist in der Großen Koalition im Sommer. Der hat ja auch beiden massiv geschadet, CDU und SPD bei den Landtagswahlen. Auf der anderen Seite gibt es ja diese Spaltung oder diese beiden unterschiedlichen Flügel sehr stark in der CDU. Wird das das Regieren insgesamt nicht doch eher anfälliger machen?
Stegner: Vielleicht weist das eher ein bisschen auf die Erosionsprozesse hin, die es in der Union gibt. Bisher haben ja fast alle immer nur auf die Schwierigkeiten in der SPD geschaut. Frau Kramp-Karrenbauer weiß, glaube ich, sehr genau, dass man einerseits sich durch gute Regierungsarbeit hervortun muss, wenn man Erfolge haben will, etwa gegen die rechten Populisten, und auf der anderen Seite man das Profil der eigenen Partei herausstellen muss. Das nützt am Ende beiden, wenn die Unterschiede klar sind.
Gleichzeitig haben wir ja in der Regierungsarbeit auch ein paar konkrete Dinge zu lösen. Nehmen Sie die Dieselfrage zum Beispiel; das ist bisher nicht überzeugend, was dabei herausgekommen ist. Die Autofahrer haben immer noch den Eindruck, dass die Automobilkonzerne machen, was sie wollen und am Ende die Autofahrer draufzahlen. Das kann es nicht sein.
Dann muss was getan werden für Luftreinhaltung in den Städten. Und alle wissen auch: Wenn moderne Antriebe in Japan und China gebaut werden, gehen die Arbeitsplätze dahin. Das muss zum Beispiel gelöst werden in der Regierung.
"Schärfere Linie hat der CSU nicht genützt"
Münchenberg: Herr Stegner, zum Beispiel hat Frau Kramp-Karrenbauer auch schon angekündigt, sie will jetzt ein Werkstattgespräch, wie es heißt, über Migration und Sicherheit führen. Auch der Chef der Mittelstandsvereinigung, Carsten Linnemann, hat heute Morgen in diesem Programm gesagt: Ja, das ist für die Union ein ganz wichtiges Thema. Droht da nicht schon neuer Streit wieder mit der SPD, wenn die CDU hier eine schärfere Linie fahren wird?
Stegner: Eine schärfere Linie haben wir ja gerade bei der CSU gesehen die ganze Zeit. Genützt hat das der CSU jedenfalls nicht und den Menschen auch nicht. Und wir haben auch da einen klaren Koalitionsvertrag, Aushöhlung des Asylrechts etwa, oder aber, dass wir bei denjenigen, die bei uns in Ausbildung und Arbeit sind, dass die nicht abgeschoben werden. Da wird auch die Wirtschaft darauf bestehen. Wir sollten uns um die kümmern, die hier Straftäter sind, und nicht Menschen abschieben, die hier in Ausbildung oder Arbeit sind. Wir hatten vereinbart, dass zum Beispiel diese drei plus zwei Regelung, auf gut Deutsch gesagt, wenn jemand einen Ausbildungsplatz hat, dass er hier bleiben darf, dass die bundesweit angewandt werden muss und nicht in der restriktiven Form, wie die Bayern das machen. Insofern bestehen wir da schon auf den Vertrag. Das gilt auch für andere Themen. Ich habe gesehen, der CDU-Parteitag hat beschlossen, man will jetzt Steuererleichterungen für Spitzenverdiener haben.
Münchenberg: Es soll aber auch der Solidaritätszuschlag schon 2021 vollständig abgeschafft werden. Das steht so im Koalitionsvertrag nicht. Droht da nicht doch neuer Zwist, denn auch AKK muss ja ihrer eigenen Partei liefern?
Stegner: Ja, gut. Aber das wird nicht zu Lasten der SPD gehen können. Wir müssen den Koalitionsvertrag einhalten. Der ist vereinbart worden für die gesamte Legislaturperiode. Wir haben gesagt, wir bewerten in der Mitte der Legislaturperiode mit einer Revisionsklausel, wie das insgesamt gegangen ist. Aber klar ist, die SPD sieht ganz andere Aufgaben, als den Spitzenverdienern Steuererleichterungen zu geben oder die Rüstungsausgaben massiv nach oben zu schrauben. Auch das hat ja der CDU-Parteitag beschlossen, dass sie das wollen. So was geht mit der SPD nicht. Wir müssen uns um andere Dinge kümmern, zum Beispiel um gute Arbeitsbedingungen in der digitalen Arbeitsgesellschaft und soziale Sicherheit für viele Menschen, um stabile Renten und nicht darum, dass die, die eh schon am meisten haben, noch was draufkriegen. Das können wir nicht brauchen.
Vernünftige Lösung bei Paragraph 219a finden
Münchenberg: Herr Stegner, lassen Sie uns noch auf einen anderen Streitpunkt schauen: Paragraph 219a. Da geht es um Werbe- und Informationsverbot für Abtreibungen. Viele in der SPD wollen das auch ändern. Muss sich da die CDU bewegen?
Stegner: Wir müssen da mindestens einen ordentlichen Kompromiss machen. Denn schauen Sie, wir haben eine Regelung zum Thema Abtreibung, die in den letzten 20 Jahren ja für Befriedung gesorgt hat, und es sind jetzt Fundamentalisten, die mit Klagen dafür sorgen, dass Ärzte vor den Kadi gedrängt werden, die nur geltendes Recht anwenden. Das kann ja nicht richtig sein, wenn Frauen in einer Zwangslage sich an jemanden wenden, und dann werden die Leute kriminalisiert. Da muss es eine vernünftige Lösung geben, mit der man zurechtkommen kann. Da wird das Gesetz nicht so bleiben können, wie es ist, und dazu werden die Gespräche auch geführt.
Münchenberg: Am Mittwoch soll das auch Thema sein im Koalitionsausschuss. Was erwarten Sie da auch von Ihrer eigenen Parteichefin Andrea Nahles?
Stegner: Ich habe da gar keine Bedenken, dass Andrea Nahles nicht versucht, mit der Unions-Führung am Ende eine vernünftige Regelung herauszubekommen, die dazu führt, dass Leute nicht länger kriminalisiert werden und dass dieser unmögliche Umstand aufhört. In Koalitionen ist es nie so, dass sich eine Seite komplett durchsetzt, aber es muss eine vernünftige Regelung in der Sache geben, und die ist auch möglich, wenn man das will. Und ich unterstelle mal, dass Frau Kramp-Karrenbauer das auch will und die neue Unions-Führung ihren Teil dazu beiträgt, dass hier vernünftig miteinander gearbeitet werden kann in der Bundesregierung.
Münchenberg: Herr Stegner, sind Sie eigentlich manchmal ein bisschen neidisch auf die CDU? Es gab jetzt drei Bewerber um die Parteispitze, acht Regionalkonferenzen, jetzt ist von Aufbruch die Rede, neuem Schwung, während die SPD mit Andrea Nahles, die ja nicht mal ein Jahr im Amt ist an der Parteispitze, aus dem Umfragetief nicht herauskommt.
Stegner: Ach wissen Sie, Neid ist mir erstens fremd. Und zweitens: Die CDU hat nach 18 Jahren jetzt den Vorsitz gewechselt. Wir hatten in der gleichen Zeit gefühlt 18 Vorsitzende. Das war nun auch nicht so das Richtige. Und wer sich das angeguckt hat am Wochenende bei der Union, der hat ja nicht nur festgestellt, dass da ein toller Wettbewerb war, sondern da hat ein Millionär aus der Finanzindustrie fast gewonnen, und viele finden das ja auch richtig in der Union, was er da vertritt, und andere vertreten ganz andere Dinge. Da gibt es auch Erosionsprozesse und Schwierigkeiten bei der Volkspartei Union. Da sind wir nicht neidisch, sondern wir sehen, andere haben auch Herausforderungen zu lösen, wie wir auch. Wir müssen uns als Volkspartei links der Mitte profilieren, die Union als Volkspartei mitte-rechts, und dann ist das insgesamt für die Demokratie in Deutschland besser. Aber Neid auf andere Parteien, das steht, glaube ich, nicht an.
"Ganz gut, wenn unsere Jugendorganisation munter ist"
Münchenberg: Trotzdem steht Andrea Nahles doch ziemlich heftig in der Kritik. Es gab jetzt auch am Wochenende Unmut bei der Kandidatenliste für die Europawahl. Nahles wollte die Liste weiblicher und jünger machen. Da sind viele andere etablierte hinten runtergefallen, unter anderem auch Enrico Kreft. Der kommt ja aus Ihrem Bundesland. Hat sie da nicht einfach viele Fehler gemacht und ist auch nicht bereit, auf die Kritik einzugehen?
Stegner: Als Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein war ich natürlich enttäuscht darüber, dass unser Kandidat so weit hinten gelandet ist. Das will ich schon sagen. Andererseits teile ich natürlich die politischen Ziele, die wir haben, nämlich dass wir mit jüngeren Menschen, auch mit jüngeren Frauen nach vorne gehen müssen. Die teile ich uneingeschränkt. Lara Burkhardt, die stellvertretende Bundesvorsitzende aus Schleswig-Holstein, die hat einen guten Platz bekommen. Wer bei der Europa-Delegiertenkonferenz dabei war, der hat gesehen, wie begeistert die Reden von Katarina Barley und Udo Bullmann aufgenommen worden sind, wie entschlossen wir sind, einen Europawahlkampf zu machen, der den Nationalisten die Stirn bietet, der für ein soziales Europa kämpft. Da geht es am Ende um Frieden und Wohlstand und die SPD ist wie keine andere Partei in der Lage, dieses zum Ausdruck zu bringen, den Menschen zu sagen, das ist gut für euch, wenn wir diesem nationalistischen Trend entgegenarbeiten, viel stärker als die Konservativen das machen.
Münchenberg: Andrea Nahles ist keine Getriebene von Kevin Kühnert?
Stegner: Nein, überhaupt nicht. Nebenbei bemerkt: Es ist doch ganz gut, wenn unsere Jugendorganisation munter ist und die Partei auch mit antreibt. Bei den Konservativen stelle ich fest, die Junge Union ist konservativer als die Mutterpartei. Das ist ja irgendwie schon kurios. Bei uns ist das so, dass wir gute junge Kandidaten haben und dass wir gemeinschaftlich versuchen, Europa voranzubringen. Wenn das, was gestern zu sehen war in Berlin, so in den Europawahlkampf eingeht, dann werden wir auch besser abschneiden, als uns zugeschrieben wird. Insofern bin ich da guten Mutes und Andrea Nahles hat die Unterstützung der gesamten Partei dafür. Das konnte man am Wochenende ganz deutlich merken.
Münchenberg: … sagt SPD-Parteivize Ralf Stegner heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Herr Stegner, besten Dank für Ihre Zeit.
Stegner: Sehr gerne!
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