Tobias Armbrüster: Das Gerangel um die Postenvergabe in der EU, vor allem die Diskussion um Ursula von der Leyen und ob sie wirklich die richtige Frau ist für den Spitzenjob in der EU-Kommission, diese Debatte geht weiter. Viele im EU-Parlament sind über diese Personalauswahl extrem verärgert. "Geschacher im Hinterzimmer" lautet da immer die Kritik. So habe die EU vielleicht früher mal operiert, aber heute sei das nicht mehr zeitgemäß. Gestern war Ursula von der Leyen nun zu einem ersten Besuch im EU-Parlament in Straßburg.
Von Straßburg wechseln wir direkt nach Berlin, denn auch dort hat die Entscheidung für Ursula von der Leyen heftige Reaktionen ausgelöst. Der ehemalige SPD-Chef Sigmar Gabriel, der hat seiner Partei sogar geraten, nach dieser Entscheidung die Koalition zu verlassen. Grund: Diese Entscheidung wurde getroffen, ohne Absprache mit der SPD. – Am Telefon ist jetzt SPD-Vize Ralf Stegner. Schönen guten Morgen, Herr Stegner.
Ralf Stegner: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Herr Stegner, hat Sigmar Gabriel recht?
Stegner: Er hat jedenfalls recht insofern, dass das kein Beitrag ist, der die Koalition in Berlin zusammenbringt. Denn hier hatten ja beide Parteien, die Union wie die SPD, im Europawahlkampf dafür geworben, dass die Spitzenkandidaten, die den Wahlkampf betreiben, dass die das Europäische Parlament stärken sollen in der Zustimmung zu dem, was dort passiert. Was jetzt herauskommt ist etwas, wo jemand ins Amt gehoben werden soll, der nicht auf den Wahlplakaten stand, und das Ganze übrigens noch als Ergebnis eines eher Erpressungsprozesses durch die Herren Orbán, Salvini, Strache und so weiter, also diejenigen, die antieuropäisch gesonnen sind. Das kann einem nicht gefallen und deswegen hat ja die SPD dem auch nicht zugestimmt, sondern Frau Merkel musste sich im Europäischen Rat enthalten, und das bei einem Vorschlag für eine deutsche Politikerin. Das zeigt ja das ganze Dilemma dieses Prozesses und das ist ein richtiger Beitrag zur Politikverdrossenheit, den sich gerade Union und SPD, finde ich, am allerwenigsten erlauben können, wenn ich mir die gegenwärtige politische Situation betrachte.
"Sozialdemokraten werden nicht für diesen Deal stimmen"
Armbrüster: Welche Konsequenzen sollte Ihre Partei jetzt ziehen?
Stegner: Zum einen wird die Konsequenz ja die sein, dass Sozialdemokraten im Europäischen Parlament nicht für diesen Deal stimmen werden. Und man wird ja sehen – wir haben es ja gerade in dem Beitrag gehört -, ob das am Ende dazu führt, dass tatsächlich Frau von der Leyen gewählt wird.
Armbrüster: Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Ist das schon ausgemachte Sache? Das wissen Sie, dass die Sozialdemokraten dagegen stimmen werden in zwei Wochen?
Stegner: Ja, selbstverständlich weiß ich das. Man spricht ja miteinander. Die sozialdemokratischen Abgeordneten haben keinerlei Grund, für Frau von der Leyen zu stimmen.
Armbrüster: Sprechen Sie jetzt für die deutschen Sozialdemokraten, oder für die komplette Gruppe?
Stegner: Am Ende ist das ja eine geheime Wahl. Aber ich gehe davon aus, dass jedenfalls die deutschen Sozialdemokraten sich so verhalten, und auch die anderen, die sich auf den Prozess eingelassen haben. Die Spitzenkandidaten sind ja nicht nominiert worden von der deutschen SPD, sondern von der Sozialdemokratischen Partei in Europa, so wie übrigens das genauso war auf der konservativen Seite bei Frau Merkel und ihren Parteifreunden. Und dass man sich da hat erpressen lassen, das ist keine gute Sache.
Das Problem bei der ganzen Geschichte ist: Man darf das ja nicht parteitaktisch betrachten, sondern man muss es in einem größeren Fokus sehen. Wenn wir so was machen, dann nützt das am Ende den Antieuropäern von den Rechtsnationalisten, und Herr Trump, Herr Putin, Herr Erdogan lachen sich ins Fäustchen über dieses Europa. Das kann nicht unser Interesse sein, das kann man nicht im kleinen parteipolitischen Raum betrachten, und deswegen ist das keine gute Entscheidung.
Hinzu kommt: Frau von der Leyen gehört jetzt nicht gerade zu den Leistungsträgern in der Großen Koalition. Sie hat einen Untersuchungsausschuss an der Backe und sie hat keine besonders gute Arbeit abgeliefert. Das jetzt damit zu goutieren, dass jemand den Spitzenjob in der Europäischen Union bekommen soll, das ist kein guter Beitrag, der die Demokratie und der Europa stärkt. Das können wir uns nicht erlauben.
"Eine gescheiterte Verteidigungsministerin kann die Antwort nicht sein"
Armbrüster: Herr Stegner, verschweigen Sie da jetzt nicht die Fehler, die Ihre eigene Partei, die die Sozialdemokraten im Europäischen Parlament ebenfalls gemacht haben? Sie haben ja selbst dieses Spitzenkandidaten-Prinzip relativ schnell fallen gelassen, indem Sie sich nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten geeinigt haben.
Stegner: Das ist nicht richtig, sondern es ging darum, was mit Herrn Weber von der CSU und was mit Frans Timmermans von der Sozialdemokratie passiert. Es ist die Union, die ihren eigenen Kandidaten Weber hat fallen lassen. Wir haben uns für unseren Spitzenkandidaten Frans Timmermans engagiert, der im Übrigen natürlich derjenige ist, der auf die Einhaltung europäischer Werte gedrängt hat, also genau das, was den Orbáns, Kaczynskis und so weiter ein Dorn im Auge ist. Deswegen kann man uns das nicht vorhalten.
Trotzdem haben Sie natürlich recht: Es gab keine Einigung und das ist nicht gut. Aber das damit zu beantworten, dass eine im wesentlichen gescheiterte Bundesverteidigungsministerin jetzt nach Brüssel weggelobt werden soll, das kann die Antwort nicht sein. Und ich sage mal, das wird natürlich, wenn wir die Halbzeitbilanz zur Großen Koalition machen werden – das ist ja verabredet, dass das geschieht im Herbst und Winter diesen Jahres -, das wird sicher auf der Minusseite stehen müssen. Das ist kein guter Vorgang, unabhängig davon, ob Frau von der Leyen jetzt gewählt wird oder nicht.
Armbrüster: Herr Stegner, nur damit wir das "on the record" haben: Sie üben da durchaus auch Kritik an den Sozialdemokraten im Europäischen Parlament, dass die das nicht hingekriegt haben mit einem einheitlichen Kandidaten?
Stegner: Na ja. Wir haben uns nicht einigen können in den Parteien, die Spitzenkandidaten aufgestellt haben. Da hat die Sozialdemokratie ihren Teil, aber sie ist natürlich nicht der alleinige Kursbestimmer dort, sondern es geht mit den Konservativen, den Liberalen und den Grünen. Die Gespräche haben nicht zum Erfolg geführt, das ist nicht gut, das freut nur die Rechtspopulisten. Aber wir haben trotzdem – darauf lege ich schon Wert – festgehalten an Frans Timmermans. Das war der Vorschlag, den wir gemacht haben. Der hat sich als Spitzenkandidat beworben. Das ist nicht gescheitert an den Sozialdemokraten, sondern da hat sich Merkel und Co. Erpressen lassen von Orbán, von Salvini und von diesen Leuten, und das ist kein gutes Signal für Europa. Das können wir uns überhaupt nicht erlauben in einem Europa, das ohnehin von rechts bedroht ist, von den Nationalisten, die antieuropäisch gesonnen sind. Das ist leider die traurige Bilanz der letzten Tage.
"Das Europäische Parlament wird hier geschwächt"
Armbrüster: Aber man kann jetzt nicht sagen, oder würden Sie das sagen, dass Ursula von der Leyen jetzt eine Kandidatin dieser Positionen ist? Ist Ursula von der Leyen die Kandidatin von Orbán und Kaczynski?
Stegner: Sie ist das Ergebnis eines Erpressungsversuches gegenüber Frau Merkel, der offenbar funktioniert hat, und gegenüber auch Herrn Macron. Sie ist fraglos eine Proeuropäerin. Ich will sie gar nicht persönlich kritisieren, obwohl ihre Leistungsbilanz wirklich außerordentlich mau ist. Die Bundeswehr ist in einem schlechten Zustand. Sie wird seit 2005 von Unions-Ministern geführt, lange von Frau von der Leyen. Aber das ist nicht der Punkt, sondern Frau von der Leyen hat nicht kandidiert zum Europäischen Parlament. Deswegen ist das kein gutes Ergebnis. Und ich sage noch mal: Wenn Sie sich mal den Koalitionsvertrag betrachten, den wir ausgehandelt haben, zum Thema Europa, dann steht da was ganz anderes drin und dann soll das Europäische Parlament gestärkt werden. Das wird hier aber geschwächt und deswegen wird man sehen müssen, ob das Europäische Parlament sich das bieten lässt. Kann gut sein, dass dieser Personaldeal auch durchfällt.
Armbrüster: Herr Stegner, Sie reden jetzt immer von Erpressung. Wir können aber doch festhalten: Da saßen die Staats- und Regierungschefs zusammen und sie haben es ganz offensichtlich nicht geschafft, sich auf einen Kandidaten von denen, die auf dem Papier standen, zu einigen. Das ist in der Europäischen Union nicht unbedingt eine neue Situation; das gibt es immer wieder. Dann wird nach anderen Kandidaten gesucht. Was ist daran so falsch? Vor allen Dingen: Was ist daran so falsch aus deutscher Sicht, wenn es dann tatsächlich auf eine deutsche Politikerin zuläuft? Da kann man doch eigentlich sagen, da kann die Große Koalition froh sein.
Stegner: Wir sind aber nicht in der Situation, in der wir schon oft waren, sondern wir haben eine Situation, wo die Nationalisten von rechts Europa richtig bedrohen. Der gleiche italienische Regierungschef, der das veranlasst hat, dass es dazu gekommen ist, die haben vor kurzem eine deutsche Kapitänin verhaften lassen, die sich um Seenotrettung bemüht hat, damit nicht Menschen im Mittelmeer ertrinken müssen. Wenn dieses dann so ein Personalvorschlag ist, dann soll man das gut finden als Sozialdemokrat? Das, finde ich, ist ein bisschen zu viel verlangt.
"Die Wähler wollten kein rechtes Europa"
Armbrüster: Aber auch die italienische Regierung sitzt immer noch mit am Verhandlungstisch. Da sind ja keine Leute, denen das Verhandeln in Europa verboten wird.
Stegner: Nein, natürlich nicht. Aber am Ende entscheidet das Europäische Parlament. Wenn man dieses brüskiert, und das ist geschehen, dann darf man sich nicht wundern, wenn das am Ende nicht gut ausgeht. Ich finde das nicht gut, ich sage das noch mal, weil das freut die Amerikaner und die Russen und die Türken und andere, die Regierungschefs dort. Das kann uns nicht gelegen sein. Aber man darf das ja nicht immer weiter vorantreiben. Wenn das so geht, warum sollen die Leute wählen. Die haben mit großer Wahlbeteiligung sich - - Die wollten kein rechtes Europa, die da zur Wahl gegangen sind. Dann kriegen sie am Ende so einen mauen Deal präsentiert, der das Ergebnis von Druck just derjenigen ist, die europäisches Recht missachten. Das kann nicht richtig sein und die SPD ist nicht dafür und wir betrachten das nicht wahltaktisch, ich sage das noch mal, sondern wir tun das, was wir vor der Europawahl gesagt haben, auch danach. Das ist eine Belastung für die Große Koalition, die ja ohnehin in schwierigen Zeiten ist, wenn Sie an die Halbzeitbilanz denken, die wir verabredet haben, und da geht das auf die Minusseite ohne Wenn und Aber.
Armbrüster: Steht denn Ursula von der Leyen tatsächlich für das rechte Europa?
Stegner: Persönlich steht sie das, glaube ich, nicht. Sie ist eine Proeuropäerin. Aber es nützt ja nichts: Sie ist das Ergebnis von rechtem Druck. Rechtspopulisten gibt man nicht nach, sondern man leistet Widerstand gegen sie. Das sehen wir ja gerade. Wir haben in Deutschland Landtagswahlen in den neuen Bundesländern. Da droht, die AfD stärkste Partei zu werden überall. Dem muss man entgegentreten und da darf man sich nicht anpassen, wie das teilweise die Konservativen tun, ja auch die CSU hier in Deutschland. Da hat die Sozialdemokratie eine sehr klare Position. Man verteidigt die Demokratie gegen die rechten Demokratiefeinde nicht, indem man sich ihnen anpasst, sondern indem man Widerstand gegen sie leistet.
"Diesen Punkt auf die Negativseite schreiben"
Armbrüster: Ist das ein Grund für einen Bruch der Koalition?
Stegner: Es ist jedenfalls ein Grund, bei der Abwägung zur Halbzeitbilanz diesen Punkt auf die Negativseite zu schreiben. Es gibt auch ein paar positive Dinge, gar keine Frage. Wir haben viele Sachen durchsetzen können. Unsere Minister in der Großen Koalition, die haben ja eine andere Leistungsbilanz als Frau von der Leyen, wenn Sie Hubertus Heil nehmen, Franziska Giffey und andere, wo es Verbesserungen bei der Rente, wo es Verbesserungen bei der Kinderbetreuung und anderswo gibt. Aber wir haben verabredet, wir gucken uns das insgesamt an. Unsere Mitglieder werden daran beteiligt. Wir haben gerade eine Mitgliederbefragung auf dem Weg und in den Debatten, die wir da führen werden, wird das eine Rolle spielen, wie die Arbeit bewertet wird und wie die Perspektive für die Zukunft ist. Da haben die letzten Tage nicht dazu beigetragen, das zu erleichtern.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.