Christiane Kaess: Darüber kann ich jetzt sprechen mit dem stellvertretenden SPD-Bundesvorsitzenden Ralf Stegner. Guten Morgen.
Ralf Stegner: Guten Morgen, Frau Kaess.
Kaess: Wie lange kann die SPD noch so weitermachen?
Stegner: Nein, sie kann überhaupt nicht so weitermachen. Denn trotz eines wirklich couragierten und guten, auch inhaltlich guten Wahlkampfes von Thorsten Schäfer-Gümbel und der SPD in Hessen haben die Wählerinnen und Wähler ja gesagt, das was ihr da in Berlin bietet, das geht überhaupt nicht. Im Fußball würde man sagen, wir haben die wirklich dunkelgelbe Karte da bekommen. Deswegen ist klar: Wenn sich die Arbeit und das Erscheinungsbild der Koalition nicht drastisch ändert und auch rasch ändert, dann wird die Regierung keinen Bestand haben. Trotzdem ist das nur Teil dessen, was wir zu tun haben, denn die SPD wird hart an sich selber arbeiten müssen. Das ist keine Frage.
Kaess: Jetzt hat Andrea Nahles von einem Fahrplan gesprochen bis zur Halbzeitbilanz. Diesen Fahrplan will sie heute im Parteivorstand vorstellen. Wissen Sie schon, was drinsteht?
Stegner: Das bedeutet, dass wir spätestens bei der Halbzeitbilanz feststellen müssen, ob wir noch richtig in dieser Regierung aufgehoben sind, aber dass davor natürlich Klärungen erforderlich sind, auch was Fragen angeht, die aktuell diskutiert werden. Wir haben kein überzeugendes Bild abgegeben etwa bei der Diesel-Diskussion. Da hatten die Bürger den Eindruck, wir machen das, was die Automobilkonzerne wollen, und die Autofahrer bleiben die Gelackmeierten. Es tut sich auch nichts beim Thema Luftreinhaltung in den Städten, oder bei der Frage von Rüstungsexporten nach Saudi-Arabien, dass man das nicht nur aussetzt, sondern sagt, so was geht einfach nicht mehr, dass man in Diktaturen und Kriegsgebiete Waffen liefert, und andere Dinge mehr. Es muss schon einiges passieren, nicht nur was die Umsetzung des Koalitionsvertrages angeht, sondern dass die Bürgerinnen und Bürger den Eindruck haben, es verbessert sich was für sie. Wir sind ja nicht in die Regierung gegangen, weil das Spaß macht, und nur, weil Jamaika nicht zustande gekommen ist, sondern weil wir Verbesserungen wollten für die Rentnerinnen und Rentner zum Beispiel, für die Arbeitnehmer beim Thema Arbeiten und Umwelt. Die jungen Wählerinnen und Wähler laufen uns doch in Scharen davon, wenn wir da nicht eindeutiger werden. Da haben wir einiges zu tun und wir sollten nicht glauben, dass uns das irgendjemand abnimmt bei anderen Parteien, bei aller Kritik, die man an Herrn Seehofer natürlich haben muss, denn der ist ja derjenige, der ein Großteil des Theaters in der Koalition veranstaltet.
"An sich selber arbeiten"
Kaess: Herr Stegner, wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, dann setzen Sie ab jetzt andere Bedingungen in dieser Koalition? Sie haben jetzt viele Themen aufgezählt und da wollen Sie offenbar, dass sich da was tut.
Stegner: Es muss sich was tun bei all dem, was wir vereinbart haben, dass Gesetze auch kommen und schnell und nicht verwässert werden. Ich denke mal an das Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz, ich denke an das, was wir uns bei Rente vorgenommen haben, das "Gute Kita"-Gesetz ist auf den Weg gebracht worden, Verbesserungen bei der Pflege, anderes mehr. Aber die Arbeit alleine ist es ja nicht, sondern es ist auch das, dass unsere Anhänger und unsere Mitglieder auch erwarten, dass wir an uns selber arbeiten und zeigen, dass es SPD pur gibt bei wichtigen Themen. Ich nenne mal als Beispiel die Zukunft unseres Sozialstaates: Was kommt nach Hartz IV? Das ist unbefriedigend, was wir da haben. Oder die Frage, wie wir Arbeit und Umwelt miteinander so versöhnen können, dass die Industriegesellschaft, ohne dass das zu Lasten der Arbeitnehmer geht, aber dass das geschieht, was nötig ist, damit wir nicht unseren Planeten ruinieren.
Kaess: Sie wollen, Herr Stegner, erkennbarer werden. Das haben Sie jetzt gesagt. Diese ganzen Themen, die die SPD eigentlich angestoßen hat, das hilft nicht weiter. Aber ich habe jetzt immer noch nicht ganz verstanden: Der Fahrplan soll das wirklich noch mal konkreter machen. Sagen Sie doch mal zwei Punkte, wo jetzt wirklich bis zur Halbzeit der Koalition, bis zu dieser Überprüfung, die die SPD vornehmen will, ganz konkret was passieren muss.
Stegner: Die vereinbarten Maßnahmen, die wir haben, etwa bei Rente oder beim Thema Arbeit oder auch beim Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz, die müssen natürlich kommen. Aber wir haben uns auch ein Klimaschutzgesetz vorgenommen in der Koalition und das muss klar sein, das muss vernünftig sein, das muss so sein, dass das zu einer echten Verbesserung kommt. Da dürfen wir uns nicht verschleißen im Stellungskampf zwischen den Koalitionsfraktionen in Berlin. Da muss auch eine klare Kommunikation her und dazu müssen alle drei beitragen. Aber wir können uns nicht abhängig machen von der Union. Wir haben das ja nicht alleine in der Hand, was der Seehofer macht oder auch nicht, ob die den jetzt auswechseln, oder was da passiert, sondern die SPD muss selber daran arbeiten, dass die Menschen merken, der Grund, in die Koalition zu gehen, nämlich Verbesserungen für Menschen zu erreichen, der gelingt uns auch. Sonst hat das keinen Sinn. Wir sind weder ohne Bedingungen in die Koalition reingegangen, noch können wir bedingungslos drin bleiben.
"Nicht ständig die Führung auswechseln"
Kaess: Jetzt sprechen Sie schon mehrmals Herrn Seehofer an. Aber muss sich die SPD nicht auch fragen: Wenn die Inhalte nicht zu vermitteln sind, liegt das vielleicht auch am Personal, und welche personellen Erneuerungen muss es denn in der SPD geben? Ich mache es mal ganz konkret: Kann denn Andrea Nahles als Parteichefin bleiben?
Stegner: Ich glaube, dass wir überhaupt nicht gut beraten sind, ständig unsere Führung auszuwechseln. Das haben wir ja in den letzten Jahren häufiger getan als andere. Das hat nicht viel genützt und das ist auch nicht der Kern, oder uns jetzt wechselseitig zu zerlegen. Davon hat niemand etwas.
Kaess: Aber ist es nach solchen Niederlagen nicht normal zu fragen, ob die Parteichefin noch die richtige ist?
Stegner: Das mag ja so sein. Aber die Methode zu sagen, wenn das gut läuft, waren das alle, und wenn das nicht gut läuft, dann ist es die Vorsitzende, davon halte ich nichts. Ich glaube, die gesamte Partei ist gefordert, übrigens auch auf allen Ebenen, dass wir das tun, was erforderlich ist, dass wir wieder Vertrauen zurückgewinnen und dass die Menschen den Eindruck haben, wir leben ja auch nicht in einer Welt, wo wir sagen können, wir ziehen uns jetzt einfach mal zurück. Schauen Sie, der Trump zettelt Handelskriege an gegen Europa und kündigt Mittelstreckenraketen- und Abrüstungsabkommen auf und in Europa gewinnen überall die Nationalisten. Wir haben eine Europawahl vor der Brust. Das kann man doch nicht einfach den anderen überlassen. Nein, nein! Wir sind schon gefordert, mit eigenen Konzepten, und ich glaube, was unsere Anhänger und die Bürger erwarten, dass die SPD mit größerer Leidenschaft und Klarheit sagt, was wir wollen, und uns nicht von anderen abhängig machen, und das dann auch, so gut es geht, in der Koalition mit der Union umsetzen. Das was mit denen nicht geht, das muss man auch sagen. Die langen Linien etwa bei Rente oder bei bezahlbarem Wohnen, dass die Menschen merken, wenn sie mehr davon wollen, dann müssen sie uns auch wählen bei den nächsten Wahlen, und wir umgekehrt zusichern müssen, dass wir dann auch liefern und nicht alle drei Wochen ein anderes Thema aufmachen.
"Es kann kein "weiter so" geben"
Kaess: Das Mitregieren hat Sie ja auch nicht weitergebracht und auch nicht die eigenen Konzepte. Wie wollen Sie denn jetzt noch die Gegner der Großen Koalition beschwichtigen?
Stegner: Ich habe doch selber mit "ja, aber" gestimmt, wie viele andere auch. Politik ist nicht "wünsch Dir was". Wir wären nicht in die Regierung gegangen normalerweise nach unserem Wahlergebnis, das wir da eingefahren haben mit 20 Prozent. Aber die Jamaika-Parteien haben das nicht zustande gebracht und man kann das Land nicht den Rechten überlassen. Gestern sind die Rechtspopulisten in das letzte Parlament eingezogen in Deutschland, sind jetzt überall drin. Da muss man doch was gegen tun, und das ist unsere Aufgabe. Aber das Herumjammern hilft nichts und das auf andere Schielen auch nichts. Deswegen sage ich ja, wir müssen hart an uns selbst arbeiten. Wir haben uns ja eine Parteierneuerung vorgenommen. Wir werden ein großes Debatten-Camp haben im Oktober. Wir werden nicht die Zeit uns nehmen können, wie Andrea Nahles gestern gesagt hat. Das kann nicht bis Ende nächsten Jahres dauern, sondern wir werden sehr viel schneller liefern müssen, mit klaren Positionen, so dass zum Beispiel die Bürger merken, ein Diesel-Skandal geht jetzt nicht so aus, dass die Autofahrer die Zeche bezahlen und bei Luftreinhaltung nichts passiert, sondern dass man im Gegenteil sagt, wer betrügt, muss auch zahlen, wir tun was für Luftreinhaltung und wir sorgen dafür, dass solche Autos in Deutschland gebaut werden, die emissionsfrei sind, und nicht nur in Japan und China, so dass die Arbeitsplätze weggehen. Das sind Positionen, die man klarer darstellen kann und muss, und das werden wir auch tun.
Kaess: Wenn die Gegner der Großen Koalition jetzt sagen, diese Revisionsklausel im nächsten Jahr kommt zu spät, müsste vielleicht tatsächlich vorher die Koalition noch mal in Frage gestellt werden?
Stegner: Ja! Der Prozess beginnt jetzt. Das habe ich selbst gesagt. Wir haben vor einem Jahr schon formuliert, es kann kein "Weiter so" geben. Das haben wir nicht umsetzen können. Die Bürgerinnen und Bürger haben das jedenfalls nicht so empfunden. Deswegen: Ob die Regierung Bestand haben kann, das kann man mit großer Skepsis betrachten. Das ist auch kein Selbstzweck. Ein weiteres grobes Foul und die Regierung ist sicherlich zu Ende. Unabhängig von dieser Revisionsklausel, die wir ja reingeschrieben haben in den Koalitionsvertrag, müssen wir jetzt Veränderungen durchführen, die auch klar in den nächsten Wochen sichtbar sind. Ich habe Ihnen ja ein paar Themen dafür genannt und bei anderen muss die SPD auch in den langen Linien deutlich über die Koalition hinausdenken, denn wir definieren uns nicht mit der Union. Unser Ziel muss bleiben, dass wir die Volkspartei mitte-links sind, die die Alternative zur Union sind. Denn wir werden ja keine Wahl in Ländern und Kommunen mehr gewinnen können, wenn wir bundesweit bei 15 Prozent herumdümpeln und das alles weiter absinkt, weil wir Vertrauen verlieren. Insofern ist das schon eine große Aufgabe für alle auf allen Ebenen der Partei.
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