Detjen: Guten Morgen Herr Brinkhaus. Schön, dass wir an diesem Sonntagmorgen live mit Ihnen aus Gütersloh, aus Ihrem Wahlkreisbüro, verbunden sein können. Herzlich Willkommen im Deutschlandfunk.
Brinkhaus: Guten Morgen. Ja, gerne.
Detjen: Während wir jetzt miteinander sprechen, in der kommenden knappen halben Stunde, geht hier in Berlin der SPD-Bundesparteitag zu Ende. Herr Brinkhaus, Sie haben vor diesem Bundesparteitag der Sozialdemokraten, Ihres Regierungspartners, Klarheit gefordert, ob die SPD nun mit der Union weiterregieren wolle oder nicht. Es dürfe keine Hängepartie geben, haben Sie gesagt. Haben Sie jetzt an diesem Sonntagvormittag die Klarheit, auf die Sie gewartet haben?
Brinkhaus: Also, ehrlich gesagt, nicht, nein. Also, Klarheit haben wir nicht. Es sind Forderungen aufgestellt worden – das ist für einen Parteitag normal –, das Ganze ist verknüpft worden mit dem Fortbestand der Koalition. Und insofern denke ich mal, dass da noch sehr viel Gesprächsbedarf sein wird – was nicht gut für das Land ist, weil, wir brauchen jetzt klare Verhältnisse.
"Sehr schnell Klarheit darüber kriegen, wie wir weitermachen"
Detjen: Aber die SPD bekennt sich ja eigentlich viel klarer, als man das nach der Rhetorik der letzten Wochen und Monate erwarten konnte, zu dieser Koalition. In dem Leitantrag, der mit großer Mehrheit verabschiedet wurde, heißt es, es gehe jetzt darum, mit CDU und CSU die Ziele des Koalitionsvertrages zügig abzuarbeiten. Das ist doch eigentlich ein sehr, sehr deutliches Bekenntnis zu dieser Großen Koalition.
Brinkhaus: Ja, auf den ersten Blick ist das schon ein sehr deutliches Bekenntnis. Nur auf der anderen Seite sind natürlich die Aussagen der Protagonisten da durchaus widersprüchlich, insbesondere, wenn ich die letzten Wochen jetzt mal mit dem Parteitag zusammennehme. Also, wir würden sehr, sehr gerne weitermachen auf Basis des Koalitionsvertrages, das ist überhaupt keine Frage, da stehen wir auch als Unionsfraktion zu. Aber es geht jetzt darum, dass wir nicht alle vier Wochen die Grundsatzfrage stellen. Und es ist vor allen Dingen auch nicht akzeptabel, dass alle vier Wochen jetzt die Große Koalition ihre Bilanz einem SPD-Parteivorstand vorlegen muss und dann entschieden wird: Machen wir weiter oder nicht. Und deswegen ist es jetzt wichtig, dass wir im Nachgang des Parteitages auch sehr, sehr schnell eine Klarheit darüber kriegen, wie wir weitermachen.
Zukunft zwischen Sozialpolitik und Bundeswehr
Detjen: Aber nochmal nachgefragt: Ist das nicht eigentlich, gerade gemessen an der Rhetorik, die wir vorher gehört haben, eine deutliche Kurswende, die wir da erlebt haben, auch von der neuen SPD-führung, auch von Kevin Kühnert? Da war vorher davon die Rede: "An Nikolaus ist GroKo aus" – kein Wort mehr davon. Auch nach meiner Beobachtung – ich war in der Berliner Messehalle, gestern und vorgestern, habe mir das angeschaut –, keine Rede mehr davon, dass man die Große Koalition jetzt kurzfristig beenden will.
Brinkhaus: Nein, nicht kurzfristig beenden will, aber die Frage ist natürlich: Mit was wird die jetzt aufgeladen? Das heißt, welche Fragen werden unsere Themen sein? Und was ich jetzt vom SPD-Parteitag beobachtet habe ist, dass da eine starke Hinwendung auf Themen der Gegenwart, der Vergangenheit da ist, dass eine starke sozialpolitische Hinwendung da ist – und wir würden uns gerne über Zukunft unterhalten. Wir würden uns gerne darüber unterhalten, wie wir Technologie und Innovation in dieses Land hineinkriegen, wie wir international wettbewerbsfähig bleiben und vor allen Dingen – und da ist auch, glaube ich, nach dem Parteitag auch noch Einiges zu bereden –, wo wir unsere außenpolitische Rolle definieren. Und zur außenpolitischen Rolle gehört natürlich auch die sicherheitspolitische Rolle, das heißt, die Rolle der Bundeswehr.
Überprüfung des Koalitionsvertrages
Detjen: Aber das heißt, ich verstehe Sie da richtig, Herr Brinkhaus, Sie werden mit der SPD jetzt auch über künftige gemeinsame Ziele sprechen, verhandeln, eine Neujustierung besprechen – wie auch immer man das formulieren will. Das ist ja das, worum es der SPD jetzt auch in den nächsten Wochen geht.
Brinkhaus: Ja, aber wissen Sie, das machen wir ja eigentlich ständig. Also ich meine, wir haben ja als Union auch eine neue Parteivorsitzende vor einem Jahr gewählt und danach haben wir dann nicht gesagt: 'Jetzt müssen wir viele, viele Dinge auf den Prüfstand stellen', sondern wir sind vertragstreu als Union. Wir sagen also, wir haben einen Koalitionsvertrag, auf Basis dieses Koalitionsvertrages werden wir natürlich weiterreden. Und es kommen natürlich immer neue Herausforderungen auf uns zu. Das heißt, wir haben uns im letzten Jahr sehr, sehr intensiv mit dem Bereich Klima beschäftigt, das war in Grundzügen im Koalitionsvertrag verankert, aber wir sind dort also noch viel intensiver vorgegangen, als wir uns das vor eineinhalb Jahren gedacht haben. Das heißt, neue Herausforderungen gibt es immer. Man muss auch immer wieder nachjustieren. Man muss immer wieder schauen, passt dieser Koalitionsvertrag zur Realität, zu der Entwicklung, die wir in der Welt haben. Das ist überhaupt keine Frage. Die Frage, die sich jetzt uns stellt ist: Na ja, ist das Signal des SPD-Parteitages, jetzt zu sagen, wir müssen den Koalitionsvertrag wieder aufmachen, wir müssen jetzt an einigen Punkten grundlegend neue Dinge besprechen oder ist das eine evolutionäre Weiterentwicklung dessen, was wir also auch schon in den vergangenen Wochen und Monaten besprochen haben? Und dafür sitzen wir ja auch im Koalitionsausschuss, beispielsweise, zusammen, um immer wieder zu schauen. Und das ist reguläres Geschäft, das ist fast Tagesgeschäft, um immer wieder zu schauen, was ist zu tun und was ist Neues zu tun.
"Noch sehr viel Bewegung" beim Thema Steuern
Detjen: Gut, in ein paar Punkten ist die SPD ja auch sehr konkret mit dem, was sie jetzt in nächster Zeit auf die Agenda setzen will – das Thema Klimaschutz, haben Sie auch angesprochen. Da muss jetzt ohnehin gesprochen werden. Das Klimapaket liegt im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat. Armin Laschet, CDU- Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, sagt heute in der Welt am Sonntag: "Darüber reden wir sowieso, auch mit den Grünen". Also, das Klimapaket, so sagt es auch Armin Laschet, ist aufgeschnürt. Bezieht das auch Verhandlungen, so wie die SPD das jetzt fordert, nochmal über den umstrittenen CO2-Preis ein?
Brinkhaus: Also, erstmals ist es so, dass von den vier Klimagesetzen, die wir im Deutschen Bundestag verabschiedet haben, drei – das waren auch nur Einspruchsgesetze – durch den Deutschen Bundestag gegangen sind, das heißt, da hat der Bundesrat den Vermittlungsausschuss nicht angerufen. Dazu gehört auch der CO2-Zertifikatehandel. Die Steuergesetze sind momentan im Vermittlungsausschuss und da ist es in der Tat so, da werden wir ab Montag drüber reden im Rahmen des Vermittlungsausschusses, natürlich auch mit den Grünen, weil die Grünen Bestandteil des Bundesrates sind. Und insofern ist an der Stelle im steuerlichen Bereich sicherlich noch sehr viel Bewegung. Aber wir haben ja sowieso eines vereinbart im Bereich Klima.
Detjen: Aber Herr Brinkhaus, darf ich da gerade mal...
Brinkhaus: Ja, gerne.
Detjen: Darf ich da gerade nochmal nachfragen. Sie sagen, der steuerliche Bereich – das betrifft die Einspruchsgesetze, die jetzt in den Vermittlungsausschuss gekommen sind. Aber umstritten auch zwischen den Grünen, mit denen Sie verhandeln müssen und von der SPD jetzt noch mal auf die Agenda gesetzt – ist der CO2-Preis, der ja auch von der fast gesamten Fachwelt als zu niedrig eingestuft wird.
Brinkhaus: Na ja, also beim CO2-Preis ist es ja erst mal so, dass ja wir – und das wollte ich gerade sagen – im Rahmen des Klimagesetzes gesagt haben, wir werden jedes Jahr nachjustieren, wenn wir sehen, also dass beispielsweise der CO2-Preis zu gering ist, dass beispielsweise die Maßnahmen nicht greifen, dass wir unsere Klimaziele nicht erreichen. Also, das ist reguläres Geschäft, das man nachjustiert. Aber ich weise nochmal darauf hin, im Vermittlungsausschuss ist jetzt erst mal nicht der CO2-Preis, sondern da sind die Steuergesetze und darüber werden wir jetzt primär mit den Bundesländern und natürlich auch mit den in der Bundesregierung nicht vertretenen Parteien sprechen.
Detjen: Aber auch der CO2-Preis ist damit kein Tabu?
Brinkhaus: Also, ein Verhandlungsergebnis ist immer irgendwo im Gesamtbild. Aber – nochmal – wir sprechen jetzt erst mal primär über die Steuergesetze.
Milliarden-Reste im Bundeshaushalt
Detjen:Herr Brinkhaus, zweites Thema, dass die SPD weit oben auf ihre Agenda gesetzt hat, ist das Thema Investitionen. Die Sozialdemokraten verbinden das mit der Formel "Abschied vom Dogma der schwarzen Null". Aber es sind ja nicht nur die Sozialdemokraten, es sind nicht nur Gewerkschaften, es ist auch der Bund der Deutschen Industrie, der BDI, der einen deutlichen Zuwachs der Investitionen fordert. Der BDI spricht von einer "Kurskorrektur", die die Bundesregierung vornehmen müsse. Wird es eine Kurskorrektur geben?
Brinkhaus: Also, wir haben diese Kurskorrektur bereits vorgenommen. Das heißt, wir haben Investitionspakete, und zwar jetzt nicht für das nächste Jahr, sondern für die nächsten zehn bis 15 Jahre, weil die Investitionen ja, wie zum Beispiel Straßen- und Schieneninvestitionen, immer langfristig sind. Und im Bundesverkehrswegeplan, der war so ehrgeizig wie noch nie, wir haben im Rahmen des Klimapaketes das wahrscheinlich größte Investitionspaket im Bereich Eisenbahn, Öffentlicher Personennahverkehr beschlossen, was also je in der Bundesrepublik beschlossen worden ist. Das heißt, wir gehen in die Investitionen hinein, wir haben ehrgeizige Beschlüsse jetzt auf der Regierungsklausur in Meseberg gefasst. Das heißt also, es wird investiert und es wird in Zukunft auch mehr investiert werden und auch mehr investiert werden müssen – das ist richtig. Wir haben aber auch das Problem, dass die Mittel abfließen müssen. Und was wir momentan sehen ist, dass im zweistelligen Milliardenbereich Reste im Bundeshaushalt liegen, die momentan noch nicht abgerufen worden sind. Und deswegen müssen wir uns fragen: Wie kriegen wir das Geld schneller auf die Straße, auf die Schiene oder in die Erde hinein? Das ist jetzt die primäre Frage. Und was da jetzt gesagt wird, dass gesagt wird, wir müssen mehr investieren und deswegen müssen wir uns von der Schuldenbremse – die ist ja in der Verfassung verankert, nicht die schwarze Null, sondern die Schuldenbremse –, deswegen müssen wir uns von der Schuldenbremse verabschieden, das halte ich für doch nachgradig schwierig. Weil es geht darum, erst mal zu definieren: Wie kriegen wir die Mittel auch tatsächlich verbaut, im zweiten Schritt zu definieren, wie viel zusätzliche Mittel brauchen wir und im dritten Schritt dann zu definieren, wo bekommen wir die Mittel her. Und da kann man ja auch zum Beispiel Anspruch nehmen auf private Investitionen. Ich denke, da haben wir noch sehr viel Raum.
Bundesländer wie NRW finanziell "in der Pflicht"
Detjen: Aber wie weit reicht diese Erklärung, es mangelt eigentlich nicht am Geld, das Geld fließt nicht ab? Das ist das, was auch Ihre Parteivorsitzende, Annegret Kramp-Karrenbauer, heute in einem Interview der Bild am Sonntag sagte. Sie sagte, es mangelt nicht am Geld, es geht darum, das vorhandene Geld schnell und effektiv einzusetzen. Aber nehmen wir einfach Beispiele – Künstliche Intelligenz, eine Milliarde sollen da jetzt zusätzlich in die Forschung fließen. Da sagen viele Experten, das könnte und müsste viel, viel mehr sein, um da global wettbewerbsfähig zu bleiben. Dann schauen wir auf überschuldete Kommunen, die Schwimmbäder schließen, Schulen nicht sanieren können. Die werden doch letztlich lachen, wenn man sagt: Es ist genug Geld da?
Brinkhaus: Na ja, fangen wir mal mit der künstlichen Intelligenz an. Also, das ist ein Thema, was sehr, sehr richtig ist. Wir müssen insbesondere in Technologien und Innovationen investieren. Wir haben jetzt in den letzte Monaten einen großen Pakt für Forschung und Wissenschaft auf den Weg gebracht, den größten auch wohl, den wir in der Geschichte der Bundesrepublik hatten, wo wir insbesondere, aber nicht nur, für die außeruniversitäre Forschung viel, viel Planungssicherheit geschaffen haben für die nächsten zehn Jahre. Da sind wir in Deutschland ja richtig gut, mit Max-Planck, mit Fraunhofer, mit Helmholtz, mit Leibnitz, aber auch mit vielen Exzellenzuniversitäten und auch anderen Universitäten und Hochschulen. Also, da sind wir richtig klasse in Deutschland. Ich denke mal, wir müssen da mehr reinstecken. Aber ich denke, das ist auch eine Sache, die wir zusammen mit unseren europäischen Partnern organisieren müssen. Forschung kann nicht mehr alleine deutsch sein, sie muss europäisch sein. Und das wird auch ein wesentlicher Teil der Verhandlungen sein, die wir jetzt über den Mehrjährigen Finanzrahmen innerhalb der Europäischen Union führen. Zweites Thema, was Sie angesprochen haben, Kommunen. Wir haben die Kommunen mit satten Milliardenbeträgen in den letzten Jahren entlastet, da ist Spielraum entstanden. Es ist auch durchaus so, dass die finanzielle Situation der Kommunen insgesamt in Deutschland so schlecht nicht ist, dass es aber einzelne Kommunen gibt, die erhebliche Probleme haben. Und jetzt muss man eines sagen: Einige Bundesländer sind da drangegangen, die haben Entschuldungsprogramme für ihre Kommunen gemacht, beispielsweise in Hessen, andere, wie Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen, haben das noch nicht gemacht. Und da sind die Bundesländer, die ja mit Geld sehr, sehr gut ausgestattet worden sind und auch immer noch ausgestattet sind, jetzt in der Pflicht, auch ihren Teil zu leisten.
Bundesländer und Altschulden
Detjen: Aber das sehen natürlich auch die Ministerpräsidenten, von denen Sie sprechen, jetzt anders, die sagen: 'Wir müssen Strukturwandel – etwa in den Braunkohlegebieten in Nordrhein-Westfalen – bewältigen'. Und das Problem – Sie haben es angesprochen –, sind ja in der Tat die hoch verschuldeten Kommunen. Das ist auch auf dem SPD-Parteitag jetzt in Diskussionsbeiträgen von vielen Kommunalpolitikern, Bürgermeistern, immer wieder deutlich geworden: Es gibt Kommunen, die haben einfach keine Investitionsspielräume mehr, weil sie unter ihrer Schuldenlast so stark ächzen. Wenn Sie sagen, es ist so viel Geld da in der Kasse des Bundes, heißt das dann nicht, es wäre sinnvoll, einen Altschuldentilgungsfond auch mit stärkerer Hilfe des Bundes einzurichten? So wie das ja auch in der CDU gefordert wird, so wie das Kommunalpolitiker fordern, so wie es auch die SPD jetzt will.
Brinkhaus: Also, ich bin der Meinung, dass das jetzt erst mal die Aufgabe der Bundesländer ist, und die Bundesländer sind wahrlich nicht mit zu wenig Geld ausgestattet. Und die Aufgabe muss von den Bundesländern auch wahrgenommen werden. Weil Kommunen sind Bestandteil der Länder und die Länder legen sonst sehr, sehr viel Wert darauf, beispielsweise im Bereich Bildung, dass wir ihnen da nicht ins Handwerk hineingehen und dass sie ihre Entscheidungen alleine treffen. Und das erwarte ich jetzt auch beim Bereich Altschulden.
Regeln zum Mindestlohn und Perspektive zur Evaluierung
Detjen: Nehmen wir noch ein Thema, das bei der SPD jetzt in ihrem Forderungskatalog eine große Rolle gespielt hat, das Thema Mindestlohn. Die SPD will den Mindestlohn auf 12 Euro erhöhen und formuliert das mit den Worten: 'Nach und nach perspektivisch'. Das ist jetzt mit größtmöglicher Offenheit formuliert. Würden sie ausschließen, dass der Mindestlohn irgendwann nach und nach perspektivisch bei 12 Euro liegt?
Brinkhaus: Nein, ich würde das überhaupt nicht ausschließen, weil der Mindestlohn ja jedes Jahr wieder entsprechend angepasst wird, und zwar von einer Kommission. Und wir haben uns damals bei der Einführung des Mindestlohnes ganz bewusst entschieden, das nicht politisch durch Parteitagsbeschlüsse, durch Wahlprogramme festzulegen, sondern dass wir die Tarifpartner da mit einbinden. Beim Mindestlohn geht es nicht darum, dass das ein politisches Kampfinstrument ist, wo man Versprechungen mit macht, wo man Wählerstimmen versucht mit zu gewinnen – ich halte das im Übrigen für untauglich, das auf die Art und Weise zu machen. Sondern es ist eine Sache, die vernünftig festgelegt werden muss. Und da haben wir ein Verfahren. Und ob dieses Verfahren gut und richtig ist, das wird eh ständig geprüft und evaluiert. Und insofern denke ich mal, sind wir mit den bestehenden Regeln, die wir zum Mindestlohn haben und auch mit der Perspektive, das immer wieder zu evaluieren, auf einem guten Weg.
Koalition hat "in vielen Bereichen geliefert"
Detjen: Das Deutschlandfunk Interview der Woche, an diesem Sonntag live mit dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, mit Ralph Brinkhaus. Herr Brinkhaus, wie gut kennen Sie die neuen SPD-Vorsitzenden, Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans?
Brinkhaus: Also, mit Norbert Walter-Borjans hatte ich beruflich sozusagen zu tun, als er noch Finanzminister in Nordrhein-Westfalen war und ich als stellvertretender Fraktionsvorsitzender für Haushalt und Finanzen bei mir in der Fraktion verantwortlich war, da gab es Schnittstellen. Zu Frau Esken gab es bisher wenig Schnittstellen.
Detjen: Beide werden jetzt auch mit in dem Koalitionsausschuss, also dem zentralen Lenkungsgremium der Großen Koalition, sitzen. Saskia Esken, das hören wir immer wieder, hat auch in der eigenen Fraktion, in der SPD-Bundestagsfraktion, bisher noch nicht allzu viel Rückendeckung, manche sagen, einen schweren Stand. Walter-Borjans kennt die Berliner Bühne bisher – Sie haben das gesagt, Herr Brinkhaus – nur aus der Perspektive der Landespolitik. Wird die Partnerschaft in der Koalition, im Koalitionsausschuss, im Kern des Regierungsbündnisses, jetzt schwieriger?
Brinkhaus: Also, ich habe den beiden gratuliert und habe die Gratulation mit dem Wunsch verbunden auf eine konstruktive Zusammenarbeit. Und es hat sich auch in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, wenn jemand dann entsprechend in der Verantwortung ist, dass man ein gutes Verhältnis zueinander entwickelt. Ich habe auch ein gutes Verhältnis zu Rolf Mützenich, der ja auch neu ist als Fraktionsvorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, entwickelt. Und bisher ist es eigentlich immer so gewesen – im Übrigen auch mit den drei Übergangsvorsitzenden –, dass, wenn wir da im Kanzleramt beim Koalitionsausschuss gesessen haben, das Ganze sehr, sehr konstruktiv gelaufen ist. Man ist nicht immer einer Meinung, das ist also auch ganz normal, wenn man in zwei verschiedenen Parteienfamilien ist, aber es war bisher eigentlich immer vom Wunsch getragen, die Sache voranzubringen. Und das hat ja übrigens auch in den letzten Monaten ganz hervorragend geklappt. Weil entgegen dem öffentlichen Bild haben wir ja nun wirklich in vielen Bereichen geliefert und Lösungen auch erarbeitet.
"Wenn die SPD weiter nach links rückt, ist mehr Platz in der Mitte"
Detjen: Die SPD rückt – was wir jetzt auf diesem Parteitag erleben konnten –, wenn nicht in den nächsten Tagen und Wochen, aber dann perspektivisch, mit Blick auf den nächsten Bundestagswahlkampf, deutlich nach links. Der starke Mann – so haben das viele gesehen und beschrieben – in der SPD, der kommende Mann, ist der Juso-Chef Kevin Kühnert, der von der Partei da gefeiert wurde. Wie würden Sie die Veränderungen in der Parteienlandschaft insgesamt bezeichnen, die sich da abzeichnen an diesem Wochenende? Was bedeutet das für die Positionierung der CDU und was bedeutet das für künftige Möglichkeiten der CDU, mit Partnern, mit anderen Parteien, auf der Bundesebene Regierungen bilden zu können?
Brinkhaus: Ja, also das ist kein Zweifel. Die SPD, die rückt jetzt ganz, ganz weit nach links, das sehen wir auch so. Wobei ich nochmal unterscheiden möchte, SPD-Partei, das ist das Eine, Bundestagsfraktion, Koalitionsverhandlung, Koalitionsvertrag, das ist das Andere – und das erwarte ich auch, dass das getrennt wird. Die ein oder andere Aussage auf dem Parteitag war ja: 'Gut, das kriegen wir jetzt in der Koalition nicht hin, aber danach gibt es dann wieder irgendwann Neuwahlen und einen Wahlkampf und dann werden wir für unsere Positionen werben', und wir haben ja auch Beschlüsse beim CDU-Parteitag gefasst, die jetzt nicht ganz kompatibel sind mit dem Koalitionsvertrag. Das ist soweit in Ordnung. Aber Ihre Frage geht da in eine ganz interessante Richtung hinein: Wenn die SPD weiter nach links rückt, ist mehr Platz in der Mitte. Und das ist natürlich auch ein Signal für uns als Union. Wir verstehen uns als die Partei der Mitte und wir sollten genau diese Mitte, den freiwerdenden Raum entsprechend einnehmen …
"Parteifreunde gucken mehr auf die Grünen als auf die SPD"
Detjen: … in der Ihr Hauptkonkurrent dann – wenn ich das einschieben darf – künftig die Grünen sind, mit denen Sie um den Platz 1 im Parteienspektrum bei der nächsten Bundestagswahl wahrscheinlich konkurrieren werden.
Brinkhaus: Also, es ist so, dass die Grünen tatsächlich, für die Grünen erfreuliche Umfrageergebnisse haben. Jetzt muss man mal schauen, wie sich das entwickelt, wenn es denn tatsächlich auf eine Wahlsituation zugeht. Aber klar ist, also in vielen Kommunen – wir haben ja jetzt im nächsten Jahr auch durchaus Kommunalwahlen, zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen, aber auch in Bayern – ist es so, dass unsere Parteifreundinnen und -freunde mehr auf die Grünen gucken als auf die SPD. Das ist eine richtige Feststellung.
Detjen: Ist das richtig, ja? Ist richtig, sagen Sie?
Brinkhaus: Ja. Ja, ja, ist eine richtige Feststellung.
Vom Glück der geduldigen Fraktion und Öffentlichkeit
Detjen: Herr Brinkhaus, Sie haben jetzt schon von der CDU gesprochen, haben den Parteitag in Leipzig erwähnt. Lassen Sie uns über Ihre Partei sprechen. Auch die befindet sich ja in einer Übergangsphase, einer schwierigen Übergangsphase, nach dem Ende der Ära Merkel an der Parteispitze, dem sich abzeichnenden Ende der Kanzlerschaft Angela Merkels. Annegret Kramp-Karrenbauer wurde gestern vor einem Jahr in Hamburg zur neuen CDU-Vorsitzenden gewählt. Wie gut ist ihr das erste Jahr an der Parteispitze gelungen?
Brinkhaus: Also, es ist ja immer so, dass man, wenn man in ein Amt hineinkommt – und diese Erfahrung habe ich ja auch gemacht, ich bin jetzt seit September letzten Jahres Fraktionsvorsitzender –, dass dann erwartet wird, dass man ganz schnell liefert. Also, hundert Tage oder mehr hat man ja heute nicht mehr. Ich hatte das große Glück, dass meine Fraktion mit mir da durchaus geduldig war und die Öffentlichkeit auch geduldig war. Ich habe auch den ein oder anderen Fehler gemacht. Ich glaube, Annegret Kramp-Karrenbauer hat diese Geduld nicht bekommen, das muss man eindeutig sagen. Weil es ganz normal ist, dass man...
Detjen: Oder hat sie eben größere Fehler gemacht?
Brinkhaus: Ach, ich glaube mal, sie hat die Geduld nicht bekommen. Ich hatte auch das große Glück, dass mein unterlegener Gegenkandidat, Volker Kauder, da unglaublich honorig mit der Situation umgegangen ist.
Detjen: Honoriger als die unterlegenen Gegner oder der eine unterlegene Gegner – Friedrich Merz – von Annegret Kramp-Karrenbauer?
Brinkhaus: Das wäre jetzt Ihre Interpretation. Das müssen Ihre Hörerinnen und Hörer beurteilen.
"Personalstreitigkeiten nutzen nur dem politischen Gegner"
Detjen: Nein, das ist meine Frage.
Brinkhaus: Das müssen Ihre Hörerinnen und Hörer beurteilen. Weil ich hatte das große Glück, dass wir da ein sehr gutes Verhältnis haben und dass er sehr loyal war, wichtige Aufgaben bei uns in der Fraktion übernommen hat. Und das hat es mir natürlich leicht gemacht. Und ich habe auch eine gewisse Zeit gebraucht, bis ich drin war. Jetzt läuft es gut, aber aller Anfang, da muss man sich also erst in so ein Amt auch dann hineinfuchsen. Und ich denke mal, das ist das Gleiche auch bei Annegret Kramp-Karrenbauer. Momentan läuft es in der Union gut, wir hatten einen guten Parteitag gehabt, wir stehen inhaltlich doch dicht beieinander. Und das ist auch wichtig. Weil am Ende des Tages ist es so: Personalstreitigkeiten nutzen nur dem politischen Gegner. Und hin und wieder muss man sich auch immer daran erinnern, der politische Gegner ist unser Wettbewerber, der ist außerhalb unserer Parteienfamilie von der CDU und CSU. Und wenn man sich daran hält, dann werden wir auch erfolgreich in die Zukunft gehen.
"Wenn es dann persönlich wird, ist es schwierig"
Detjen: Na ja, das ist aber bei der CDU auch nicht immer so klar. Friedrich Merz, der auf dem Parteitag gesagt hat: 'Ich bin loyal', hat ein paar Tage vor Ihrem Parteitag, nach der Thüringen-Wahl, die Kanzlerin – die Kanzlerin Ihrer Partei –ungewöhnlich scharf und höchst persönlich angegriffen. Und mir und vielen anderen ist aufgefallen, dass es wenige in der Parteispitze gab, die Angela Merkel in dieser Situation beiseite gesprungen sind, diese Kritik, mit Blick auf Angela Merkel, zurückgewiesen haben.
Brinkhaus: Also, ich denke mal, dass der ganz, ganz große Teil unserer Parteimitglieder und der Funktionsträger persönliche Auseinandersetzungen überhaupt nicht mag und das kommt bei uns in der Partei auch nicht gut an. In der Sache immer, ja, klar, hart und auch voller Leidenschaft, aber wenn es dann persönlich wird, ist es schwierig. Und ich denke mal, das haben jetzt auch alle – und wirklich alle – gemerkt, dass das der bessere Stil ist: Hart in der Sache, aber loyal auch gegenüber Personen. Und ich glaube mal, das ist auch ein Ergebnis des Parteitages, den wir gehabt haben.
CDU steht "im Zweifel auch hinter ihrer Parteiführung"
Detjen: Noch einen Blick zurück auf den Parteitag. Annegret Kramp-Karrenbauer hat die Situation offenbar so empfunden, so ernst, so bedrohlich empfunden, dass sie am Ende ihrer Rede auf dem Leipziger Parteitag, die Vertrauensfrage gestellt hat, der Partei gesagt hat, wenn sie ihr auf ihrem Kurs nicht folgen wolle, dann solle man das hier und heute und jetzt beenden, so hat sie das formuliert. War die Lage wirklich so bedrohlich, dass Annegret Kramp-Karrenbauer zu diesem ultimativen Mittel greifen musste?
Brinkhaus: Na, da hat jeder für sich persönlich seine eigene Einschätzung...
Detjen: Was ist Ihre?
Brinkhaus: ... und muss wissen, wie er das auch in Reden artikuliert.
Detjen: Was ist Ihre Einschätzung?
Brinkhaus: Also, meine Einschätzung ist, dass die CDU in den letzten 70 Jahren gezeigt hat, dass sie im Zweifel immer noch zusammensteht, dass sie im Zweifel dann auch hinter ihrer Parteiführung steht, also nicht unkritisch, aber loyal dahinter. Und ich denke, das wird auch in Zukunft so bleiben.
Außenpolitik als Kernkompetenz
Detjen: Dann reden wir über Initiativen der neuen Partei- oder Ihrer neuen, seit einem Jahr im Amt befindlichen Parteivorsitzenden, Annegret Kramp-Karrenbauer, in der Sache. Sie hat damit ja auch in der CDU auf internationaler Ebene Diskussionen ausgelöst, Beispiel, die Nordsyrien-Initiative. Unterstützt die CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Vorstoß Ihrer Parteivorsitzenden und Bundesverteidigungsministerin, eine Sicherheitszone an der Grenze zur Türkei einzurichten oder hat sich das für Sie ohnehin schon erledigt? Weil Annegret Kramp-Karrenbauer ja auch auf internationaler Ebene kaum jemanden gefunden hat, der da wirklich mitmachen will.
Brinkhaus: Also, erst mal muss man eines festhalten: Es wird Zeit, dass wir außen- und auch sicherheitspolitisch erwachsen werden. Das heißt, nur zu warnen und besorgt zu sein, das reicht nicht. Man erwartet von uns übrigens auch in Europa – am besten zusammen mit unseren europäischen Partnern –, dass wir auch Initiative zeigen, dass wir auch Vorschläge machen. Es gibt Vorschläge, die sind populärer, es gibt Vorschläge, die sind weniger populär, aber dass wir als Union jetzt den Schalter umgelegt haben und sagen, also wir machen jetzt eine aktive Außenpolitik, wir machen auch Vorschläge. Übrigens, das ist ja auch im Interesse der Menschen dort, in Nordsyrien, die Kurden sind dort zum Beispiel in einer ganz, ganz schwierigen Situation. Und insofern muss das ja auch immer das Primat deutscher Außenpolitik sein: Was nützt den einzelnen Menschen, die in diesen Regionen dort leben. Das ist eine wertebasierte Außenpolitik und deswegen ist das gut, dass wir das jetzt so machen. Das wird nicht der letzte Vorschlag aus der Union sein. Wir betrachten Außenpolitik mit den beiden starken Säulen Entwicklungspolitik, aber auch Sicherheitspolitik und Bundeswehr als eine Kernkompetenz von uns und auch als eine dringende Notwendigkeit, da etwas zu tun – aber nochmal: Besser auf europäischer Ebene als auf nationaler Ebene. Und da werden wir jetzt auch mit Ursula von der Leyen drüber sprechen.
Bei Verteidigungsfragen Gesprächsbedarf mit der SPD
Detjen:Auch da wird es Diskussionen mit der SPD geben. Auch das ist auf dem Parteitag jetzt nochmal deutlich geworden, da hat es scharfe Kritik nochmal an diesen Vorstößen der Verteidigungsministerin gegeben. Deshalb letzte Frage am Ende diesen Interviews ...
Brinkhaus: Ja, aber wenn ich da vielleicht nochmal ganz kurz einhaken darf. Das ist in der Tat auch ein Ergebnis vom Parteitag, was mich mehr beunruhigt als jetzt die ein oder andere Volte gegen Mindestlohn oder ähnliche Vorschläge. Weil es da wirklich um eine Kernfrage geht, wie wir Deutschland in Europa und in der Welt in den nächsten Jahren definieren. Und deswegen ist das nicht zu gering zu sehen, sondern da stehen wir dann vor einem erheblichen Gesprächs- und Diskussionsbedarf mit der SPD.
Mit stabiler Regierung in die EU-Ratspräsidentschaft
Detjen: Deshalb am Ende dieses Interviews noch – mit der Bitte um eine kurze Antwort – die Frage: Bleibt die Koalition vor dem Hintergrund der Beunruhigung, die Sie jetzt gerade nochmal mit Blick auf die Außenpolitik ausgedrückt haben, bis zum regulären Ende der Wahlperiode zusammen?
Brinkhaus: Also, an uns, an der Union liegt es nicht. Die SPD muss sich entscheiden. Sie haben am Anfang gesagt, Ihr Eindruck vom Parteitag ist, da ist jetzt ein bisschen mehr Klarheit - Ihr Wort in Gottes Ohr - hoffentlich ist das so. Weil es wäre gut für das Land, wenn wir 2020 mit einer stabilen Regierung in die Ratspräsidentschaft der EU hineingehen.
Detjen: Herr Brinkhaus, vielen Dank. Das war das Interview der Woche, mit dem Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Danke für Ihre Zeit, Herr Brinkhaus. Grüße nach Gütersloh.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.