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Ramadan am Nil in der Coronakrise
Hungern statt Fasten

Die Menschen auf der kleinen ägyptischen Nilinsel Elephantine leben vom Tourismus. Doch weil der aufgrund der Coronakrise derzeit ausbleibt, heißt es in diesem Ramadan nicht Fasten und Freude, sondern Hunger und Leid. Und die Polizei macht Jagd auf Männer, die heimlich gemeinsam beten.

Von Max-Marian Unger |
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Der Tour-Guide und Muezzin Achmed Ali mit den jüngsten seiner fünf Kinder, Miriam und Mohammed (Deutschlandradio / Max-Marian Unger)
Vorsichtig heben die Männer den reglosen Körper auf eine hölzerne Bahre, das weiße Leichentuch reflektiert das erste Licht des Tages. Mehr als zweihundert Menschen haben sich zu Ehren der Verstorbenen versammelt.
Achmed Ali: "Für uns Muslime ist es etwas Gutes, im heiligen Monat Ramadan zu sterben. Denn im Koran heißt es, die Tore zum Paradies stehen dann weit offen. Alle hier im Dorf sagen: Sie hatte Glück, denn sie ist im Ramadan gestorben."
Lächelnd steht Achmed Ali in der staubigen Gasse und lässt den Trauerzug an sich vorüberziehen:
"Im Koran steht auch, in diesem Monat wird der Teufel von den Menschen weggesperrt. Aber in diesem Jahr scheint es, als seien der Teufel und die Menschen im selben Haus eingesperrt. Wegen Corona ist die Wirtschaft zusammengebrochen. In diesem Ramadan empfinden wir keine Freude. Wir wollen einfach nur überleben."
"Der schlimmste Ramadan"
Der 52-Jährige arbeitet normalerweise als englischsprachiger Tour-Guide. Seit zwei Monaten ist der Tourismus aber vollständig zusammengebrochen. Doch die Region lebt von diesem Wirtschaftszweig. Die meisten Menschen entlang des südlichen Nilufers sind Nubier, eine ethnische Minderheit in Ägypten. Kaum eine Familie auf der Insel kann den finanziellen Einbruch verkraften.
Elmasged Alatek – die Hauptmoschee auf Elephantine
Elmasged Alatek – die Hauptmoschee auf Elephantine (Deutschlandradio / Max-Marian Unger)
Nur Wenige haben sich eine gewisse Unabhängigkeit bewahrt. Die 26-jährige Fatma etwa betreibt einen kleinen Supermarkt in der Nähe des Fähranlegers. Das sei der schlimmste Ramadan ihres Lebens, sagt sie, denn sie könne ihre Freundinnen nicht treffen und müsse alleine zu Hause beten.
Ende März wurden in Ägypten alle Moscheen offiziell geschlossen, um "alle Seelen vor dem Tod" zu bewahren, wie es vom zuständigen Ministerium hieß.
"Wir versuchen, den Namen des Virus nicht auszusprechen"
Inzwischen sind zwei Monate vergangen. Auf der kleinen Insel Elephantine stehen drei Moscheen, die aktuell nur für den Gebetsruf betreten werden dürfen, erklärt Achmed Ali, der für seine Stimme bewundert wird und deshalb im Ramadan als Muezzin aushilft:
"Am Ende des Gebetsrufs sage ich: Betet zu Hause! Betet dort, wo Ihr gerade seid! Es macht uns traurig, dass wir nicht zusammen in der Moschee beten können. Denn Gott sieht das lieber, als wenn wir alleine beten."
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Achmed Ali auf der Dachterasse seines Hauses (Deutschlandradio / Max-Marian Unger)
Ali: "Corona macht uns Angst. Wir versuchen sogar, den Namen des Virus gar nicht auszusprechen. Wir haben nicht genug zu essen für unsere Kinder, weil keine Touristen mehr kommen. Wir müssen deshalb sehr vorsichtig fasten. Das alles macht uns sehr traurig."
"Wir glauben an Gott, nicht an die Polizei"
Zwei Stunden nach dem Fastenbrechen ist das letzte Tageslicht erloschen. Eine Gruppe von 50 Männern versammelt sich im Unterholz – zum letzten Gebet des Tages.
Islam: "Wir beten heimlich, denn wegen dem Virus ist es nicht erlaubt, gemeinsam zu beten. Dieser Ramadan ist außergewöhnlich. Wenn die Polizei uns entdeckt, bekommen wir Probleme. Aber Gott möchte, dass wir gemeinsam beten. Und wir glauben an Gott, nicht an die Polizei."
Doch so wie Islam sieht es nicht jeder Inselbewohner. Andere sind gegen gemeinsame Gebete, denn die seien ignorant und gefährlich, meint Mustafa. Aber er könne sie nicht stoppen:
"This is ignorance, really. You put yourself in a risk, very dangerous."
"Ich hoffe, die Welt wird aus dieser Katastrophe lernen"
Achmed Ali, der Muezzin und arbeitslose Tour-Guide, singt ein traditionelles nubisches Lied. Ihn treiben in diesem Ramadan noch ganz andere Sorgen um, als Männer, die verbotenerweise gemeinsam beten. Er denkt an die Menschen, die noch weniger haben als die Bewohner der kleinen Nilinsel Elephantine.
Ali: "Wir haben beschämende Fotos gesehen, auf denen steht ein Adler neben einem Kind und wartet, dass es stirbt, um es zu essen. Ich hoffe, nach Corona wird die Welt aus dieser Katastrophe lernen. Nicht Geld ist wichtig, sondern Menschlichkeit. Wir sollten nicht egoistisch sein, sondern einander mit Liebe begegnen. Bevor wir vor Gott treten, sollten wir auf der Erde etwas Gutes tun."