Zornige Diskussionen wurden am vergangenen Mittwoch über den Schiedsrichter Matthias Jöllenbeck und seine Assistenten geführt. Das Gespann war beim 2:1-Sieg des FC Augsburg gegen Mainz 05 trotz Videoüberprüfung zu einer falschen Elfmeterentscheidung gekommen.
Beinahe untergegangen wäre in dieser Debatte ein noch bemerkenswerterer Vorgang: Jöllenbeck wird als erster Schiedsrichter in die Bundesligageschichte eingehen, der einem muslimischen Spieler kurz nach Sonnenuntergang eine Trinkpause gewährte, damit dieser sein Fasten brechen und Nahrung zu sich nehmen konnte.
Tagsüber keine Speisen und Getränke
Um eine solche Unterbrechung hatte ihn der Mainzer Kapitän Moussa Niakhaté gebeten. Vom 1. April bis zum 1. Mai ist Ramadan, gläubige Muslime dürfen während dieser Zeit tagsüber keine Speisen und Getränke zu sich nehmen. Zwar existierten Ausnahmen, dank derer Fußballprofis vor ihren Wettkämpfen eigentlich essen und trinken dürfen, sagt Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, aber es gebe eben:
"Spieler, die sagen: Ich möchte trotzdem fasten, und das dann aber natürlich ärztlich und medizinisch begleiten, und für die ist dann solch eine Regelung natürlich auch nochmal eine Vereinfachung, wenn das Spiel ausgerechnet in der Zeit des Sonnenuntergangs, sprich des Fastenbrechens dann auch fällt."
Spezielle Trinkpausen werden angefragt
Also bekam Niakhaté am Mittwoch um 19:54 Uhr zwei Flaschen gereicht, nahm einige große Schlucke, während die anderen Spieler warteten, und spielte gestärkt weiter. Der Verzehr von Bananen oder die Einnahme von Energie-Gels, die dem Körper innerhalb weniger Minuten frische Kraft geben können, ist ebenfalls möglich und lässt sich anderswo schon länger beobachten.
2018 täuschte beispielsweise der tunesische Torhüter Mouez Hassen während mehrerer Länderspiele Verletzungen vor, um seinen Mannschaftskollegen nach Sonnenuntergang Zeit zur Nahrungsaufnahme zu verschaffen. Und in der englischen Premier League gehören Überlegungen zu den Auswirkungen des Fastens auf die Leistungen muslimischer Profis längst zum Alltag.
In der vergangenen Saison gab es eine informelle Vereinbarung unter den Kapitänen der Premier League: Muslimischen Spielern sollte in der ersten Spielunterbrechung nach Sonnenuntergang explizit die Möglichkeit zum Fastenbrechen gegeben werden. In der laufenden Spielzeit sind 52 Partien der höchsten englischen Spielklasse betroffen.
Eine offizielle Regelung existiert zwar immer noch nicht, aber in der Praxis wurde den Kapitänen die Möglichkeit eingeräumt, spezielle Trinkpausen zum Fastenbrechen bei den Schiedsrichtern anzufragen. Und auch in Deutschland werfe der Umgang mit dem Ramadan immer mehr Fragen auf, erzählen zwei Bundesligaspielerinnen vom SC Freiburg im SWR.
"Viele urteilen auch darüber, wenn ich sage. Ich spiele in der Bundesliga, und faste, dann geht es schon darum: Kannst Du überhaupt spielen?", sagt die Kapitänin Hasret Kayikci und Stürmerin Ereleta Memeti erzählt vom Erstaunen anderer Menschen:
"Dürft ihr wirklich kein Wasser trinken? Oder Ja wie ist es denn so? Die fragen dann schon ein bisschen, wie das abläuft und wie wir uns fühlen."
Der Glaube an Allah
Der Verzehr von Lebensmitteln vor Sonnenaufgang, deren Energie der Körper nur langsam über den Tag hinweg aufnimmt, ist eine Strategie, um auch ohne weitere Nahrungszufuhr Trainingseinheiten und Wettkämpfe absolvieren zu können. Ereleta Memeti berichtet aber auch von einer anderen Kraft, die ihr helfe, während des Fastens Hochleistungssport zu betreiben.
“Wir glauben ja an Allah und ich glaube daran, dass er mir sozusagen ein bisschen die Energie gibt, dass ich den Tag aushalte, dass ich fasten kann, und dass ich vor allen Dingen während dem Leistungssport wo ich eigentlich trinken sollte und essen sollte, wo ich Energie brauche, dass er mir die gibt. Und dieser Glaube ist einfach so groß, dass ich es auch mache und durchhalte."
Ausnahmen für Bundesliga-Spieler
Fastende Spielerinnen und Spieler, die sich darauf nicht verlassen wollen, haben aber andere Optionen. Schon vor zehn Jahren habe er gemeinsam mit der Deutschen Fußball-Liga und dem Deutschen Fußball-Bund nach Lösungen gesucht und diese auch gefunden, sagt Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland:
“Wir sind dann zusammengekommen und haben uns darüber Gedanken gemacht und haben auch in Anlehnung an eine religionstheologische Rechtsprechung von Al-Azhar, eine der Autoritäten des Islams in der Welt, beraten. Sie sind zu dem Schluss gekommen, und diese Regelung gilt weiterhin, auch für die Bundesliga, dass die Spieler, die entweder am Spieltag oder im Aufbau sind, die sagen: Ich möchte das unterbrechen, und ich kann das nicht, dass dieser Tag nachzuholen ist und die ganz normal Nahrung zu sich nehmen können."
Kranke Menschen, Schwangere oder Wöchnerinnen und Leute, die schwer körperlich arbeiten, zum Beispiel an einem Hochofen, können ihre Fastentage ebenfalls nachholen. Und für die Fußballer gibt es nun zumindest bei den Abendspielen die Möglichkeit, die Schiedsrichter um Trinkpausen zu bitten.
Nachdem Jöllenbecks Reaktion auf Niakhatés Bitte in Augsburg von allen Beteiligten mit großem Wohlwollen betrachtet wurde, wird künftig kaum ein Unparteiischer diesen Wunsch ausschlagen.