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Ramadan in Istanbul
Fasten im Stillen

Tagsüber verzichten, abends essen, trinken, lachen. So feiern normalerweise Muslime weltweit den Ramadan. Doch angesichts der Corona-Pandemie sind viele Muslime verunsichert - auch in Istanbul: Schwächt das Fasten das Immunsystem? Darf man zum Fastenbrechen nach Sonnenuntergang noch die Familie einladen? Kann man den heiligen Monat vielleicht verschieben?

Von Kristina Karasu |
Fastenbrechen im Stadtteil Sultanahmet in Istanbul am ersten Tag des Ramadan
Zu Hause bleiben, vorsichtig sein: Der Ramadan muss in diesem Jahr anders gefeiert werden als sonst (imago stock&people / Depo Photos)
Melancholische Lieder stimmt Veli Kocak in seinem kleinen Garten im Istanbuler Stadtteil Moda an. Um ihn herum toben seine beiden Söhne. Jahr für Jahr lud der 35-jährige Hausmeister im Ramadan auf dieser Terrasse zum üppigen Fastenbrechen mit Familie und Freunden ein. Doch dieses Mal ist alles anders: Wegen der Corona-Krise herrscht in der Türkei in den ersten vier Tagen des Ramadan eine Ausgangssperre. Menschen über 65 und unter 20 müssen schon seit Wochen zu Hause bleiben. Ramadan wird diesmal sehr bescheiden, sagt Kocak:
"Wir sind ziemlich emotional, weil wir dieses Jahr das Fastenbrechen nicht mit unseren Lieben, unseren Eltern, Geschwistern und Freunden feiern. Aber zu Hause werde ich mit meiner Familie fastenbrechen und unsere Lieben in unsere Gebete einschließen. Ich glaube, alle sind deswegen dieses Jahr sehr traurig."
Fasten wird Kocak aber auf jeden Fall, das steht für ihn außer Frage. Ebenso seine Eltern. Von Sonnenauf- bis untergang werden sie weder essen noch trinken, nicht einmal Wasser ist erlaubt.
Fasten kann Immunsystem schwächen
In Zeiten von Corona ist das heikel, da striktes Fasten insbesondere in den ersten Tagen das Immunsystem schwächen kann. Daher erwogen im März Gelehrte der ägyptischen Azhar-Universität, den Ramadan in diesem Jahr auszusetzen. Die Lehranstalt gilt als die wichtigste der sunnitischen Welt. Trotzdem stieß die Idee in der Türkei auf wenig Zustimmung. Für Sonderpädagogin Elmas Şen aus der westtürkischen Kleinstadt Gölcük steht der Ramadan nicht zur Diskussion:
"Das wäre niemals eine Option für mich, denn der Ramadan ist im arabischen Kalender festgelegt. Er findet im Ramadan-Monat statt, den kann man nicht verschieben. Deswegen werde ich jetzt in diesem Monat fasten."
Islamischer Fastenmonat Ramadan und Corona-Krise - Fällt das Fastenbrechen aus? Nach einem öffentlichen Gebet in Berlin wurden zuletzt Befürchtungen laut, Muslime könnten im Ende April beginnenden Ramadan das Kontaktverbot missachten. Doch Islamvertreter weisen das zurück: Auf das gemeinsame Fastenbrechen müsse in diesem Jahr weitgehend verzichtet werden.
Auch Ali Erbaş, Chef der obersten Religionsbehörde Diyanet, erklärte im türkischen Fernsehen, der Ramadan werde trotz Corona stattfinden:
"Wir werden uns als Nation an die Vorsichtsmaßnahmen halten und uns dann ergeben. Wir werden vorsorgen und den Rest unserem Gott überlassen."
"Risikogruppen raten wir, das Fasten später nachzuholen"
Zugleich erklärt seine Behörde: Ob man fasten könne oder nicht, das solle im Zweifelsfall der eigene Arzt entscheiden. Eine große Verantwortung für Mediziner - sie müssen abwägen zwischen Gesundheit und Glaube. So auch Doktor Ertunc Mega. Er gehört zum Leitungsteam der Istanbuler Fatih-Sultan-Mehmet-Universitätsklinik, dort gibt es viele Corona-Fälle. Bisher habe das türkische Gesundheitssystem der Epidemie gut standgehalten, erklärt Mega. Damit das so bleibt, müsse man im Ramadan sehr vorsichtig sein:
"Da Corona eine noch relativ unbekannte Krankheit ist, sind Ärzte in ihren Praktiken und ihrer Rhetorik sehr zurückhaltend. Kein Arzt sagt in dieser Situation: Ja, du kannst fasten. Jedem, der einer Risikogruppe angehört, raten wir, das Fasten später nachzuholen. Zu dieser Gruppe gehören vor allem alte Menschen und Menschen, die Medikamente nehmen, die das Immunsystem unterdrücken. Vorsichtig sein sollten auch Menschen die an Asthma, Diabetes oder Bluthochdruck leiden."
Imam: Fastenbrechen im engsten Familienkreis
Fasten ja oder nein? Auch türkische Geistliche werden in diesen Tagen mit dieser Frage gelöchert. So wie Yusuf Akyol, Imam in der zentralanatolischen Großstadt Konya. Er heißt eigentlich anders, möchte aber anonym bleiben. Sonst bräuchte er eine offizielle Genehmigung vom Gouverneur - und das kann dauern. Er erklärt: Das Fasten später nachzuholen, sei eine übliche Praxis im Islam.
"Manche Menschen können laut dem Koran vom Fasten befreit sein. Dazu gehören Alte, Kranke und Reisende. Doch er besagt auch, dass, wenn man als Alter, Kranker oder Reisender genug Kraft zum Fasten besitze, dann sei das Fasten heilbringender. Daher bin ich der Meinung: Statt nach Wegen zu suchen, um nicht zu fasten, ist es gesünder, sich zu bemühen, doch zu fasten."
Er findet, dass die Regeln des Korans mit den Regeln der Pandemiebekämpfung vereinbar sind. Der Imam erklärt:
"Unser Prophet äußert sich folgendermaßen zu Epidemien: Wenn ihr irgendwo von einer ansteckenden Krankheit hört, dann haltet euch fern von dort. Und wenn in eurem Ort eine Seuche ausbricht, dann verlasst ihn nicht. Was bedeutet das? Geht in Quarantäne, isoliert euch. Um die Krankheit nicht noch weiter zu verbreiten ist es daher besser, das Fastenbrechen nur im engsten Familienkreis zu Hause zu begehen."
"Beten wandelt unseren Schmerz"
Die Muezzins rufen weiter fünfmal am Tag zum Gebet – doch sie fordern die Gläubigen auf, es zuhause zu verrichten. Türkische Moscheen sind wegen Corona seit Mitte März zu den Gebetszeiten geschlossen, im Ramadan wird das so bleiben. Das sorgte in Akyols Gemeinde anfangs für großen Unmut:
"Unsere Älteren erzählen, dass sie derzeit mit einer Situation konfrontiert sind, wie sie sie noch nie in ihrem Leben erlebt haben", sagt der Imam. "Deswegen war man in meiner Gemeinde anfangs von dem Moschee-Verbot befremdet, so wie in jeder Gemeinde. Manche wollen es nicht akzeptieren und trotzdem kommen. Aber schlussendlich haben sie eingesehen, dass es so besser ist, es akzeptiert und sich daran gewöhnt. Aber natürlich bin auch ich traurig, dass ich nicht zusammen mit meiner Gemeinde beten kann."
Türkische Plätze sind verwaist – im letzten Jahr gab es hier noch riesige Fastenbrechen-Tafeln für bedürftige Anwohner. Verwaist sind auch Restaurants und Festhallen, in denen Firmen und Vereine einst opulente Ramadan-Menüs spendierten. All das ist in diesem Jahr verboten. Zurückgezogen und schlicht werden die meisten Muslime den heiligen Monat begehen. Manche können dem etwas abgewinnen – so auch Sonderpädagogin Şen:
"Ich glaube, dass in diesen Tagen die Menschen viel mehr beten und sich Allah zuwenden. Das wandelt unseren Schmerz. Isoliert vom materiellen Leben wenden wir uns mehr dem spirituellen Leben zu. Das ist das Wichtigste für mich, eigentlich sollte es immer so sein. Nur ohne so viele Tote."
Für sie war der Ramadan schon immer ein Monat der Geduld und der Barmherzigkeit. Die Corona-Krise fordert genau das. Nicht nur von ihr, sondern von der ganzen Welt.