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Rameau in Drottningholm
Brückenschlag zwischen Historie und Moderne

Im schwedischen Schlosstheater Drottningholm wurde die neue Saison mit Jean-Philippe Rameaus einaktiger Ballettoper "Pygmalion" eröffnet. Für unsere Kritikerin ein kontrastreicher Abend und ein berauschendes Erlebnis.

Von Franziska Stürz |
    Blick auf das Schlosstheater Drottningholm
    Das barocke Theater neben dem schwedischen Königsschloss Drottningholm ist seit seiner Wiederentdeckung im Jahr 1920 ein Ort für historisch informierte Opernaufführungen. (picture alliance/dpa - IBL Schweden)
    Nicht mit Rameau, sondern mit "Les Charactères de la danse" von Jean-Féry Rebel eröffnet Vittorio Ghielmi am Pult des Drottningholmer Theaterorchesters die erste Neuproduktion der Saison. Er fügt weitere fünf Tänze und Charakterstücke für Solo-Gambe aus der Feder von Marin Marais, Antoine Forqueray und Jean-Baptiste Lully zu einem Prolog, der in die Welt des barocken Tanzes und seiner Affekte einführt. Schließlich war auch Jean-Philippe Rameau von diesen Werken beeindruckt und zitiert sie in seiner Ballettoper "Pygmalion". Der halbstündige Drottningholmer Prolog zu dieser Oper dient auch dazu, das Publikum in die tänzerische Sprache von Saburo Teshigawara einzuführen.
    Vereinigung von Tanz und Musik
    In schlichtes schwarz gekleidet, aus dem Hände und Kopf hell hervorstechen, erscheinen der japanische Tänzer und seine kongeniale Partnerin Rihoko Sato auf der in klaren geometrischen Formen ausgeleuchteten Bühnenschräge des barocken Theaters und entwickeln ihre expressiven Bewegungen wie aus einer Zeitlupe heraus. Die nackten Holzplanken der Bühne und die historischen Prospekte aus sich verjüngenden Säulen bilden den klassischen Rahmen für eine die Epochen umspannende Suche nach Schönheit und Liebe in der Vereinigung von Barock und Moderne, von Tanz und Musik. Eine außergewöhnliche Kombination ist das, findet auch die Musikdirektorin Maria Lindal, die als Konzertmeisterin seit vielen Jahren im Drottningholmer Orchester spielt:
    "Es ist natürlich immer besonders hier auf Drottningholm. Das denke und fühle ich seit vielen Jahren, aber dieses Jahr ist es sehr besonders, weil es eine Begegnung zwischen zwei Meistern unserer Zeit ist – Saburo Teshigawara und Vittorio Ghielmi, unser Dirigent, der spielt dann auch Viola da Gamba."
    Der Prolog endet mit einem Pas de deux von Sato und Teshigawara zu Lullys Chaconne de Scaramouche, und das gespannte Publikum darf in der Pause versuchen, sich an diesem ungewöhnlich heißen Premierenabend noch einmal abzukühlen. Nachdem alle wieder auf den royal blau bezogenen Sitzbänken Platz genommen haben, erscheint Teshigawara zu den pastos schwellenden Klängen der Rameau-Ouvertüre und schiebt wie ein Magier einen barocken Wolkenhimmel von der Bühne. Die alte Maschinerie des Theaters wird also auch in diesem Pygmalion eindrucksvoll genutzt. Dann erscheint der Tenor Anders Dahlin als Bildhauer Pygmalion, der seiner Gattin Cephise überdrüssig ist und sich in die von ihm geschaffene weibliche Statue verliebt. Gott Amor persönlich erweckt sie für ihn zum Leben, und die Liebe triumphiert. Nur mit einem Haut färbenden Lendenschurz bekleidet steht der Sänger im warmen Lichtkegel auf der Bühne. Das schwitzende Publikum beneidet die Solisten und Tänzer der Rameau-Oper um ihre spärliche, an antike Statuen erinnernde Bekleidung.
    Herausforderung: Nacktheit auf der Bühne
    Für den Sänger Anders Dahlin war der Nude-Look des Pygmalion jedoch gewöhnungsbedürftig. Anfangs habe er Schwierigkeiten mit dieser Nacktheit auf der Bühne gehabt, konnte aber letztlich darin eine Reinheit entdecken, die es ihm ermöglicht, sich zu trauen, nur sehr wenig auf der Bühne zu machen.
    Die Auftritte der vier Solisten sind tatsächlich weniger von Aktion, als von einer ätherischen Eleganz geprägt. Teshigawara lässt gerne die Hände sprechen, was er mit dem barocken Tanzgestus durchaus gemein hat. Anders Dahlins fabelhaft gesungener Pygmalion wird durch den Tänzer Quentin Rogers gedoubelt, und Rihoko Sato übernimmt den tänzerischen Part der zum Leben erwachenden Statue. Dieses Objekt der Liebe steht im Fokus der Produktion, und die Tänzerin wirbelt in ihren Soloszenen mit einer atemberaubenden Intensität über die Bühne. Auch die gelegentlich eckigen Verwindungen der modernen Tanzsprache passen zu den Strukturen der Musik. Inhaltlich ist die Geschichte dieser Kurzoper schnell erzählt, aber es gehe auch gar nicht so sehr um die Handlung, oder den Text bestätigt der Rameau-erfahrene Anders Dahlin: Das wichtigste sei das tänzerische Element.
    Rameau hat den Sängerinnen von Pygmalions Ehefrau Cephise, der Statue und Amor nur kurze Szenen geschrieben, doch Hanna Husáhr, Silvia Moi, und Kerstin Avemo verleihen ihnen ganz eigene und sehr verschiedene Charaktere. Würdevoll erscheinen und verschwinden sie. Am Ende gibt es ein kurzes Tanzfinale zusammen mit den vier Chorsolisten – alle in ihrer hautfarbenden Verletzlichkeit. Wie Vittorio Ghielmi mit dem Drottningholmer Orchester dazu dieser ur-französischen Musik italienische Süffigkeit und breite, sehnsuchtsvolle Klänge entlockt, ist balsamisch schön und macht den kontrastreichen Abend zu einem berauschenden Erlebnis. Drottningholms neuer Pygmalion ist ein außergewöhnlicher, gelungener künstlerischer Brückenschlag zwischen Historie und Moderne.