Christoph Reimann: Denyo, Ihr letztes Album ist 2009 rausgekommen, jetzt ist 2015 - sechs Jahre sind vergangen. Das ist im Musikbusiness ganz schön lange. Warum haben Sie so viel Zeit dafür gebraucht?
Denyo: Mein letztes Album kam 2009 tatsächlich raus, unter meinem bürgerlichen Namen, Dennis Lisk. Das war kein Rap-Album, ich hatte eine Hip-Hop-Depression. Das lag daran, dass Hip-Hop, wie ich ihn gemacht habe, mit aufgebaut habe und auch in Deutschland irgendwie salonfähig gemacht habe - also innerhalb meiner Band natürlich. Ich habe das auch sehr vielen anderen Leuten mit zu verdanken ...
Reimann: Genau, mit den Absoluten Beginnen damals in den Neunzigern.
Denyo: Das war eine Zeit, wo ich finde, dass ... Diese Variante von Hip-Hop, die fand ich schön, die war klug und hatte trotzdem Eier. Dann kam eine Variante Hip-Hop dazu, die man jetzt vielleicht unter Gangsta-Rap, Straßen-Rap, Proleten-Rap, Asi-Rap oder wie auch immer nennen möchte - da gibt es tolle, richtig tolle Variationen, Haftbefehl und so weiter. Aber es gibt eben auch sehr viel, womit ich überhaupt nichts anfangen kann, und ich bin in so eine Depression gekommen, weil ich dachte: Mann, das soll jetzt deutscher Hip-Hop sein? Das ist das Gesicht vom deutschen Hip-Hop? Wie schade, das ist mir irgendwie zu wenig. Ich bin erwachsen geworden in der Zeit, ich habe mir die Frage gestellt, ob Hip-Hop vielleicht simpler gestrickt ist, als ich es bin. Ich war mir nicht ganz sicher und habe dementsprechend mich mit anderen Dingen mal ausprobiert, habe so eine Art Singsang-Rap mit Gitarre gemacht, so ein Singer/Songwriter-Album. Und dann, ja, habe ich das gemacht. Und das war auch schön. Das hat mir auch sehr viel gegeben. Und dann habe ich mich mit Jan wieder getroffen, also mit Jan Delay a.k.a. Eizi Eiz, und wir haben überlegt, ob wir nicht mal wieder eine Beginner-Platte machen wollen. Und haben uns deswegen anderthalb bis zwei Jahre eingeschlossen, intensiv gearbeitet. Da sind auch schon tolle Songs entstanden ...
Reimann:... nur noch kein Album ...
Denyo: ... noch kein Album, nee. Dafür war die Zeit zu kurz. Man braucht manchmal ein bisschen länger. Die Maschinerie Jan Delay lässt längere Zeiten nicht zu, zu Recht, das ist vollkommen okay. Und deswegen kam erst mal das Jan-Delay-Album. Und das war für mich die große Möglichkeit, noch mal die Zeit zu nehmen, die ein gutes Album braucht. Dann habe ich noch mal so zwei, drei Jahre fokussiert, feingeschliffen und gemacht und getan, und das Ergebnis kann man jetzt hören.
Reimann: Sie haben gerade gesagt, es gab eine Phase, da konnten Sie mit dem Hip-Hop nichts mehr anfangen. Sie haben damals, 2009, auch in Interviews gesagt: Hip-Hop stagniere. Und gerade haben Sie erwähnt, dass es dann auch Formen des Hip-Hop gab, mit denen Sie nichts anfangen konnten, zum Beispiel dem Gangsta-Rap oder Straßen-Rap. Sido könnte man zum Beispiel dazu zählen. Der ist jetzt aber auf Ihrer neuen Platte mit dabei.
Denyo: Ja, genau. Ich bin ein Freund von Widersprüchen. Und ich bin ein Freund von Hip-Hoppern. Wenn jemand Humor hat, wenn jemand eindeutig Talent hat und du merkst, dass es in irgendeiner Form ... Wie gesagt, dieser Eigen-Humor – das ist mir sehr, sehr wichtig. Wenn das jemand mit sich bringt und dann auch noch über die letzten zehn Jahre erfolgreich im Game ist, dann weißt du: Okay, der Junge ist klüger, als man denkt. Und es gibt Dinge, mit denen ich mich identifizieren kann, wenn ich an Sido denke, davon abgesehen, dass ich ein paar Songs auch wirklich cool finde. Ich finde nicht, dass man moralisch lupenrein sein muss oder dass man nur kindgerechte Musik machen darf. Sido ist jemand, den ich irgendwie akzeptiere, den ich respektiere. Das liegt auch daran, dass ich bei Hip-Hoppern eher versuche, die Gemeinsamkeiten zu sehen als die Unterschiede.
Reimann: Was haben Sie denn gemein?
Denyo: Gemein haben wir, dass wir über die letzten zehn Jahre oder mehr hier in Deutschland Hip-Hop machen, als Outlaws gesehen werden, sowohl als Outlaws der Pop-Industrie als auch generell in der deutschen Gesellschaft, und uns trotzdem durchsetzen, erfolgreich sind und auf die Bühne gehen und uns selber verwirklichen.
Reimann: Warum sehen Sie sich als Outlaw?
Denyo: Weil du als Rapper in Deutschland gesellschaftlich nicht dazu gehörst.
Reimann: Warum sind Sie jetzt eigentlich wieder zurückgekehrt mit Hip-Hop? Also, was hat sich getan? Ist Hip-Hop jetzt wieder relevant, ist die Qualität jetzt wieder höher? Oder hat es einfach nicht gezündet mit dieser Singer/Songwriter-Platte?
Denyo: Es hat nicht gezündet mit der Singer/Songwriter-Platte. Sollte es aber auch gar nicht. Die Leute unterstellen einem immer, dass etwas großartig zünden muss. Ich bin hier, um Musik zu machen. Das ist meine Aufgabe in diesem Leben neben zwei, drei anderen Aufgaben, die ich erfolgreich erfülle für mich. Ich liebe es einfach, das zu tun, und ich mache es so gut es geht. Und das kann man auch raushören, besonders auf der neuen Platte. Ich habe wieder angefangen zu rappen, weil ich da nun mal herkomme, weil ich die letzten vier, fünf Jahre, wie gesagt, daran gearbeitet habe, an meinen Fähigkeiten.
Reimann: Auf der neuen Platte, da ist ein Song, der heißt "Hübsche Frauen". Da erzählen Sie die Geschichte von einem Mann, der pleite ist, aber seine Freundin, die treibt ihn eigentlich nur noch weiter in den Ruin. Die will immer ein bisschen mehr haben, als die beiden sich eigentlich leisten können. "Warum sind hübsche Frauen nur so verdammt teuer", singen Sie im Refrain. Da frage ich mich: Wie aktuell ist denn das Frauenbild, das Sie in "Hübsche Frauen" besingen?
Denyo: Ja, das ist ... Wenn man jetzt die politisch korrekte Sichtweise da draufpackt, dann wird es natürlich gleich wieder schwierig und grenzwertig und so weiter und so fort. Es gibt da ein schönes Mittel, das heißt Humor, also: das Ganze ein bisschen lockerer sehen. Es steckt eine kleine Kernwahrheit immer noch in den Köpfen. Natürlich verändert sich diese Welt, jedenfalls die westliche Welt hier in Deutschland zum Glück ...
Reimann: Aber wie sind Sie denn auf den Song gekommen? Sie sind verheiratet ...
Denyo: Ich bin nicht auf den Song gekommen, weil ich mir die Frage gestellt habe, ob meine Frau mich auch ohne meinen extremen Reichtum lieben würde ...
Reimann: Das ist ja so ein bisschen die Frage. Sie sind verheiratet, haben zwei Kinder. Da fragt man sich: Wie ist die Rollenverteilung bei Ihnen zu Hause?
Denyo: Ja, also, bei uns ist das schon so: Ich arbeite sehr, sehr viel, dementsprechend arbeitet meine Frau auch sehr, sehr viel, nur eher mit den Kindern. Das ist unsere Rollenverteilung, die dann relativ klassisch ist. Aber das hat nichts damit zu tun, dass wir irgendwie klischeehaft wären oder denken würden oder ich denke, eine Frau muss sich um die Kinder kümmern und der Mann muss das Geld verdienen. Es ist in unserem Fall nun mal so, aber das ist halt eher einfach aus der Natur heraus, weil ich einfach leidenschaftlicher Musiker bin, und ich bin halt auch mit Musik verheiratet, und muss dem ein bisschen Zeit widmen.
Reimann: Sie haben eine Tochter und einen Sohn. Und ein Song, der besonders hervorsticht auf der Platte, ist ja der Song "Papa". Da erklären Sie Ihrer Tochter, womit Sie Ihr Geld verdienen. Also mit der Musik. Das ist ein sehr liebevoller Song. Ich frage mich: Wie verträgt sich das Musikmachen für Sie mit dem Vater-Sein?
Denyo: Sehr gut. Das ist auch das, weshalb ich den Song gemacht habe, um das zu zeigen. Weil die Leute so engstirnig sind. Die Leute sind einfach noch nicht reif. Die Leute leben in Klischees und in Konzepten. Und ein Klischee und ein Konzept ist: Ja, wenn man Musiker ist, dann nimmt man Drogen, dann chillt man irgendwie ab und geht seinen Talenten nach, die einfach gottgegeben kamen, dafür musste man bestimmt nichts tun. Und am Ende scheitert man vor sich hin und ertränkt sich im Alkohol und hat ganz, ganz viel Geld und verbrennt das alles. Fakt ist, dass wir einfach wie jeder erfolgreiche Mensch hart arbeiten dafür, Spaß haben besonders daran, das lieben, was wir tun, und natürlich gleichzeitig Kinder haben und die großziehen und uns an denen erfreuen und das auch eine Kraft und Inspirationsquelle ist. Ich liebe meine Kinder über alles, und sie sind das Wichtigste in meinem Leben.
Reimann: Verändert sich auch die Sprache, wenn man Vater wird?
Denyo: Die Sprache verändert sich schon etwas. Also, man denkt natürlich noch ein zweites Mal darüber nach, was man auf der Platte sagt. Es ist leider so. Muss man wirklich sagen: leider. Weil die Wahrheit ist nie das Wort an sich, sondern das, wo das Wort hindeutet. Und deswegen muss man eigentlich als Musiker so frei sein, alles zu sagen, was man möchte, egal wie politisch unkorrekt oder sonst was das ist. Es geht nur um die Intention, die sich dahinter verbirgt, und um das Gefühl, was dann ausgelöst wird. Deswegen tue ich mich manchmal schwer, wenn ich mich selber zensiere, und mache das aber an der einen oder anderen Stelle trotzdem auch, weil ich schon möchte, dass meine Kinder meine Platte auch hören können.
Reimann: Was sagen die zu Ihrer Musik?
Denyo: Die feiern das natürlich, kannste Dir ja vorstellen. Meine Kleine ... Wenn ich da irgendwas von Ariel erzähle ... Ich sage in dem Song zum Beispiel: Stell dir vor, ich bin ein Seeräuber, weil ich versuche ihr zu erklären, was ich mache. Ich bin ein Seeräuber, eine Notenkopf-Fahne weht über meinem Kutter, überall Bass-Wellen, tanzende Meerjungfrauen. Doch keine Angst, meine Ariel ist deine Mutter. Und wenn sie dann Ariel hört, dann ist bei ihr gleich: Ah, toll, Papa. Ich liebe den Song.
Reimann: Der letzte Song auf der Platte heißt "Urlaub im Grünen". Da singen Sie davon, den Computer auszuschalten, ins Grüne zu fahren. Es hört sich fast an wie die Sehnsucht nach dem Urlaub auf dem Bauernhof. Da habe ich mich gefragt: Ist es wirklich so spießig gemeint, wie es sich anhört? Oder was steckt genau dahinter?
Denyo: Ich habe versucht, einen Song zu machen, in dem ich vom Kiffen rede, ohne dass es jemand mitbekommt. Das ist mir, glaube ich, gelungen.
Reimann: Okay. Dann müssen wir jetzt hoffen, dass Ihre Kinder das nicht gehört haben.
Denyo: Haben sie nicht. Die hören keinen Deutschlandfunk.