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Rapper XXXTentacion polarisiert im Netz
Mit Gewaltbildern gegen Gewalt?

Anspielungen an eine Vergewaltigung und Todesszenarien: Das Musikvideo von US-Rapper XXXTentacion zum Song "Look At Me" wird im Internet millionenfach angeklickt - und es polarisiert. "Ich sehe das als eine Art Psychotherapie bei ihm an", erklärte Musikkritiker Falk Schacht im Dlf.

Falk Schacht im Gespräch mit Juliane Reil |
    Hip-Hop erzählt die Wirklichkeit und die ist oft gewalttätig, vor allem für schwarze Jugendliche. Hier Gegendemonstranten des Neo-Nazi-Aufmarsches in Charlottesville, bei dem drei Menschen starben.
    Hip-Hop dreht sich um den Alltag - und der ist für schwarze Jugendliche mitunter gewalttätig. Hier Gegendemonstranten des Neo-Nazi-Aufmarsches in Charlottesville (imago stock&people)
    Juliane Reil: Hip-Hop und Gewalt, das ist eine lange Geschichte. Mit dem Gangsta-Rap der frühen 90er Jahre hat das eine extreme Note bekommen: drastische gewaltverherrlichende Texte, die sich auch mal gegen Frauen und Homosexuelle richten. Aber nicht nur die Texte sind drastisch, sondern teilweise auch die Bilder. In Musikvideos von Hip-Hop-Künstlern zum Beispiel, die im Internet kursieren. Ein neues ist das Video zu dem Song "Look At Me" vom US-amerikanischen Rapper XXXTentacion. Todesszenarien werden durchgespielt und auch die Andeutung einer Vergewaltigung. Falk Schacht ist Hip-Hop-Experte und Musikjournalist. Guten Tag, Herr Schacht.
    Falk Schacht: Guten Tag.
    Reil: Vielleicht können Sie mir das erklären: Warum spielt Gewalt so eine große Rolle im Hip-Hop?
    Schacht: Man muss sich das so vorstellen, dass Hip-Hop ein Sprachrohr darstellt für Teile der Bevölkerung, die sonst nicht gehört werden. Und es liegt nicht am Hip-Hop selber, sondern an den gesellschaftlichen Zuständen, die dann im Hip-Hop als Kanal ihren Ausdruck erhalten.
    "Die Gewalt wird immer radikaler"
    Reil:Also wenn ich Sie richtig verstehe, ist der Hip-Hop ein Spiegel der Gesellschaft. Trotzdem kann man sich ja fragen, warum diese teilweise brachiale Gewalt oder filterlose Gewalt, warum man das macht und ob sich diese Kunstform damit nicht auch selber schadet.
    Schacht: Naja, die Kunstform selber lebt ja nicht an sich. Sie kann sich deswegen nicht selber schaden, es kann sich nur jeder Künstler selber schaden. Bei XXXTentacion muss man vielleicht ein bisschen nachvollziehen, was er erlebt habt. Zum Beispiel mit sechs Jahren hat er einen Mann mit einer Scherbe angegriffen und verletzt, von dem er dachte, dass er seine Mutter bedroht. In der achten Klasse ist er dann von der Schule geflogen, weil er einen Jungen verprügelt hat, der seine Mutter beleidigt hat. Und genau diese Mutter, für die er ja offensichtlich ein starkes Verantwortungsgefühl hatte, die hat ihn dann als Teenager aus dem Haus geworfen. Also alleine daran kann man schon ablesen, dass er keine sonderlich ideale Jugend hinter sich hat, und wenn er dann anfängt, Musik zu machen, kommt das natürlich da in dieser Musik heraus.
    Reil: Würden Sie denn sagen, aus ihrer Beobachterrolle heraus, dass sich die Gewalt im Hip-Hop verändert hat über die Jahre?
    Schacht: Die Beschreibungen können immer drastischer werden, das ist richtig, aber das ist ja auch ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, dass die Gewalt immer radikaler wird. Wir werden über Medien zugeschüttet mit gewalttätigen Bildern, Krimifolgen, Nachrichten, man kann ja der Gewalt kaum entkommen, außer wenn man jetzt einfach mal alle Geräte abschaltet. Und dass das wiederum in den Kindern spiegelt, wenn sie dann anfangen, Musik zu machen, wundert mich eigentlich nicht sehr.
    "Er ist dem Rassismus in den USA ausgesetzt"
    Reil: Das heißt, dass Gewalt oder Gewaltbilder eigentlich eingesetzt werden - dann heute oder in dem Fall von XXXTentacion - um gegen Gewalt vorzugehen?
    Schacht: Nee, so viel moralischen Anspruch kann man ihm auch nicht zusprechen. Ich meine, der Junge ist 19 Jahre alt und hat offensichtlich eine wahnsinnig gebrochene Biografie, und ich sehe das eher als so eine Art Psychotherapie bei ihm an. Er verarbeitet die Gewalt, die er in seinem Leben erlebt hat, indem er selbst Gewalt aussendet und ist sich bisher auch gar nicht so groß darüber bewusst, wie richtig oder falsch das ist.
    Erst jetzt, wo er in einer Öffentlichkeit auftritt und damit konfrontiert wird, sowohl von Medien als auch in Teilen von seinen Fans, gehe ich davon aus, dass solche Denkprozesse bei ihm angetriggert werden, wohin die dann im Endeffekt als Resultat führen, ist noch mal dahingestellt, aber dass er da eine bewusste Spiegelung bei sich selbst vorgenommen hat und gesagt hat, okay, ich will jetzt etwas gegen Gewalt tun: nein, das dürfte noch nicht der Fall sein.
    Reil: Jetzt haben Sie gerade über die Biografie dieses Mannes gesprochen, aber es geht über das Biografische bei ihm hinaus. Solche Geschehnisse wie Charlottesville werden auch eine Rolle bei ihm spielen.
    Schacht: Ja, sicherlich. Er ist ein Schwarzer, und natürlich ist er dem Rassismus in den USA ausgesetzt. Das ist statistisch nun auch alles belegt. Die Black-lives-matter-Bewegung, die sich gegründet hat, weil so viele Schwarze von Polizisten erschossen werden im Gegensatz zu Weißen zeigt einfach, dass natürlich er auch noch dem alltäglichen Rassismus ausgesetzt wird: Er hatte keine heile Kindheit im eigenen Haus und wenn er dann vor die Tür gegangen ist, ist er dann dem ausgesetzt gewesen, was da auch noch herrscht.
    Insgesamt finde ich es verständlich, dass er kein heiler Junge ist mit 19 Jahren, gleichzeitig ist das, was er tut - mal als Beispiel: er hat ja seine schwangere Freundin vor zwei Jahren körperverletzt und ist deshalb auch vor Gericht - das ist natürlich nicht entschuldbar, in keinster Weise. Aber wenn man sich die Biografie anguckt, kann man vielleicht etwas besser nachvollziehen, dass bei ihm nicht alles gerade läuft.
    Die andere, verletzliche Seite
    Reil: Aber wie machen Sie das, als jemand, der sich mit Hip-Hop auseinander setzt: Können Sie da so stark trennen zwischen dem Künstler, der etwas aufs Tapet bringt, und der privaten Person?
    Schacht: Naja, wenn ich mir eine Kunstfigur erschaffe, ist die Trennung ja vom Künstler vorgenommen und dann ist das natürlich einfacher. Rap-Musik besteht aber sehr, sehr stark darauf authentisch zu sein: Also ich erzähle die Dinge aus meinem Leben, wie sie in echt sind und stelle das dann auch im Rest meiner Kunst, also in Musik-Videos oder Live-Performances, dar. Da fällt es natürlich schon schwerer, das zu trennen - und vielleicht muss man das an der Stelle auch nicht wirklich trennen, dass man halt sagt: Ja gut, die Kunst ist fast mit der Person gleichzusetzen in dieser Sekunde. Und das ist auch die Stärke dieser Kunst, weil, wenn man sich zum Beispiel das Album anhört, was er veröffentlicht hat vor Kurzem, dann ist da festzustellen, dass er wahnsinnig fast zärtliche und zerbrechliche Songs auf dem Album hat. Und das zeigt mir, dass dieser meist durch Gewalttätigkeiten auffallende Junge auch diese andere Seite hat, die sehr verletzlich ist, die man so sonst von ihm nicht sieht.
    Reil: Falk Schacht, über das Bild der Gewalt im Hip-Hop. Herzlichen Dank für das Gespräch.
    Schacht: Danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.