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Rasender Stillstand
Schleswig-Holstein kämpft mit dem Verkehr

Ob Brücken, Straßen oder Tunnel: Die marode Infrastruktur in Schleswig-Holstein bewegt viele Menschen. Vor den Landtagswahlen im Mai ist das Thema deshalb zum festen Bestandteil im Wahlkampf geworden.

Von Johannes Kulms | 05.01.2017
    Autos fahren am 30.09.2016 in Westerrönfeld (Schleswig-Holstein) in die Weströhre des Rendsburger Tunnels unter dem Nord-Ostsee-Kanal. Nach langer Verzögerung wird der Verkehr in der sanierten Oströhre des Tunnels in der Nacht zum 01.10.2016 wieder freigegeben.
    Oströhre des Rendsburger Kanaltunnels. Nach langer Verzögerung wurde die Strecke am 01.10.2016 wieder freigegeben. (dpa/ picture alliance / Carsten Rehder)
    Auf einer Autobahnbrücke wenige Kilometer nördlich von Neumünster steht Torsten Albig und freut sich.
    "Es ist ein toller Moment, es ist ein guter Moment auch für Schleswig-Holstein!"
    Schleswig-Holsteins Ministerpräsident hat soeben einen frisch sanierten Bauabschnitt für die unter ihm lang donnernden Fahrzeuge freigegeben: Die A7 wird zwischen Hamburg und Neumünster sechsspurig ausgebaut, und das ist nun vollbracht - zumindest auf diesem sechs Kilometer langen Teilstück.
    "Wir können Autobahn, wir bauen Autobahn, wir reparieren dieses Land!"
    Albig war nicht umsonst jahrelang Pressesprecher. Er weiß, was PR ist. Dieses Jahr aber will der smarte SPD-Mann als Ministerpräsident wiedergewählt werden, im Mai sind Landtagswahlen in Schleswig-Holstein. Verkehr und Infrastruktur sind Themen, die den hohen Norden beschäftigen. Albig behauptet: "Wenn ihr uns vertraut, bekommt ihr bis 2030 ein komplett durchsaniertes Land!"
    Wo es Beschwerden gibt, verweist man in bester Länder-Manier stets auf den Bund. Schleswig-Holsteins Verkehrsminister Reinhard Meyer bekommt viel Post wegen der ganzen Baustellen im Land.
    "Make Schleswig-Holstein great again"?
    "Wir haben in Deutschland mindestens 25 Jahre lang zu wenig in Infrastruktur investiert und das kann man nicht von heute auf morgen aufholen. Der Investitionsstau ist groß und das wird noch ein paar Jahre dauern, den dann tatsächlich aufzulösen."
    Man könnte auch sagen: "Make Schleswig-Holstein great again!" So wie Wolfgang Kubicki.

    "Ja gut, das war eine Persiflage auf den Trump-Slogan, dem können die Schleswig-Holsteiner entgegen treten, wenn die Amerikaner groß werden wollen, wollen wir das auch. Nein im Ernst, wir haben einen Nachholbedarf bei verschiedenen Dingen im Lande."
    Der FDP-Fraktionschef zählt die Bildung dazu - aber auch die Infrastruktur. Doch ebenso wie die CDU meinen die Liberalen: Die Landesregierung komme beim Thema Infrastruktur nicht aus dem Quark. Wertvolle Zuschüsse aus Berlin verfielen, weil die Küstenkoalition aus SPD, Grünen und Südschleswigschem Wählerverband immer noch nicht genügend Planer eingestellt habe. Und: Da müsse noch viel mehr Geld bewegt werden, fordert Kubicki.
    "Wir müssen dazu kommen, noch in der nächsten Legislaturperiode, dass wir eine Investitionsquote von mindestens zehn Prozent wieder im Landeshaushalt erreichen statt jetzt knapp sieben Prozent."
    Dass es bei der Sanierung der A7 so gut laufe sei weniger der Landesregierung zu verdanken, meint Kubicki. Sondern damit, dass es sich hierbei um ein Public Private Partnership-Projekt handele, also eine Kooperation mit der freien Wirtschaft.
    Wer mit dem Auto die A7 weiter in den Norden fährt, erreicht bald die Rader Hochbrücke, die nahe der Stadt Rendsburg den Nord-Ostsee-Kanal überquert. Ein Abstecher an den Fuß des Bauwerks ermöglicht unerwartete Einblicke in Schleswig-Holsteins Infrastruktur:
    "Das sind dann Waschtische aus Marmor mit LCD-Fernseher für gewisse Galaveranstaltungen, High End VIP-Container-WC. Das ist wie geleckt hier drin. Ganz im Gegenteil zu unserem Land hier, unserer A7, unserem Verkehrstunnel, das stimmt."
    Sanierungen laufen schleppend
    Christoph Jessen leitet die Logistik-Abteilung von Sani. Das 70-Mitarbeiter-Unternehmen vermietet Raum- und Sanitärcontainer - z.B. für Rockfestivals oder Baustellen. Jessen leitet gleichzeitig die Hauptniederlassung in Borgstedt, die eigentlich ziemlich verkehrsgünstig liegt: Die Rader Hochbrücke befindet sich kurz vor der Tür. Und zum Kanaltunnel, von dem es schnell in Richtung Itzehoe geht, sind es gerade mal fünf Kilometer.
    "Wir hatten viele Jahre lang eigentlich Ruhe, dadurch dass der Kanaltunnel komplett offen war und die A7 ohne Baustellen war. Nun ändert sich das natürlich, weil wir die Dauerbaustelle im Kanaltunnel haben seit Jahren, was zu Rückstau auf beiden Seiten führt. Und gerade wenn wir im Sommer das Wacken Open Air beliefern kommt es natürlich zu Verzögerungen. Und auch auf anderen Baustellen sind wir dann oft spät dran."
    Vier bis fünf Stunden lang stünden die Fahrzeuge von Sani jeden Tag im Kanaltunnel-Stau, sagt Jessen. Der Schaden gehe in die Zehntausende. Die Sanierung der beiden Tunnelröhren begann 2011 und verzögert sich laufend – technische Probleme. Doch nicht nur der Tunnel macht Jessen Sorgen. Auch die Frage, ob es gelingt, rechtzeitig ein Ersatzbauwerk für die Rader Hochbrücke fertigzustellen. Denn die bestehende kann maximal noch zehn Jahre befahren werden haben Statiker berechnet.
    Rendsburgs Bürgermeister Pierre Gilgenast schwärmt von der tollen Verkehrsanbindung, die die 30.000-Einwohner-Stadt eigentlich hat. Der SPD-Politiker weiß aber auch:
    "Wenn diese Verkehrssysteme Schwierigkeiten haben oder in einen Sanierungsbereich reinkommen, dann wirkt sich das durchaus auch nachteilig aus."
    Viele Dauerbaustellen
    Es gibt derzeit also an vielen wichtigen Verkehrsbauwerken im kleinen Land etwas zu schrauben. Und auch Kinder haben das Nachsehen. So ist die denkmalgeschützte Schwebefähre überm Nord-Ostsee-Kanal außer Betrieb, eingehängt an die mächtige Eisenbahnbrücke und wichtiges Verkehrsmittel vor allem für Schülerinnen und Schüler. Doch ein Ersatz soll erst 2019 da sein.
    Fußgängern und Fahrradfahrern bleibt gerade nur der Fußgängertunnel einen Kilometer entfernt - oder eine Ersatzfähre, wobei die nun über die Wintermonate ihren Verkehr eingestellt hat - und auch keine echte Alternative sei, sagt Bodo Schnoor, Ortsgruppensprecher des Allgemeinen Deutschen Fahrrad Clubs:
    "Schwierig ist, wenn das dauernd geändert wird - dann fährt sie mal, dann fährt sie nicht. Dann wird der Anleger geändert und solche Geschichten und das ist eben schwierig herauszukriegen für die Pendler."
    Über Schnoors Kopf hinweg zuckelt nun ein Zug entlang über die Eisenbahn-Hochbrücke. Das Bauwerk ist über 100 Jahre alt. Und auch hier wird saniert. Bestimmte Züge nachts werden deshalb durch Busse ersetzt. Doch immerhin: Tagsüber rolle der Verkehr problemlos über die Brücke heißt es von der Deutschen Bahn. Derzeit.