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Raser-Szene in Deutschland
"Sie gehen bewusst in diese Risikosituationen"

Die meisten Teilnehmer illegaler Autorennen seien sich der Risiken bewusst, sagte Verkehrspsychologe Don DeVol im Dlf. Prävention funktioniere bei ihnen nur durch empfindliche Strafen: die Einschränkung der Bewegungsfreiheit des Einzelnen "bis hin zu Beschlagnahmung des Autos oder Fahrerlaubnisentzug."

Don DeVol im Gespräch mit Carsten Schroeder |
Symbolbild Raser, Temposünder
Prävention bei Rasern funktioniere nur durch scharfe Sanktion, sagte Verkehrspsychologe Don DeVol im Dlf (dpa/Gaetan Bally)
Carsten Schroeder: Dass bei illegalen Autorennen Unbeteiligte ums Leben kommen, weil sie von Rasern überfahren werden, ist leider immer häufiger der Fall. Zurzeit werden mehrere solcher Fälle vor deutschen Gerichten verhandelt. Dabei geht es inzwischen vielfach um die Frage, ist es Mord oder ist es fahrlässige Tötung? Erst am Freitag ist in München wieder ein 14-jähriger Jugendlicher von einem Raser überfahren worden.
Was sind das für Persönlichkeiten, die das Leben ihrer Mitmenschen auf das Spiel setzen, und was treibt sie an? Am Telefon ist jetzt der Verkehrspsychologe Doktor Don DeVol, er ist Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Verkehrspsychologie und Leiter des Instituts für Verkehrssicherheit beim TÜV in Thüringen. Guten Abend, Herr Doktor DeVol!
Don DeVol: Hallo!
Schroeder: Die Vorstellung, die man sich von Rasern macht, lautet ja meist, das sind junge Männer, die mit den PS ihrer Autos protzen wollen, aber genaue Vorstellungen hat man nicht. Was wissen Sie über die Persönlichkeit der Raser?
DeVol: Also so ganz weit entfernt von der Realität ist dieses Vorurteil nicht. Es sind tatsächlich Männer meistens im Alter von Führerscheinerwerb, zwischen 18 und vielleicht 30. Was sind das für Persönlichkeiten? Also da gibt es unterschiedliche Motive, aber im Kern kann man schon sagen, wir wissen aus Studien, dass oftmals eine Selbstwertproblematik dahintersteht, bei denjenigen, die entweder illegale Rennen fahren oder sich innerstädtisch mit 160, 200 Stundenkilometer durch die Straßen bewegen. Das liegt ja auf der Hand, dass da Kompensationsmechanismen eine Rolle spielen.
Auto-Tuner angelehnt an den Motorhauben ihrer Autos
Illegale Autorennen: Rennstrecke Innenstadt
Sie rasen nachts mit Tempo 200 durch deutsche Innenstädte und riskieren bei illegalen Autorennen Menschenleben. Während immer mehr Städter ihr Auto abschaffen oder nie eins hatten, scheint die Raser-Szene in deutschen Metropolen zu wachsen.
Aufmerksamkeit bekommen durch aufgemotzte Autos
Schroeder: Also bei der Frage, warum tun sie das, ist ein Aspekt, dass sie ihr Selbstwertgefühl steigern wollen durch diese Rennen?
DeVol: Richtig, Anerkennung bekommen wollen, Aufmerksamkeit bekommen wollen. Das wird als Belohnung wahrgenommen, und das verstärkt natürlich auch dieses Verhalten.
Schroeder: Aufmerksamkeit bekommen durch die großen Autos, die sie fahren und auch durch die lauten Motoren, die da knattern?
DeVol: Ja, das Gesamtpaket, würde ich sagen. Also Aufmerksamkeit im Sinne von visuelle Aufmerksamkeit, dass wenn sie an der Ampel stehen, natürlich mit dem aufgemotzten Auto, dass dann die Passanten möglicherweise eher drauf aufmerksam werden und erst recht, wenn sie natürlich den Motor aufheulen lassen oder vielleicht sogar beim Anfahren die Reifen durchdrehen und solche Dinge. Das macht natürlich was aus, wenn sie sich beobachtet fühlen.
Ein Sportwagen fährt durch die Komödienstraße in Köln, Symbolbild Raser
Getuntes Auto, aufheulender Motor - all das schafft Aufmerksamkeit (imago/C. Hardt/Future Image)
Schroeder: Welche Rolle spielt der Rausch der Geschwindigkeit dabei?
DeVol: Der spielt insofern - das ist allerdings ein anderes Motiv, was sie jetzt ansprechen. Das ist mehr das Motiv, wir nennen das Sensation Seeking, als den Kick haben wollen einer höheren Geschwindigkeit, durchaus in Kombination mit einem Risikoerleben, Risikobewusstsein. Das heißt, sie gehen bewusst in diese Situation rein, die meisten – also wenn wir über illegale Rennen sprechen jetzt –, bewusst in diese Risikosituation hinein, um diesen Kick zu erleben.
Schroeder: Trifft sich die Raser-Szene eigentlich eher in Städten oder eher auf dem Land?
DeVol: Das, was wir wissen, teilweise auch aus den Medien, durch diese dramatischen Vorfälle, die berichtet worden sind, ist es so, dass es eher in den Städten und vor allem in den Großstädten stattfindet.
Schroeder: Diese Autos sind ja ziemlich teuer, die da diese Geschwindigkeiten erreichen. Woher mögen diese jungen Männer das Geld für die Autos haben?
DeVol: Also da kenne ich keine Studie und keine Erhebungen darüber. Das kann ich Ihnen so nicht sagen. Meine Vermutung ist die eines Normalbürgers, dass ich sage, entweder stecken sie alles Geld, was sie haben und verdienen, da rein. Oder sie haben andere Quellen, um an Geld zu kommen, um sich das leisten zu können. Das kann ich Ihnen aber jetzt nicht beantworten. Das ist auch von der verkehrspsychologischen Seite aus betrachtet eher unerheblich.
Es hängt vom Zufall ab, ob etwas passiert
Schroeder: Dann lassen Sie uns auf die verkehrspsychologischen Aspekte eingehen. Inwieweit sind sich die Raser der Gefahr und des Risikos eigentlich bewusst?
DeVol: Also ich denke, in den meisten Fällen – man muss natürlich schauen, was im Einzelfall dahintersteht –, also meine Überlegungen oder unsere Überlegungen gehen mehr auf die Gruppe als allgemeine Gruppe von Fahrern hinein. Man kann schon davon ausgehen, dass die meisten sich dessen bewusst sind und dass sie es in Kauf nehmen. Das würde ich schon sagen.
In Kauf nehmen, verstehen Sie mich jetzt nicht juristisch im Sinne von bedingt vorsätzlich oder wie auch immer die Begriffe sind, die juristischen, sondern in Kauf nehmen im psychologischen Sinne, dass sie schon wissen, dass es ein Risikoverhalten ist und dass tatsächlich was passieren kann, sie es aber aus unterschiedlichen Motiven heraus trotzdem machen.
Schroeder: Ich verstehe Sie richtig, eigentlich wissen sie, was sie für ein Risiko eingehen, aber trotzdem machen sie es?
DeVol: Sie machen es trotzdem, teilweise, also in Einzelfällen, auch durchaus mit der Kalkulation, wenn was passiert, dann hat derjenige, der zu Schaden kommt, Pech gehabt, oder sie sagen, so nach dem Motto: Es wird schon gut gehen, aber wissen ganz genau, dass es letzten Endes ein hohes Risiko ist und mehr oder weniger vom Zufall dann auch abhängt, ob was passiert, was Dramatisches, oder nicht.
Prävention nutzlos, Sanktionen wirksamer
Schroeder: Ist es denn möglich, die Raser-Szene oder die Raser mit Vernunft anzusprechen, dass man sagt, überlegt mal, was ihr da macht, oder sind die da immun gegen?
DeVol: Also wir in der verkehrspsychologischen Diagnostik haben ein Beurteilungssystem aufgebaut und etabliert, das von dem Schweregrad der Beeinflussbarkeit ausgeht. Das fängt an von Einstellungsfehlern oder Defiziten, die wir versuchen zu beheben, also erst mal zu diagnostizieren und dann zu beheben, bis hin zu, da sprechen wir von Anpassungsbereitschaft als etwas schwerwiegendere Kategorie, dann Anpassungsfähigkeit, ob einer überhaupt anpassungsfähig ist, sich im Straßenverkehr zu bewegen, bis hin zu Persönlichkeitsstörung.
Je schwerer dieser Grad der Abweichung ist desto mehr muss man in therapeutische Richtung gehen. Ich würde behaupten, um die Frage konkret zu beantworten, dass die meisten nicht ansprechbar sind, also die meisten, über die wir jetzt gesprochen haben, nicht ansprechbar sind auf allgemeine Präventionsansprachen, über Fahrschulen oder über Plakate an den Autobahnen oder wo auch immer.
Schroeder: Wie sollte dann Ihrer Meinung nach eine Prävention aussehen?
DeVol: Also ich – so traurig das vielleicht klingen mag –, ich würde sagen, Prävention durch Sanktion. Sanktion hätte zur Voraussetzung, dass natürlich die Überwachung stärker sein muss, und dann muss man spezialpräventiv insofern vorgehen, dass man denjenigen sanktioniert, hart bestraft, Führerscheinentzüge bei geringen Delikten, und dass das dann eine Ausstrahlungswirkung hätte auf andere.
Schroeder: Also schärfere Strafen könnten abschrecken?
DeVol: Ja, da meine ich aber jetzt nicht Strafen im Sinne von höheren Geldbußen, sondern tatsächlich empfindlichen Strafen, was die Freiheit, die Bewegungsfreiheit sozusagen des Einzelnen angeht, bis hin zu Beschlagnahmung des Autos oder Fahrerlaubnisentzug. Das sind Dinge, die wirklich wehtun, und da kommen wir wieder auf den Anfang zurück, die wehtun, da, wo sie ja ihre Belohnung her empfinden, nämlich im Selbstwertgefühl. Wenn derjenige plötzlich nackt, ohne sein getuntes Auto dasteht, dann tut das schon empfindlich weh.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.