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Rasse
"Ein Begriff für Ausgrenzung und Diffamierung"

Der Begriff der Rasse sei derzeit im politischen Sprachgebrauch vielleicht nicht üblich, aber die Idee dahinter sei weiter sehr virulent, sagte der Historiker Christian Geulen im DLF. Es sei wie der Begriff des Ariers ein absurdes Konzept, bei dem es im Wesentlichen darum gehe, "Ausgrenzung und Diffamierung zu begründen".

Professor Christian Geulen im Gespräch mit Beatrix Novy |
    Mitglieder des Geheimbundes Ku-Klux-Klan in den USA stehen in weißen Gewändern und Kapuzen um ein brennendes Kreuz.
    Mitglieder des rassistischen Geheimbundes Ku-Klux-Klan in den USA. (Jim Lo Scalzo / dpa)
    Beatrix Novy: Erst 1998 - ist nicht lange her -, da kam auf, dass im Wiener Naturhistorischen Museum es einen sogenannten "Rassensaal" gab. Der wurde dann aber auch prompt geschlossen. Da erfuhr die Öffentlichkeit überhaupt erst davon, dass hier munter Schädel und Skelette ausgestellt waren, versehen mit Typenbeschreibungen wie Nordid oder Kafrid. Das könnte heute nicht mehr passieren, die ganze pseudowissenschaftliche Begriffswelt von Erbgesundheit oder Völkertypen etc. steht im Museum der Wahnideen. Heute weiß man ja, in der menschlichen DNA sorgt nicht mal ein Prozent für die äußeren Unterschiede, die einmal für Rasse standen. Aber das Thema bleibt offenbar prekär. Jedenfalls wollte Deutsche Hygienische Museum in Dresden über seine für das 80. Jahr nach den Nürnberger Rassegesetzen von 1938, also für eine 2018 geplante Ausstellung zu Geschichte und Aktualität des Konzepts Rasse erst mal reden. Daher die Tagung, die gerade dort in Dresden stattfindet. Der Tagungsleiter ist Christian Geulen von der Universität Konstanz. Ihn habe ich gefragt, was denn der Begriff aktuell noch bedeutet, das Konstrukt Rasse habe doch ausgespielt.
    Christian Geulen: Erstens existiert er in vielen Sprachen, etwa im Englischen, noch durchaus als doch relativ normale Kategorie und Beschreibung sozialer Ungleichheit etwa. Dass ein solcher Begriff problematisch ist und vielleicht derzeit jetzt nicht im politischen Sprachgebrauch üblich, heißt nicht, dass das, was mit ihm gemeint ist, die Idee dahinter sehr virulent ist, und da würde ich mal gerade heute sagen, dass das durchaus der Fall ist, und insofern kann man durchaus auch eine Tagung über diesen Begriff, seine Bedeutung und seine Effekte machen.
    Novy: Sie haben ja gerade schon gesagt, er ist nicht ganz verschwunden. Was ist denn heute noch wissenschaftlich am Begriff Rasse?
    Rassistische Stereotype sind weiter aktuell
    Geulen: Wie gesagt, es gibt Formen seit der Erfindung der Genetik, wo es jetzt nicht mehr um Evolution im klassischen Sinne mit Vererbung, Erbanlagen und Ähnlichem geht, sondern wo man den Mechanismus herausgefunden hat seit den 50er-Jahren und jetzt seit den 90er-Jahren das Genom entschlüsselt. Da ist es durchaus so, dass auch heute noch und täglich unter anderem Populationsgenetiker und andere Wissenschaftler dabei sind, das immer weiter auszudifferenzieren und zu gucken, welche Gene in welchen Regionen besonders relevant sind, wie sie mit anderen Genen zusammenhängen und ein solches genetic screening zu machen. Die vermeiden natürlich den Rassenbegriff oder reden selten davon. Im Prinzip handelt es sich hier aber um den Versuch, dann doch diese Frage der kollektiven Unterschiede zwischen Menschen biologisch in den Griff zu bekommen. Das ist die eine Relevanz des Ganzen. Die anderen sehe ich doch in sehr vielen Formen der Fremdenfeindlichkeit, wo auch, wenn man genauer hinguckt, selten das Wort Rasse auftaucht, wo aber das, was 200 Jahre lang, Stichwort Darwinismus, Sozialdarwinismus und andere Kontexte, mit dem Begriff verbunden war, als Denkfigur und als Denkweise und teilweise auch Handlungsweise immer noch sehr aktuell ist.
    Novy: Sie werden ja auch schon heute Nachmittag gesellschaftlich in Ihrer Thematik mit dem Panel "Glauben und Religion". Ein Thema: "Antimuslimischer Rassismus im Kontext der Migrationsgesellschaft". Rassismus ist ja ein weiter Begriff, umfasst ja heute eigentlich jede Reduzierung auf den kollektiven Hintergrund eines einzelnen Menschen. Aber antimuslimisch? - Die Religion hat doch ihre eigenen Konflikte.
    Geulen: Das Problem bei all diesen vielen, vielen solcher sozialen, politischen, religiösen, biologisch-rassischen Konfliktformen ist, dass sie sich immer mit den anderen Momenten verbinden. Und der Vortrag von Frau Schumann, auf den Sie anspielen, über antimuslimischen Rassismus zeigt eigentlich sehr deutlich anhand von Zuschriften, die deutsche Bürger an muslimische Vereine und Verbände gerichtet haben und weiterhin immer wieder richten, in welcher Weise da eine Wahrnehmungsstruktur herauskommt, wie eigentlich ganz alte klassische, teilweise religiöse Stereotype, teilweise aber auch rassistische Stereotype oder ethnische Vorstellungen, die weit ins 19. Jahrhundert zurückreichen, hier plötzlich wieder sehr aktuell sind und offenbar in den Köpfen der Menschen immer noch herumschwirren, sodass man hier tatsächlich von einem antimuslimischen Rassismus sprechen kann, weil die Art und Weise, in der es formuliert wird, nicht nur daran erinnert, sondern das wirklich wiederholt und weitertreibt.
    Eine Chiffre für Ausgrenzung
    Novy: Sie zeigen auch einen Dokumentarfilm von Mo Asumang über die Arier. Das ist der Film einer jungen Frau, die sich auf die Spur dieses Begriffs Arier gesetzt hat und dabei auch die Volksgruppe im Iran besucht hat zum Beispiel. Das ist ja merkwürdigerweise wirklich eine Figur, die offenbar nicht ausrottbar ist, wie man ja in Amerika sieht bei den ganz rechten Aryan Nations. Welche Rolle spielt denn das noch heute?
    Geulen: Dieses Arier-Mythos, das ist im 19. Jahrhundert entstanden. Das ist ursprünglich eine philologische, sprachwissenschaftliche Unterscheidung. Dann kamen aber auch Ethnologen und Völkerkundler und haben herausgekriegt: Nein, da gibt es tatsächlich so eine Kultur, eine Volksgruppe, die im nördlichen Iran lebt. Da kommt das eigentlich ursprünglich her. Und wenn man ganz streng sein würde, dürften eigentlich nur die sich Arier nennen. Das ist dann aber im 19. Jahrhundert sehr schnell übertragen worden zu einer großen Rassenkategorie, sehr nah an dem, was übrigens auch von den Nazis und anderen Germanentum genannt worden ist, fast austauschbar. Und deshalb überall da, wo Sie rechtsradikale Ideologien haben, taucht dieser Arier-Begriff auf. Auch bei den Neonazis in Deutschland übrigens ist das durchaus ein prominenter Begriff, ganz besonders aber tatsächlich in den USA. Und was die Frau Asumang gemacht hat in unglaublich beeindruckender Weise, ist, dass sie einfach fragt: Sie will wissen, was ist das eigentlich für ein Begriff, wo kommt das her, und sie fragt unter anderem Wissenschaftler und fährt in den Iran. Aber sie geht vor allen Dingen auch zu den Neonazis und fragt die, was das ist, und sie fährt nach Amerika zum Ku-Klux-Klan und fragt, was ist das denn eigentlich, und auf diese Weise entsteht in dem Film sehr deutlich, was für ein völlig absurdes Konzept das eigentlich ist und eigentlich eine Chiffre, mit der Ausgrenzung begründet wird. Und das gleiche trifft im Grunde für den Rassebegriff selber als Kategorie auch zu. Es ist eine Chiffre, ein Begriff, der vor allen Dingen über seine Funktion lebt, und die besteht im Wesentlichen darin, Ausgrenzung und Diffamierung zu begründen.
    Novy: Christian Geulen, Leiter der Tagung "Rasse - Geschichte und Aktualität eines gefährlichen Konzepts" in Dresden, gedacht als Vorbereitung für eine große Ausstellung in zwei Jahren im Dresdener Hygienemuseum, wo es ja auch noch zahlreiche Exponate aus der großen Zeit des Rassenwahns und der Rassenpolitik gibt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.