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Rassismus als Bildungsthema
"Niemand will darüber reden"

Der Rassismusexperte Karim Fereidooni vermisst das Thema Rassismuskritik in der Pädagogik. Eigene Betroffenheit werde oft geleugnet, sagte er im Dlf. Doch es sei wichtig, sich mit den eigenen, auch unbewussten Denkmustern zu beschäftigen und rassismussensibel zu werden.

Von Karim Fereidooni im Gespräch mit Benedikt Schulz |
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Was hat Rassismus mit meinem eigenen Leben zu tun? Wie hat Rassismus mein eigenes Leben beeinflusst und wie kann ich mich gegen Rassismus positionieren? Diese Fragen müsse sich jeder Mensch stellen, sagte der Karim Fereidooni im Dlf. (imago images | Panthermedia)
Der Tod des Schwarzen George Floyd in den USA hat nicht nur zu tagelangen Protesten gegen Polizeigewalt und Rassismus im Land geführt, sondern auch zu einer weltweiten Solidarität mit den schwarzen Bürgerinnen und Bürgern der USA, auch hier in Deutschland. Doch man darf nicht vergessen: Wenn auch nicht so extrem wie in den USA, so ist Rassismus auch in Deutschland ein Problem und Rassismuserfahrungen sind für People of Color in Deutschland ständige Begleiter des Alltags. Die Vizepräsidentin des Landtags von Schleswig-Holstein, Aminata Touré, hat das in einem aktuellen Interview thematisiert und gefordert: Wir müssen Rassismus "entlernen".
Karim Fereidooni leitet den Lehrstuhl Didaktik der sozialwissenschaftlichen Bildung an der Ruhr-Universität Bochum und beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Rassismus in Bildungseinrichtungen. Er glaubt nicht, dass Rassimus "entlernbar" ist, sondern sieht die Notwendigkeit, rassismussensibel zu werden und sich mit Rassismus kritisch zu beschäftigen - und zwar ein Leben lang.
Eine "Black Lives Matter"-Kundgebung von der University of Arizona in Tucson erinnernt an George Floyd.
"Antirassismus ist kein Sprint, sondern ein Marathon"
Anlässlich der Proteste gegen Rassismus in den USA erinnert die Journalistin Alice Hasters daran, dass Rassismus auch für viele Menschen in Deutschland ein Teil des Alltags ist – und beklagt fehlende Anteilnahme hierzulande.
Benedikt Schulz: Vielleicht erst mal, Herr Fereidooni, eine ganz grundsätzliche Frage: Rassismus verlernen oder "entlernen" – geht das überhaupt?
Karim Fereidooni: Ich glaube, es ist absolut möglich und auch notwendig, rassismussensibel zu sein, das heißt, sensibel für die Wissensbestände, die man in seiner Sozialisation erlernt hat, die rassismusrelevant sind. Dafür kann man sensibel werden oder sich sensibilisieren, wenn man sich damit beschäftigt, wenn man sich nämlich Fragen stellt: Was hat Rassismus mit meinem eigenen Leben zu tun? Wie hat Rassismus mein eigenes Leben beeinflusst und wie kann ich mich gegen Rassismus positionieren? Wenn man diese Fragen sich stellt, sich kritisch mit seiner eigenen Sozialisation beschäftigt, dann, glaube ich, kann man Rassismus sensibel, kritisch begegnen. Aber ich glaube nicht, dass man Rassismus entlernt, sodass man nie wieder in seinem Leben rassistische Dinge denkt oder von sich gibt. Rassismus kritisch zu begegnen, ist eine lebenslange Aufgabe. Man muss sozusagen lebenslang sich dagegen wehren, von rassistischen Wissensstrukturen sich leiten zu lassen.
"Die Lebensrealitäten ernst nehmen"
Schulz: Um rassismussensibel zu sein, so verstehe ich jetzt das, gehört im Prinzip auch ein bisschen dazu, oder der erste Schritt dazu ist Selbsterkenntnis. Fehlt es vielleicht auch in deutschen Klassenzimmern, in deutschen Lehrerzimmern ein bisschen an Bereitschaft, eigene rassistische Strukturen, also das eigene Denken im Kopf sich einzugestehen, um sensibel zu werden?
Fereidooni: Ja, ich glaube schon. Also ich glaube schon, dass das fehlt. Ich glaube, dass es oftmals zu einer Dethematisierung kommt, dass Rassismus als ganz, ganz schlimmes Wort betrachtet wird. Also es finden ganz viele rassistische Dinge statt im Lehrer- und Lehrerinnenzimmer, im Klassenraum, in den Schulbüchern, aber niemand will darüber reden. Beziehungsweise diejenigen, die die Macht haben im Lehrer- und Lehrerinnenzimmer, im Klassenzimmer, die wollen nicht darüber reden, weil sie glauben, sie hätten nichts mit Rassismus zu tun, und ihre Schülerinnen und Schülern würden auch keinen Rassismus erfahren. Das ist Quatsch. Der bessere Weg ist es, die Lebensrealitäten aller Schülerinnen und Schüler ernst zu nehmen und auch der Kolleginnen und Kollegen ernst zu nehmen. Und viele Kolleginnen und Kollegen erfahren Rassismus, viele Schülerinnen und Schüler erfahren Rassismus und deswegen sollte man die Bereitschaft besitzen, auch darüber zu sprechen.
"Rassismuskritik ist ein zartes Pflänzchen"
Schulz: Sie sind ja mit der Ausbildung von Lehrkräften beschäftigt an der Ruhr-Uni Bochum. Haben Sie denn das Gefühl, dass das Thema in der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung auf breiter Fläche überhaupt schon angekommen ist?
Fereidooni: Ich glaube nicht, dass das Thema auf breiter Fläche angekommen ist. Ich glaube, Rassismuskritik ist ein zartes Pflänzchen, was wächst und gedeiht, aber nach wie vor beschäftigen sich wahrscheinlich zehn, zwölf Leute in Deutschland mit Rassismuskritik und Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Also die Anzahl der Menschen, die sich damit beschäftigen, die wächst zwar stetig, aber nach wie vor bleibt eine wissenschaftliche Karriere mit dem Thema Rassismuskritik sehr, sehr schwierig.
"Rassismus beschädigt die Integrität aller Menschen"
Schulz: Braucht es vielleicht auch einfach mehr Diversität in deutschen Lehrerzimmern, damit sozusagen auch einfach klar wird, dass es Rassismuserfahrungen im Alltag gibt und das nicht ein Thema für die anderen, zum Beispiel für die USA ist?
Fereidooni: Ja, das ist gut, Diversität ist super. Das Lehrerinnen- und Lehrerzimmer muss ein Spiegelbild der Gesellschaft werden, aber Rassismus ist nicht nur ein Thema für Mohammed, Ayse, Kofi und so weiter, sondern Rassismuskritik ist auch ein Thema für Maximilian und Julia, die von sich selber glauben, sie hätten nie in ihrem Leben Rassismuserfahrungen gemacht. Rassismus beschädigt die Integrität aller Menschen. Also Maximilian und Julia sollten Rassismuskritik nicht betreiben, um Ayse, Mohammed und Kofi zu helfen, sondern um sich selber zu verstehen. Rassismus führt dazu, dass man viel mehr über Fantasmen, über Bilder in den Köpfen nachdenkt, als die eigentliche Person zu sehen. Deswegen würde ich sagen, ja, viele Institutionen sind nach wie vor sehr weiß-deutsch geprägt, das muss sich verändern, aber nein würde ich sagen dazu, dass man glaubt, Personen wie Karim, Ayse, Mohammed müssten jetzt anderen Leuten beibringen, rassismuskritisch zu werden.
"Rassismus ist in der breiten Mitte der Gesellschaft verankert"
Rechtsextreme und rassistische Aussagen hielten in rasender Geschwindigkeit Einzug in Parlamente und Feuilletons, würden in den Sozialen Medien geteilt, sagte Manja Kasten von der Mobilen Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus im Dlf.
"Rassismus nicht dethematisieren"
Schulz: Im Unterricht selbst, wie sollte man da Rassismus thematisieren? Wäre es sinnvoll, eine eigene Unterrichtseinheit verpflichtend einzusetzen, wäre es sinnvoll, es hier und da immer wieder mal zu thematisieren - oder kann man das gar nicht so pauschal beantworten?
Fereidooni: Also in jedem Fach spielt Rassismuskritik eine Rolle, und deswegen kann jede Lehrkraft auch rassismuskritische Dinge, Aspekte mit den Schülerinnen und Schülern durchnehmen, wenn sie denn will. Also wichtig ist, dass man die Lebensrealität der Schülerinnen und Schüler, aber auch der Kolleginnen und Kollegen wahrnimmt und Rassismus nicht dethematisiert. Man kann die Schülerinnen und Schüler auch fragen, was wünscht ihr euch. Rassismus sollte nicht als Sonderfall wahrgenommen werden, als Störung des ansonsten ganz normalen Schulbetriebs, sondern Rassismuskritik, also die Fähigkeit, Unterricht durchzuführen, der rassismuskritisch ist, sollte als ganz normale Professionskompetenz angehender und fertig ausgebildeter Lehrkräfte betrachtet werden, und zwar in jedem Fach.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.