Ich zog kurz die Luft ein, als Anne Will vergangenen Sonntag in ihrer Sendung zur Situation in den USA von einem "Rassenproblem" sprach, was Alice Hasters sofort zu "Rassismusproblem" verbesserte.
Die Moderatorin stellte später auf Twitter klar, dass es sich um einen echten Versprecher gehandelt hatte. Die Reaktionen auf diese wenigen Sekunden fielen allerdings turbulent aus und zeigen, wie emotional Sprache aufgeladen ist. Denn sie hat Macht. Sie hat Macht, Realität zu verändern oder zu zementieren.
Überall taucht das Wort "Rassenunruhen" auf
Wer ist schuld an etwas, wie unterscheiden sich Menschen, welche Eigenschaften schreiben wir ihnen zu? Begriffe tragen Antworten auf diese Fragen in sich. Und manche sind nicht hilfreich.
Zum Beispiel das Wort Rassenunruhen. Das Wort ist eine Eindeutschung von race riots. Eine ziemlich schlechte, denn das Wort "race" hatte im Englischen schon immer eine starke soziale Bedeutung, währen das deutsche Wort "Rasse" ein biologistisches ist und die Existenz von Menschenrassen suggeriert, die es nicht gibt. Dennoch taucht das Wort "Rassenunruhen" vom Spiegel bis zur Deutschen Welle überall auf.
Haben wir ein "Vokabel-Defizit"?
Als Moderatorin Marietta Slomka diesen Begriff versehentlich im "heute journal" benutzt, geht sie damit in einer Folgesendung vorbildlich transparent und selbstkritisch um. Im Interview mit dem Kabarettisten Marius Jung stellt sie dar, wie sogar sensibilisierte Menschen immer wieder solche veraltete und geladene Sprache verwenden – und damit auch alte Ungerechtigkeiten am Leben halten.
Sie fragt ihn, ob wir Deutschen eigentlich ein "Vokabel-Defizit" hätten, weil es zum Beispiel kein Pendant in der deutschen Sprache für den Begriff PoC – Person of Color - gebe. Und Jung sagt dazu, das gelte "überhaupt für Menschen, die nicht der Norm entsprechen".
Es passiert ständig: wir sagen zum Beispiel "Fremdenfeindlichkeit", wenn wir Rassismus meinen, und machen damit Menschen, die seit Generationen in Deutschland wohnen, zu Fremden.
Rassismus kein Thema unserer Kultur
Wir haben deshalb so wenige Worte, um über Rassismus zu sprechen, weil es nicht Teil unserer Kultur ist, über Rassismus zu sprechen. Das ganze Thema wird als Minenfeld empfunden, weil die oberste Priorität darin besteht, selbst kein Rassist zu sein.
Viele Menschen betonen, wann immer es um Rassismus geht: "Ich sehe keine Hautfarbe! Ich beurteile jeden individuell." Und ich verstehe den Impetus. Sie WOLLEN sagen: "Ich bin kein Rassist, der Menschen nach ihrer Hautfarbe beurteilt." Was sie aber in Wirklichkeit sagen, ist: "Ich weigere mich, den Rassismus zu sehen, dem Menschen wegen ihrer Hautfarbe ausgesetzt sind."
Wir müssen sprechen
Denn Rassismus funktioniert – genau wie andere Unterdrückungsstrukturen – dadurch, dass er für Unbetroffene unsichtbar ist. Um ihn aufzulösen, müssen wir ihn sichtbar machen und über ihn sprechen. Denn wir alle können rassistisch sein, was uns nicht gleich den vernichtenden Stempel Rassist aufdrückt.
Ich höre oft: "Man weiß ja gar nicht, was man heute noch sagen darf." Dazu Folgendes: Wenn du nicht weißt, was du sagen darfst, um deine Mitmenschen nicht zu verletzen, dann hast du sie nicht gefragt. Du hast nicht mit ihnen gesprochen. Und wir müssen sprechen.