„Hat der das gerade wirklich gesagt?!?“ Wenn der Kollege am Arbeitsplatz einen rassistischen Witz macht, sind viele unsicher, wie sie darauf reagieren sollen. Was im privaten Umfeld möglicherweise eher gelingt, fällt im beruflichen Kontext manchmal schwerer: die Gegenrede. Was können Mitarbeitende von Unternehmen – auch jenseits der direkten Konfrontation – tun, wenn ein Kollege rechtsextremes Gedankengut äußert? Und: Wie können Unternehmen dazu beitragen, dass solche Äußerungen und Ansichten gar nicht erst auf fruchtbaren Boden fallen?
Wie groß ist das Problem von Rechtsextremismus am Arbeitsplatz?
Im Juni 2024 hat der Verein "Gesicht Zeigen!" eine Online-Befragung zu dem Thema durchgeführt. Das Meinungsforschungsunternehmen Civey befragte für den Verein rund 2.500 abhängig Beschäftigte und 2.000 privatwirtschaftliche Führungskräfte.
Eine Auswahl der Ergebnisse:
- Jeder dritte Arbeitnehmer hat bereits rechtsextreme Einstellungen am Arbeitsplatz wahrgenommen
- Knapp jeder Zehnte wurde Opfer von rechtsextremen Anfeindungen
- Jede dritte Führungskraft sieht keine wirtschaftlich negativen Auswirkungen bei rechtsextremen Einstellungen im Betrieb
- Mitarbeitende wünschen sich Fortbildungen zu Gegenmaßnahmen
Was zählt als Rechtsextremismus am Arbeitsplatz?
Für den Begriff „Rechtsextremismus“ existiert keine einheitliche Definition. Nach dem Erklärungsansatz des Politikwissenschaftlers Hans-Gerd Jaschke ist ein Charakteristikum für Rechtsextremismus die Vorstellung, dass Menschen naturgegeben ungleich sind. Den nach dieser Ansicht „minderwertigen“ Personengruppen werden zum Teil die Menschen- oder/und Grundrechte abgesprochen. Auch versuchen Rechtsextreme, Angehörige dieser Gruppen zu entindividualisieren.
„Die Abwertung von Personen (…) erfolgt bei Rechtsextremen u. a. durch die Zuschreibung vermeintlich ethnischer, kultureller, geistiger oder biologistischer Unterschiede. Wer zur 'Volksgemeinschaft' gehört und wer nicht, entscheiden Rechtsextreme anhand von bestimmten Merkmalen und zugeschriebenen Eigenschaften“, schreibt der Verein „Gesicht Zeigen!“ in seiner Untersuchung.
Die „Mitte-Studie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung sieht als Merkmale von Rechtsextremismus unter anderem die Befürwortung von Diktaturen als Staatsform, die Verharmlosung des Nationalsozialismus und die Vorstellung deutscher Überlegenheit (National-Chauvinismus).
Konkrete Beispiele
Neben fremdenfeindlichen Witzen kann sich Rechtsextremismus im Unternehmen auf zahlreiche andere Arten zeigen. Der Unternehmensberater Jürgen Schlicher gibt in Firmen Workshops zur Rassismus-Prävention. Berichte von Betroffenen kennt er zuhauf.
So kann die vermeintlich harmlose Frage „Woher kommst du?“ auf Menschen mit Einwanderungsgeschichte schnell verletzend wirken. Denn, so weiß Schlicher: Eine klare Antwort wie „aus Köln“ oder „aus Düsseldorf“ reiche vielen Fragenden nicht aus.
Hinter dem penetranten Nachfragen nach der Herkunft steckt oftmals die falsche Vorstellung, dass eine Person mit nicht-weißer Hautfarbe nicht aus Deutschland kommen könne. Aufgrund äußerlicher Merkmale werden Menschen so ausgegrenzt.
Rassismus kann sich in Unternehmen aber auch auf systemischer Ebene zeigen. Schlicher berichtet aus seinen Workshops, dass der Bereichsleiter einer Bank schwarze Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht im Kundenkontakt am Schalter einsetzte. Das Motiv des Bereichsleiters könnte hier auch "vorauseilender Gehorsam" sein, wie der Berater sagt: "Weil vielleicht die Kunden irgendwelche Schwierigkeiten damit haben könnten.“
Welche Gefahren gehen davon aus?
Eine Gefahr liegt beispielsweise darin, dass sich rechtsextreme Ansichten widerspruchslos im Unternehmen ausbreiten. Nichthandeln kann zur Normalisierung rechtsextremer Einstellungen beitragen.
Davon ist auch der Verein „Gesicht Zeigen!“ überzeugt. In der Befragung gaben fast 60 Prozent der Beschäftigten an, dass Führungskräfte nicht mit Maßnahmen auf rechtsextreme Vorfälle reagieren. Als Erklärung sehen die Autorinnen der Studie eine fehlende Sensibilisierung: „Rechtsextreme Einstellungen können nur dort als solche wahrgenommen werden, wo sie nicht als gewöhnliche Meinungsäußerung gelten.“
Auswirkungen auf das Arbeitsklima
Nach Ansicht vieler Beschäftigter wirken sich rechtsextreme Einstellungen negativ auf das Betriebsklima (57,3 Prozent) aus und beschädigen den Zusammenhalt (54,6 Prozent). Fast die Hälfte der Beschäftigten sieht auch die Gefahr, dass der Ruf des Unternehmens Schaden nehmen kann. Mehr als 38 Prozent befürchten, dass es der Firma somit schwerfallen dürfte, neue Arbeitskräfte zu finden und die bestehenden zu halten.
Dabei braucht die deutsche Gesellschaft Arbeitskräfte aus dem Ausland. Jährlich gehen hierzulande rund 400.000 Menschen mehr in Rente als junge Arbeitskräfte nachrücken. Gerade in Ostdeutschland werde das Arbeitsmarktproblem nicht zu lösen sein, wenn es keine Zuwanderung gebe, sagt der Soziologe Klaus Dörre.
Was können Unternehmen und Mitarbeitende gegen Rechtsextremismus tun?
Im Idealfall schaffen Betriebe proaktiv Möglichkeiten für Mitarbeitende, dem Rechtsextremismus entgegenzutreten. Die Geschäftsführerin des Vereins „Gesicht Zeigen!“, Rebecca Weis, sieht hier Nachholbedarf. Sie fordert Strukturen, die es derzeit offenbar überwiegend nicht gibt. Unternehmen müssten dafür sorgen, dass rechtsextreme Vorfälle in irgendeiner Form "bearbeitbar" seien, betont sie – "es vielleicht eine Ansprechperson und Fortbildungen gibt, die man in Anspruch nehmen kann“.
Zudem gibt es Aufklärungs-Angebote von außen: Doch die werden von den Betrieben oft zu spät in Anspruch genommen. „Viele Anfragen erhalten wir in dem Moment, wenn es bereits zu Vorfällen in Unternehmen gekommen ist, also zum Beispiel rassistische oder antisemitische Aussagen in der Kaffeeküche oder in unternehmensinternen Chatgruppen“, sagt Judith Heinmüller von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin.
Die Studie des Vereins "Gesicht Zeigen!" empfiehlt den Unternehmen unter anderem:
Aufbau eines eindeutigen Leitbilds
Darin sollte unmissverständlich formuliert werden, „dass und warum sich ein Unternehmen für Demokratie und gegen Menschenfeindlichkeit einsetzt“. Auf solch ein Leitbild können sich Mitarbeitende berufen, wenn sie Rechtsextremismus beobachten oder direkt davon betroffen sind.
Qualifizierungsmaßnahmen anbieten
Fortbildungen für Mitarbeitende und Führungskräfte können dabei helfen, mit rechten Parolen umzugehen. Solche Workshops gibt es allerdings bislang viel zu selten, kritisieren die Studienautorinnen.
Die Pflicht des Arbeitsgebers, z.B. durch Fortbildungen gegen Benachteiligungen von Mitarbeitenden präventiv vorzugehen, ist im Übrigen auch im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) festgeschrieben (Paragraf 12, Absatz 2).
Und wenn diese Strukturen nicht existieren?
In der Untersuchung gaben mehr als die Hälfte der Beschäftigten an, in ihrem Unternehmen bislang keine Fortbildungen dieser Art in Anspruch nehmen zu können. Es dürfte nicht wenige Arbeitnehmer geben, die sich bei der Herausforderung, Rassismus und Rechtsextremismus entgegenzutreten, von ihrem Unternehmen alleingelassen fühlen.
Wenn die nötigen Strukturen nicht existieren, gibt es nicht den einen, sicheren Weg, den Mitarbeitende gehen können. Ob der direkte Vorgesetzte angesprochen wird oder eher die betriebseigene Beschwerdestelle, muss individuell entschieden werden. Eine Anlaufstelle kann auch die oder der Antidiskriminierungsbeauftrage des Unternehmens sein.
Der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband empfiehlt, in Fällen von rassistischer Diskriminierung Kontakt mit dem Betriebsrat aufzunehmen. Außerdem könnten Betroffene unter Umständen sogar Gebrauch vom Leistungsverweigerungsrecht (AGG) machen. Der Paritätische mahnt insbesondere bei diesem Schritt aber zu Vorsicht und schreibt: „Bevor man der Arbeit wegen einer Diskriminierung einfach fernbleibt, sollte man sich unbedingt persönlich juristisch beraten lassen."
Jan-Martin Altgeld