"Geistliche aus den ganzen USA kamen nach Ferguson, um zu sehen, was da vor sich ging. In den Medien wurde ja nur von Aufständen und Plündereien geredet", sagt Pastorin Brenda Salter McNeil. Sie erinnert sich noch genau, wie sie 2014 mit einer Konferenz von Kirchenleitern nach Ferguson flog. Sie wollten herausfinden, was nach dem Tod von Michael Brown Tausende, vor allem junge Leute, auf die Straße trieb, um gegen Rassismus und Polizeigewalt zu demonstrieren - die Geburtsstunde der Black Lives Matter Bewegung.
Damals trafen sie sich mit jungen Aktivistinnen und Aktivisten in einer Kirche. Brenda McNeil: "Sie sagten, wir hassen die Kirche. Wir hassen eure Scheinheiligkeit, eure Mittäterschaft, euer Schweigen, eure Frauenfeindlichkeit. Sie haben es einfach offen ausgesprochen. Sie sagten, wie sie es hassen, wie wir LGBTQ-Mitglieder behandeln. Es sähe für sie aus, als ob wir versuchen, Leute abzuschrecken, anstatt sie mit hineinzunehmen."
Es ging nie um das ganze System
Pastorin McNeil ist eine der prominentesten Vertreterinnen des "racial reconciliation movement", eine Bewegung innerhalb der evangelikalen Kirchen, die Versöhnung zwischen Weißen und Schwarzen voranzutreiben sucht. Seit 30 Jahren predigt sie weltweit auf Konferenzen und in "Megakirchen", manchmal vor Zehntausenden von Zuhörern, meistens konservativ und weiß.
Um nicht als politisch zu gelten, sprach sie in ihrer Botschaft nie von systemischem Rassismus oder vom Wohlstandsgefälle, von Chancenungleichheit oder höherer Kindersterblichkeit bei afroamerikanischen Müttern. Sie achtete stets sehr genau darauf, dass ihre Argumentation rein auf Bibelauslegung beruht: Rassismus ist demnach ein individuelles Fehlverhalten, das jeder selbst nach seinem eigenen Ermessen mit Gott abmachen muss.
Jetzt sagt sie: "Aber ich habe erkannt, dass das eigene Ermessen nicht reicht. Jedes Mal, wenn jemand ihre Botschaft gehört hat, habe er es so interpretiert, er müsse netter zu Leuten sein oder neue Freunde machen, irgendetwas, das sich um Beziehungen dreht. Aber es ging nie um die Ebene des ganzen Systems."
Als habe Gott ihr die Augen geöffnet
Das änderte sich schlagartig nach ihrer Erfahrung mit den jungen Leuten in Ferguson. Die Pastorin sagt: "Es ist wichtig, das laut auszusprechen: Wir haben eine Generation von jungen Menschen, die uns nicht mehr länger glauben. Sie haben zu viele Lügen erlebt, bei Politikern, Pastoren, Priestern und Eltern. Sie wissen nicht mehr, ob sie der vorangegangenen Generation noch glauben können."
Plötzlich war da eine ganze Generation, die McNeils Authentizität als Christin in Frage stellte und im Grunde mit der Kirche nichts mehr zu tun haben wollte. Die Pastorin fühlte sich angesichts dieser Fundamentalkritik, als habe Gott ihr auf die Schulter getippt und die Augen geöffnet.
McNeil ist überzeugt: "Wenn wir diese Generation wiedergewinnen wollen, um zu glauben und Vertrauen in die Kirche egal welcher Glaubenstradition zu haben, wird es extrem wichtig sein, das, was wir predigen, auch zu tun. Ich habe eingesehen, dass wir nicht länger von Jesus reden können, ohne auch über Gerechtigkeit zu reden. Wir müssen auch unsere Botschaft überprüfen, denn ihre Relevanz ist in Frage gestellt. Weiterhin zu sagen, wir beten um Dinge, ohne auch aktiv zu werden, zerstört unsere Authentizität."
Auf die Frage, was die Kirche ihren Gläubigen, in dieser von vielen als sehr gefährlich empfundenen Zeit raten soll, lächelt sie. Sie sieht die Chance eines neuen Aufbruchs aller Gläubigen, für Gerechtigkeit einzustehen und ihre ideologischen Blasen zu verlassen. Rassismus, Polizeigewalt, Einwanderungspolitik, Gesundheitspolitik: All dies müsse im Licht des christlichen Glaubens gesehen werden.
"Neue Modelle von Kirche"
Die Predigerin sagt: "Die Kirche, die Gemeinschaft aller die an Gott glauben, aller Gläubigen, muss ihre Stimme erheben und jede Form von rassistisch und ethnisch spaltender Hassrede verurteilen. Wenn jemand zum Beispiel das Coronavirus China-Virus nennt, dann macht er Menschen mit asiatischem Hintergrund zu Zielen von Angriffen."
Donald Trump hat kürzlich alle staatlichen Programme und Schulungen, die sich mit weißen Privilegien und institutionellem Rassismus auseinandersetzen, für unamerikanisch erklärt und gedroht, deren Finanzierung zu streichen. Bisher konnte er die meisten evangelikalen Christinnen und Christen durch seine Haltung zur Abtreibung für sich gewinnen. Es werde höchste Zeit, zu erkennen, dass Christentum nicht auf diesen Punkt reduziert werden könne.
"Es gibt das Gleichnis von den neuen Weinschläuchen. Ich glaube, wir sehen gerade neue Weinschläuche, neue Strategien, neue Modelle von Kirche entstehen. Es wird wahrscheinlich anders aussehen, als wir das kennen. Ich glaube, wir werden Gott neue Dinge tun sehen, mit Menschen, die wir vorher noch nie gesehen haben."