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Rassismus
War da was in Zorneding?

Der Fall aus Bayern machte bundesweit Schlagzeilen: Olivier Ndjimbi-Tshiende - katholischer Pfarrer in Zorneding, geboren im Kongo – gab nach rassistischen Beschimpfungen auf. Auch CSU-Politiker sind in den Fall verstrickt. Die Christlich-Soziale Union vermeidet aber eine offene Diskussion über Fremdenfeindlichkeit in den eigenen Reihen.

Von Burkhard Schäfers |
    Der Pfarrer spricht an der Kanzel zu seiner Gemeinde.
    Olivier Ndjimbi-Tshiende in seiner Kirche St. Martin Zorneding (dpa/Stefan Rossmann)
    'Ab nach Auschwitz' stand auf der Postkarte. Der Absender war anonym. Adressiert war die Post an Olivier Ndjimbi-Tshiende, katholischer Pfarrer der Gemeinde St. Martin in Zorneding. Der 66 Jährige ist geboren und aufgewachsen in der Demokratischen Republik Kongo, er lebt und arbeitet seit langem in Deutschland. An der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität hat er sich in Philosophie habilitiert, seit fünf Jahren ist er deutscher Staatsbürger. Die Postkarte war kein Einzelfall, der Priester bekam Briefe mit rassistischen Diffamierungen, auch Morddrohungen waren darunter. Vor knapp zwei Wochen wurde es Olivier Ndjimbi-Tshiende zu viel. Er trat als Pfarrer zurück. Seither ist der Geistliche in einem Kloster und redet nicht mehr öffentlich. Doch abgeschlossen ist die Angelegenheit Zorneding nicht. Denn es geht nicht allein um anonyme Hass-Post, es geht auch darum, wie viel Fremdenfeindlichkeit in der Christlich-Sozialen Union geduldetet wird. Den Morddrohungen gingen rechtspopulistische Äußerungen der früheren CSU-Ortsvorsitzenden Sylvia Boher voraus, denen der Pfarrer öffentlich widersprochen hatte. Thomas Huber, Landtagsabgeordneter und Kreisvorsitzender der CSU, erzählt:
    "Das waren Entwicklungen, wo die ehemalige Ortsvorsitzende einen sehr undifferenzierten Artikel über die Asyl- und Flüchtlingspolitik geschrieben hat. Sie hat das auch bedauert und ist von ihren Führungsämtern in der CSU zurückgetreten."
    Lange sah es so aus, als wolle die CSU den Fall ohne Aufhebens ad acta legen
    Im örtlichen CSU-Blatt hatte sie vergangenen Herbst im Kontext der Flüchtlingsdebatte von einer 'Invasion' geschrieben: 'Bayern werde in diesen Tagen überrannt'. Und ihr ehemaliger Stellvertreter bezeichnete den Pfarrer als 'Neger'.
    "In der CSU gelten wie in jeder anderen demokratischen Partei die Grundsätze von Meinungsfreiheit und auch Meinungsvielfalt. Jeder kann sagen, was er denkt, er muss dafür natürlich auch die Verantwortung übernehmen. Da gibt es keine Vorgaben von oben, wer welche Aussagen zu welchem Thema trifft."
    Trotzdem haben der Kreisvorsitzende Huber und Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner in ihrer Funktion als Bezirkschefin der Gemeinderätin nun nahegelegt, sie solle ihre Parteiämter ruhen lassen. Allerdings erst, nachdem bundesweit über Zorneding berichtet worden war. Zuvor sah es lange so aus, als wolle die CSU den Fall möglichst ohne Aufhebens ad acta legen. Dabei hatte Sylvia Boher über Jahre hinweg mehrmals gegen Flüchtlinge polemisiert und – so wörtlich – vor den 'Auswüchsen der multikulturellen Offenheit' gewarnt. Könnte das manche beflügeln, ihren Fremdenhass in Morddrohungen zu äußern? Und: Wie weit geht die innerparteiliche Toleranz in der CSU? Markus Blume leitet deren Grundsatzkommission.
    "Für rechtspopulistische oder gar rechtsradikale Äußerungen klare Null-Toleranz-Haltung in der CSU. Das macht der Parteivorsitzende bei jeder Gelegenheit deutlich. Aber umgekehrt natürlich auch Offenheit für Menschen, die sagen, mir macht die Entwicklung im Moment Sorge und ich erwarte mir auch einen verantwortungsvollen Umgang der Politik."
    Kirchen und CSU beschwören die christlichen Grundwerte
    Wo genau da die Grenze verläuft, dürfte jedoch für viele in der Partei unklar sein. Und auch bei gesellschaftlichen Akteuren wie den Kirchen. Der Fall Ndjimbi-Tshiende zeigt beispielhaft den Graben, der sich im Umgang mit geflüchteten Menschen zwischen Kirchenvertretern und CSU auftut. Lange galten beide als enge Verbündete, heute spricht der Münchner Kardinal Reinhard Marx von "großen Differenzen". Auch CSU-Mann Blume übt Kritik.
    "Ich finde es gut, dass sich Kirche einmischt und deutlich macht, was aus ihrer Sicht Handeln aus christlicher Verantwortung bedeutet. Ich find's aber auch wichtig für die Debatte in der Zukunft, dass beide Seiten klarmachen, wo die Grenzen der jeweiligen Sphäre liegen. Gut wäre auch, wenn die Kirchen klarmachen, dass das ihre kirchliche Haltung ist, aber dass deswegen ein politisches Handeln, was dem nicht sofort folgt, deswegen nicht notwendigerweise schlecht ist, sondern man akzeptiert, dass politische Verantwortung vielleicht auch noch anderen Kriterien folgen muss."
    Was inzwischen mehrere in der Partei monieren: Kirchenvertreter würden ihre Grenzen überschreiten, sich zu sehr in die Politik einmischen.
    "Ich hadere etwas mit den Kirchen, weil ich glaube, dass christliche Verantwortung sich nicht darin erschöpft, nur seine Gesinnung zu bemühen und eine gute, sittliche Haltung einzunehmen. Unzweifelhaft ist es eine gute, sittliche Haltung zu sagen, wir helfen jedem, der da kommt. Aber ich glaube, eine christliche Ethik ist nicht nur eine Gesinnungsethik, sondern hat auch verantwortungsethische Elemente. Und ich würde mir eigentlich wünschen von den Kirchen, dass sie in diesen Zeiten durch ihre Haltung nicht zu einer gewissen Spaltung der Gesellschaft beitragen, sondern auch dazu beitragen, Gesellschaft zusammen zu führen."
    Kirchen und CSU – beide beschwören in der Flüchtlingsdebatte die christlichen Grundwerte. Aber sie ziehen gegensätzliche Schlüsse daraus. In der CSU heißt das dann "Obergrenze". Hingegen bei den Kirchen: "Schutz der individuellen Menschenwürde". Der scheinbar gemeinsame Grundsatz der Nächstenliebe könne ganz unterschiedlich ausgelegt werden, erläutert Politikwissenschaftlerin Ursula Münch von der Akademie für Politische Bildung in Tutzing.
    "Ist der Nächste nur meine Familie, ist der Nächste derjenige, der mir ähnlich auch im Erscheinungsbild ist? Bezieht sich das auf die Staatsbürger, oder ist der Nächste tatsächlich auch der Mensch in anderen Teilen der Welt, dem ich mich verbunden fühle etwa durch die Konfession? Da fängt natürlich das Interpretieren an."
    Olivier Ndjimbi-Tshiende ist ein Priester im Wartestand
    Die Katholikin Ilse Aigner spricht von einer Konfliktlinie zwischen dem moralischen Anspruch der Kirchen und der politischen Realität. In Zorneding klaffe dieser Konflikt wie eine Wunde, schreibt die örtliche Zeitung. Aber nicht nur hier, sondern in vielen Gegenden behilft sich die Kirche mit Seelsorgern aus dem Ausland gegen ihren Priestermangel. Professorin Münch:
    "Die katholische Kirche ist ein weltumspannendes Netz. Und man ist froh drum, dass man Menschen gewinnt, die ihre Heimat verlassen haben, um hier in Deutschland als Pfarrer tätig zu sein. So etwas erleben zu müssen, ist im Grunde ja eine Ohrfeige auch für eine Organisation wie die katholische Kirche."
    Die zeigte sich vor allem in Person des Münchner Erzbischofs Reinhard Marx betont zurückhaltend. Erst fünf Tage nach dem Rücktritt des Pfarrers äußerte sich der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz öffentlich. Niemandem sei daran gelegen, dass daraus eine "Diskussion wird, die Maß und Mitte verliert". Offenbar hat Marx Bedenken, dass er mit klaren Worten Ausländerfeinde zu weiteren Drohbriefen ermuntern könnte. Denn auch andere Kirchenmänner wie der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick berichteten zuletzt, sie hätten Hetzschriften erhalten, ebenso wie Politiker. Im Kreis Offenbach tauchte ein anonymes Schreiben auf, in dem selbst ernannte Christen mit der Erschießung von Muslimen und auch von Kommunalpolitikern drohen.
    "Wir sehen einen Zustand der Gesellschaft, wo man tatsächlich das Gefühl haben kann, dass sich manche sogar noch bestärkt fühlen. Natürlich gibt es Menschen, die mit ihren Hassbotschaften auch nicht vor Kirchenvertretern zurück schrecken. So dass man tatsächlich sagen kann, unter Umständen erreicht man das Gegenteil. Es ist leider so, dass man die Einschätzung des Kardinals durchaus teilen muss."
    In Zorneding übernimmt nun ein ehemaliger Militärgeneralvikar vorübergehend die Seelsorge, teilte das Erzbistum München und Freising mit. Wo der zurückgetretene Pfarrer künftig arbeiten wird, sei noch offen. Olivier Ndjimbi-Tshiende ist ein Priester im Wartestand, der sich mit christlichen Grundwerten auskennt. Der Professor der Philosophie schrieb seine Habilitation über Werteethik.