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Rastafari-Religion
Das Leben nehmen, wie es kommt

In der Karibik ist die Rastafari-Religion gegen Sklaverei und Rassismus immer noch allgegenwärtig. Der bekannteste Vertreter des Rastafari war in den 1970er-Jahren der Reggae-Musiker Bob Marley. Er schaffte es, der schwarzen Ghettojugend in der Karibik und in den USA ein neues Selbstbewusstsein zu geben.

Von Andreas Boueke |
    Dwight Yorke von Trinidad und Tobego feiert den Sieg in einem Fußballspiel.
    Nächstenliebe ist ein wichtiger Bestandteil der Rastafari-Religion. (dpa / Bernd Thissen)
    Die meisten Touristen kommen mit dem Boot auf die Karibikinsel Caye Caulker. Von Belize City aus dauert die Fahrt eine Stunde. Am Anlegesteg werden die Neuankömmlinge von strahlendem Sonnenschein und kreischenden Möwen begrüßt. Keine hundert Meter entfernt stehen die ersten Hotels. Meist sind es einfache Holzhäuser, vor denen Gäste in Hängematten unter Palmen liegen. Gemächlich rollen die Wellen an den Strand. Nicht weit entfernt haben einige Händler ihre Stände aufgebaut.
    Der Rasta Alfred verkauft Kunst. Von neun Uhr morgens bis abends spät sitzt er vor einer Holzhütte voller Ölgemälde. Seine Haarpracht hält er unter einer Wollmütze in den panafrikanischen Farben versteckt: grün, gelb und rot. Alfred ist in Belize geboren, doch als seine eigentliche Heimat bezeichnet er Afrika: "Wir leben in einer guten Zeit, um Rasta zu sein. Heute ist Rastafari groß, international. Alle lieben uns Rastas. Früher war das anders. Da haben die Leute negativ reagiert, wenn du in einem Laden aufgetaucht bist oder in einem Krankenhaus. In Jamaika wurden die Hütten der Rastas zerstört, ihre Felder und Marihuana-Ernte. Alles wurde niedergebrannt."
    Bewegung entstand in den Armenvierteln
    Rastafari entstand zu Beginn der 1930er-Jahre in den Armenvierteln der jamaikanischen Hauptstadt Kingston, wo der schwarze Aktivist Marcus Garvey den Ursprung allen menschlichen Lebens in Afrika predigte. Er prophezeite, dass die schwarze Rasse - die erste und einstmals mächtigste Rasse der Welt - eines Tages ihre Unterdrückung überwinden und wieder Gottes auserwähltes Volk sein werde. Dem Jamaikaner Garvey wird auch die messianische Prophezeiung zugeschrieben, dass in Afrika ein besonderer schwarzer König gekrönt werde. Alfred: "Damals träumten die Rastas davon, nach Afrika zurückzukehren. Sie glaubten, es sei ein besserer Ort, das Mutterland. Viele wollten nach Äthiopien ziehen."
    Denn dort in Äthiopien hatte sich 1930 Prinz Ras Tafari, der sich als direkter Nachkomme König Salomons bezeichnete, zum "König der Könige, Löwe aus dem Stamm Juda, auserwählter Gottes" krönen lassen und sich den Namen "Haile Selassie" gegeben. In ihm sahen nun viele karibische und amerikanische Schwarze den prophezeiten göttlichen Führer, der sie aus der Diaspora zurück nach Afrika holen werde. Doch es kam nie zu einer massiven Rückkehr. Stattdessen haben sich im Laufe der Jahrzehnte äußerliche Merkmale der Rasta-Bewegung wie Reggae-Musik, Kunst und Haartracht weiter verbreitet als die religiösen Glaubensinhalte. Rasta ist zu einem modischen Stil geworden.
    Auslegung der Bibel aus afrikanischer Sicht
    In ihrer Religion berufen sich die Rastas auf Auslegungen der Bibel aus afrikanischer Sicht, nach der die Schwarzen außerhalb Afrikas in der Verbannung leben wie einst die Hebräer in der Babylonischen Gefangenschaft. Im Wortschatz der Rastas steht "Babylon" für Sklaverei, Unterdrückung und Rassismus. Ihre Gottesdienste sind informelle Zusammenkünfte, in denen die Anwesenden ihre Geschichtsinterpretation diskutieren. Dabei wird Marihuana geraucht, um Geist und Seele zu öffnen.
    Der wohl bekannteste Rasta und einer der erfolgreichsten Musiker seiner Zeit war Bob Marley. Schon in den siebziger Jahren waren auch junge Weiße fasziniert von seiner ethnisch-politischen Botschaft und dem pulsierenden Reggae-Beat. In seiner Heimat Jamaica war Marley sowohl Rockstar als auch Volksheld. Er schaffte es, der Ghettojugend von Kingston ein schwarzes Selbstbewusstsein zu geben. Und rund um die Welt - von den Metropolen Japans bis zu kleinen Dörfern in Afrika - haben Millionen Menschen ihre eigenen, besonderen Gründe, Bob Marley als Magier des Reggae oder als Prophet des Rastafaris zu verehren. "Als ich das erste Mal Bob Marley hörte, wusste ich: das ist genau mein Ding. Der Glaube an die Liebe, an die gesunde Ernährung und die Botschaft, sein eigenes Essen anzubauen, kein Fleisch zu essen, kein Salz. Es war eine wunderbare Zeit, es war aber auch eine harte Zeit", erinnert sich Alfred.
    Bob Marley verbreitet Botschaft der Rastafari
    Bob Marley selbst kam im Jahr 1978 zum ersten Mal nach Afrika. Dort sah er dann die gleichen Slums und hungrigen Gesichter, wie er sie aus Jamaika kannte. Er sah die gleiche, korrupte Führungsschicht und die vielen anderen die im Elend leben. Es war ein Afrika, in dem bis dahin fast nur selbsternannte Potentaten regierten. Als Marley auch Äthiopien besuchte, erfuhr er, dass Haile Selassie drei Jahre zuvor wenig glorreich gestorben war. Der Leichnam des Mannes, der die göttliche Verehrung durch die Rastas selbst immer zurückgewiesen hatte, lag verscharrt in einem Grab ohne Namen. Kein einziges Denkmal erinnerte an den Diktator, der ein Leben in dekadentem Reichtum geführt hatte. Viele Äthiopier erinnerten sich mit offenem Zorn an ihren verstorbenen Herrscher.
    In Afrika konnte die Botschaft der Rasta-Religion nicht überzeugen. In Amerika aber bezeichnen sich bis heute hunderttausende Schwarze als Rastas, als Anhänger von Haile Selassie. So auch der junge Ras Kent: "König David ist der wahrhaftige Vorfahre von Haile Selassie und Selassie ist der letzte König, der auf dem Thron von Äthiopien saß. Er ist der König aller Könige, der Herr über alle Herren." Ras Ket hält sich an die Gebote der Rasta-Religion. Er wäscht seine Haare täglich, schneidet sie aber nie. Und er kämmt sie auch nicht. So entstehen die langen, wilden Zöpfe seiner Rasta-Mähne, Symbol für Naturverbundenheit und gegen Materialismus. Ras Ket: "Es geht darum, sich gegenseitig zu helfen. Rasta ist Liebe. Die Frage ist nicht, ob einer viel besitzt. Denn heute bist du noch hier und morgen schon bist du gestorben. Hier auf Caye Caulker müssen wir den Kindern ein Beispiel sein, denn viele von ihnen sind Rastas."
    Wertvolle Orientierungshilfe
    Ras Ket sitzt im Schneidersitz am Strand, wenige Meter entfernt von einer Bar, in der ein Dutzend junger Touristen ihren Durst mit Bier und Cocktails löschen. Ras Ket selbst trinkt keinen Alkohol. Er hält Rastafari für eine wertvolle Orientierungshilfe für schwarze Jugendliche: "Einige von ihnen fangen schon an, die Einheimischen nicht mehr zu respektieren. Sie lassen sich mit den Touristen ein, weil die Geld haben. Diese jungen Leute haben keine Liebe mehr für die Menschen, die in diesem Land geboren wurden. Sie schauen nur noch auf das Geld. Solch ein Verhalten hat nichts mit Rastafari zu tun. Deshalb brauchen wir mehr Rastas auf Caye Caulker. Menschen, die lieben, die anderen helfen, die den Zusammenhalt und Frieden auf der Insel stärken."
    Wie Ras Ket wünschen sich viele Rastas Rastafari als Lebensstil an den Küsten der gesamten Karibik. Als ein Ausdruck des schwarzen Selbstbewusstseins. Die Rasta-Bewegung ist ein Erbe der Sklaverei. Ihre ursprünglichen Pioniere haben gepredigt, Gott habe für jede Rasse einen eigenen Kontinent vorgesehen. Doch dann haben die weißen Völker Leid und Elend über die schwarzen Völker gebracht, indem sie Menschen anderer Hautfarben versklavt und unterdrückt haben. Deshalb würden die schwarzen Völker, so war einst die Hoffnung, erst dann Frieden finden, wenn sie auf ihren Kontinent nach Afrika zurückkehrten.
    Globale Bewegung
    Doch mit der Zeit ist Rastafari global geworden, mit Anhängern aller Hautfarben. Auch auf Caye Caulker trifft man junge Europäer mit blonden Rasta-Locken. Der Afroamerikaner Ras Dante freut sich, wenn er blonde Rasta-Locken sieht. Er glaubt, die Rasta-Botschaft für alle Menschen gilt, nicht nur für Schwarze.
    Ras Dante: "Liebe, nichts als Liebe. Darauf basiert Rastafari. Während die Gesellschaft der Menschen auf Hass und Abgrenzung basiert. Wir hören immer von der schwarzen Rasse, der weißen Rasse, dieser Rasse, jener Rasse, aber die Wahrheit ist: es gibt nur Menschen, die letztlich alle gleich sind. Dieses dumme Geschwätz von den Rassen ist unerträglich. Wir alle sind Menschen und gemeinsam sind wir, wenn du so willst, die eine Rasse der Menschen."
    Es gibt verschiedenen Definitionen von dem, was Rastafari sein sollte. Für die einen ist es eine Religion für die anderen eher ein soziale Bewegung oder eine Lebenseinstellung oder sogar eine Ideologie. Wieder andere halten es für eine vorübergehende Modeerscheinung. Ras Dante ist sicher, dass die Welt ohne Rastafari viel ärmer wäre: "Rastafari hat die Kraft, einen Menschen zu verändern. Wer früher ein Idiot war, oder eine bösartige Person, der kann zu einem verständnisvollen Menschen werden, der sein Leben in Frieden lebt, mit Liebe im Herzen."
    Jugendkriminalität steigt an
    Seit einigen Jahren erlebt die Gesellschaft in Belize eine zunehmende Jugendkriminalität. Besonders unter den Schwarzen wachsen viele Kinder ohne ihre Eltern auf. Denn diese sind oft in die USA gezogen, um dort eine bessere Zukunft zu suchen. Belize hat 350.000 Einwohner. Weitere 50.000 leben in Los Angeles und New York. Teile der jungen Generation, die in Belize zurückgeblieben sind und mit der Konsumbotschaft der Medien bombardiert werden, träumen von einem Leben im Luxus. Um möglichst schnell an viel Geld zu kommen, schließen sie sich nicht selten organisierten Banden an, in der Hoffnung durch den Drogenhandel reich zu werden.
    In dieser gesellschaftlichen Situation kann Rastafari eine wertvolle Alternative für die Jugendlichen sein, davon ist sogar der anglikanische Pfarrer Snyders überzeugt. Snyders ist vor 33 Jahren aus Schottland nach Belize gekommen und kennt das Land sehr gut: "Die Rastas nehmen das Leben wie es kommt. Es geht ihnen nicht darum, viel zu besitzen. Ihre Spiritualität hat etwas Wunderbares. Ich habe den Eindruck, dass sie sich mit voller Überzeugung gegen Materialismus auflehnen, verbunden mit einem tiefen Respekt gegenüber Gott. Das gefällt mir, besonders deshalb, weil sie ihre Botschaft wirklich umsetzen. Ich sehe nicht, dass sie sich auf die Welt der Gier einlassen, so wie viele Christen das tun."