Bettina Klein: Die Regierung in Athen kann vorerst aufatmen, die internationalen Finanzkontrolleure der Troika kehren zurück in der kommenden Woche, um weiter zu prüfen, ob und wie Griechenland geholfen werden kann. Am Telefon begrüße ich Professor Wolfgang Franz, Vorsitzender des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, kurz der Chef der fünf Wirtschaftsweisen, die die Bundesregierung beraten. Schönen guten Morgen, Herr Franz.
Wolfgang Franz: Schönen guten Morgen, Frau Klein.
Klein: Schauen wir zunächst auf die aktuellen Meldungen in Sachen Troika und Griechenland. Wie groß sind die Fortschritte jetzt, wo stehen wir im Augenblick?
Franz: Na ja, jetzt freuen wir uns ja schon, dass die Kontrolleure überhaupt nach Athen fahren. Wir müssen mal abwarten, wie das Prüfungsergebnis dann aussieht. Aber insgesamt gesehen muss man den Griechen natürlich auch mehr Zeit einräumen, die Maßnahmen sind wirklich sehr hart und die Ergebnisse bekommt man halt nicht über Nacht. Was besonders drückend ist, ist in Griechenland die Schuldenstandsquote von rund 160 Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt, und da muss man nun einen Schuldenschnitt ins Auge fassen, eine Umschuldung. Wir vom Sachverständigenrat haben vorgeschlagen, dass der Rettungsschirm, also der sogenannte EFSF, griechische Staatsanleihen eintauscht in von ihm ausgegebene und garantierte Anleihen mit einem Abschlag von 50 Prozent, und das wäre für Griechenland dann schon ein wesentlicher Schritt nach vorne.
Klein: Weshalb beschreiben wir eigentlich solche winzig kleinen Zwischenergebnisse schon als Erfolg und als Fortschritt?
Franz: Na ja, die Situation ist halt sehr dramatisch und man hat bei der Rettung Griechenlands bei den unterschiedlichen Maßnahmen nur die Wahl zwischen unterschiedlichen Übeln. Alle Maßnahmen kosten was, alle Maßnahmen sind mit erheblichen Nachteilen verbunden und mit Risiken, und es geht eigentlich nur darum, die Maßnahme auszuwählen, die den Griechen nun wirklich hilft und die uns am wenigsten kostet.
Klein: Die Schlagzeilen gestern wurden dominiert von einer anderen Nachricht: Italiens Kreditwürdigkeit ist von der Ratingagentur Standard & Poor's herabgestuft worden. Stellt das nun die Kreditwürdigkeit Italiens oder die der Ratingagentur in Frage?
Franz: Na ja, zunächst mal Italiens, einfach deshalb, weil Italien in der Vergangenheit finanzpolitisches Fehlverhalten an den Tag gelegt hat, schon seit längerer Zeit. Die Schuldenstandsquote Italiens, wieder in Relation zum Bruttoinlandsprodukt, ist rund 120 Prozent. Und das ist nun ein Alarmruf, nun endlich ganz beherzt und zügig die Maßnahmen umzusetzen, die man von Italien erwartet, und da war es ja in den vergangenen Wochen doch so, dass vereinzelt gezögert wurde und wieder Maßnahmen zurückgenommen worden sind, dann wieder neue Maßnahmen ergriffen worden sind, und dieses Hickhack, das sollte nun vorbei sein und es sollte wirklich ein sehr konsistentes Konsolidierungsprogramm erfolgen. Die Ratingagenturen sind eigentlich nur der Überbringer schlechter Nachrichten, oder weisen auf Fehlverhalten hin. Aber wir wollen doch nicht, wie seinerzeit im alten Athen, den Überbringer schlechter Maßnahmen köpfen.
Klein: Nun ja! Es wurde gestern aber wiederum auch von Wirtschaftsexperten schwer kritisiert, das sei eine politische Entscheidung und sie sei politisch voreingenommen. Das heißt, man würde die Europäer aus Sicht dieser amerikanischen Agenturen strenger bestrafen als die Vereinigten Staaten, und das sei im Kern ungerecht.
Franz: Nein, das halte ich für ein Ablenkungsmanöver. Natürlich, die Ratingagenturen haben sich in der Finanzmarktkrise 2008 nun nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Sie haben bestimmte Papier mit einem dreifachen A, mit einem Tripple A benotet, obwohl das Schrottpapiere waren. Aber davon abgesehen: Sie bewerten Länder, die Informationen, die sie geben, sind nachvollziehbar, sie sind auch transparent, sie haben einen gewissen Entscheidungsspielraum, und sie haben ja auch die Vereinigten Staaten (zumindest eine der Ratingagenturen) leicht herabgestuft. Also so, dass das nur böse amerikanische Ratingagenturen sind, die eine glänzende italienische Wirtschaft da schlecht reden, das kann ich nun wirklich nicht nachvollziehen.
Klein: Das war die eine Ebene der Kritik. Die zweite ist ja das grundsätzliche In-Frage-stellen dieser Agenturen, und wir haben das auch, sozusagen nicht auf ganz offizieller, aber auf halb offizieller Ebene aus der EU-Kommission, gestern gehört, dass man doch ein bisschen verzweifelt ist darüber, welchen großen Stellenwert diese Agenturen haben. Nun haben sich aber die Regierungen ja selbst die Bedeutung dieser Agenturen herbeigeschrieben und sie in diese Bedeutung ja erhoben, und man kann da im Moment nicht so schnell heraus. Wäre das wünschenswert?
Franz: Ja, da haben Sie völlig recht. Es sind ja nicht die Ratingagenturen, sondern es sind verschiedene Institutionen, EU-Kommission, aber zum Teil auch die Europäische Zentralbank, die sich so ausschließlich auf das Urteil der Ratingagenturen stützen, oder einen so starken Fokus darauf haben. Da sollte man halt in der Zukunft lernen und beispielsweise von Seiten der EU, oder von Seiten der Europäischen Zentralbank sagen, wir haben selbst hervorragende Fachleute, wir können das genauso gut beurteilen, wir nehmen natürlich sehr ernst das Urteil der Ratingagenturen zur Kenntnis, aber wir bilden uns unser eigenes Urteil, und dann kann man ja je nach Sachlage das Urteil der Ratingagenturen relativieren oder nicht.
Klein: Scharfe Kritik kam ja auch vom italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi, der sagte, das sei eher von Medienberichten als von der Realität diktiert, diese Herabstufung. Belegt das auch, dass eben die EU keine wirklichen Einflussmöglichkeiten in Italien hat, solange Italien keine Finanzhilfen bezieht? Im Augenblick ist der Einfluss auf die Regierung ja sehr begrenzt.
Franz: Natürlich wird die EU und die anderen Regierungschefs die italienische Regierung versuchen davon zu überzeugen, dass sie nun endlich die Maßnahmen durchsetzt. Ich gehe davon aus, dass da auch vertrauliche Telefonate und Briefe gewechselt werden. Aber noch mal: Das ist ein Alarmsignal, welches die Ratingagenturen aussenden. Das ist sehr wichtig, das erwarten wir auch. Und selbst wenn jetzt daraufhin in Italien die Zinsen für italienische Staatsanleihen steigen, ist das der Preis dafür, dass man eben nicht frühzeitig reagiert hat. Das erwarten wir von den Finanzmärkten. Eigentlich hätte ich sogar noch mehr erwartet, nämlich dass die Finanzmärkte im Vorfeld schon, das heißt schon seit einer geraumen Anzahl von Monaten, wo ja die Staatsschuldenquote Italiens schon rund 120 Prozent betrug, Alarm geschlagen haben. Dass sie erst im Juli aufgewacht sind, das gibt mir zu denken. Aber trotzdem, das Signal, was sie jetzt aussenden, ist ganz klar: Macht einen finanzpolitischen Konsolidierungskurs, bringt euren Haushalt in Ordnung. Und so wie ich das auch in den Zeitungen gelesen habe, ist der Finanzminister Tremonti ja durchaus eine Persönlichkeit, die da auch überzeugende Vorschläge vorzulegen hat.
Klein: Die Einschätzung des Wirtschaftswissenschaftlers Professor Wolfgang Franz. Ich danke für das Gespräch, Herr Franz, und einen schönen Tag.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Wolfgang Franz: Schönen guten Morgen, Frau Klein.
Klein: Schauen wir zunächst auf die aktuellen Meldungen in Sachen Troika und Griechenland. Wie groß sind die Fortschritte jetzt, wo stehen wir im Augenblick?
Franz: Na ja, jetzt freuen wir uns ja schon, dass die Kontrolleure überhaupt nach Athen fahren. Wir müssen mal abwarten, wie das Prüfungsergebnis dann aussieht. Aber insgesamt gesehen muss man den Griechen natürlich auch mehr Zeit einräumen, die Maßnahmen sind wirklich sehr hart und die Ergebnisse bekommt man halt nicht über Nacht. Was besonders drückend ist, ist in Griechenland die Schuldenstandsquote von rund 160 Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt, und da muss man nun einen Schuldenschnitt ins Auge fassen, eine Umschuldung. Wir vom Sachverständigenrat haben vorgeschlagen, dass der Rettungsschirm, also der sogenannte EFSF, griechische Staatsanleihen eintauscht in von ihm ausgegebene und garantierte Anleihen mit einem Abschlag von 50 Prozent, und das wäre für Griechenland dann schon ein wesentlicher Schritt nach vorne.
Klein: Weshalb beschreiben wir eigentlich solche winzig kleinen Zwischenergebnisse schon als Erfolg und als Fortschritt?
Franz: Na ja, die Situation ist halt sehr dramatisch und man hat bei der Rettung Griechenlands bei den unterschiedlichen Maßnahmen nur die Wahl zwischen unterschiedlichen Übeln. Alle Maßnahmen kosten was, alle Maßnahmen sind mit erheblichen Nachteilen verbunden und mit Risiken, und es geht eigentlich nur darum, die Maßnahme auszuwählen, die den Griechen nun wirklich hilft und die uns am wenigsten kostet.
Klein: Die Schlagzeilen gestern wurden dominiert von einer anderen Nachricht: Italiens Kreditwürdigkeit ist von der Ratingagentur Standard & Poor's herabgestuft worden. Stellt das nun die Kreditwürdigkeit Italiens oder die der Ratingagentur in Frage?
Franz: Na ja, zunächst mal Italiens, einfach deshalb, weil Italien in der Vergangenheit finanzpolitisches Fehlverhalten an den Tag gelegt hat, schon seit längerer Zeit. Die Schuldenstandsquote Italiens, wieder in Relation zum Bruttoinlandsprodukt, ist rund 120 Prozent. Und das ist nun ein Alarmruf, nun endlich ganz beherzt und zügig die Maßnahmen umzusetzen, die man von Italien erwartet, und da war es ja in den vergangenen Wochen doch so, dass vereinzelt gezögert wurde und wieder Maßnahmen zurückgenommen worden sind, dann wieder neue Maßnahmen ergriffen worden sind, und dieses Hickhack, das sollte nun vorbei sein und es sollte wirklich ein sehr konsistentes Konsolidierungsprogramm erfolgen. Die Ratingagenturen sind eigentlich nur der Überbringer schlechter Nachrichten, oder weisen auf Fehlverhalten hin. Aber wir wollen doch nicht, wie seinerzeit im alten Athen, den Überbringer schlechter Maßnahmen köpfen.
Klein: Nun ja! Es wurde gestern aber wiederum auch von Wirtschaftsexperten schwer kritisiert, das sei eine politische Entscheidung und sie sei politisch voreingenommen. Das heißt, man würde die Europäer aus Sicht dieser amerikanischen Agenturen strenger bestrafen als die Vereinigten Staaten, und das sei im Kern ungerecht.
Franz: Nein, das halte ich für ein Ablenkungsmanöver. Natürlich, die Ratingagenturen haben sich in der Finanzmarktkrise 2008 nun nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Sie haben bestimmte Papier mit einem dreifachen A, mit einem Tripple A benotet, obwohl das Schrottpapiere waren. Aber davon abgesehen: Sie bewerten Länder, die Informationen, die sie geben, sind nachvollziehbar, sie sind auch transparent, sie haben einen gewissen Entscheidungsspielraum, und sie haben ja auch die Vereinigten Staaten (zumindest eine der Ratingagenturen) leicht herabgestuft. Also so, dass das nur böse amerikanische Ratingagenturen sind, die eine glänzende italienische Wirtschaft da schlecht reden, das kann ich nun wirklich nicht nachvollziehen.
Klein: Das war die eine Ebene der Kritik. Die zweite ist ja das grundsätzliche In-Frage-stellen dieser Agenturen, und wir haben das auch, sozusagen nicht auf ganz offizieller, aber auf halb offizieller Ebene aus der EU-Kommission, gestern gehört, dass man doch ein bisschen verzweifelt ist darüber, welchen großen Stellenwert diese Agenturen haben. Nun haben sich aber die Regierungen ja selbst die Bedeutung dieser Agenturen herbeigeschrieben und sie in diese Bedeutung ja erhoben, und man kann da im Moment nicht so schnell heraus. Wäre das wünschenswert?
Franz: Ja, da haben Sie völlig recht. Es sind ja nicht die Ratingagenturen, sondern es sind verschiedene Institutionen, EU-Kommission, aber zum Teil auch die Europäische Zentralbank, die sich so ausschließlich auf das Urteil der Ratingagenturen stützen, oder einen so starken Fokus darauf haben. Da sollte man halt in der Zukunft lernen und beispielsweise von Seiten der EU, oder von Seiten der Europäischen Zentralbank sagen, wir haben selbst hervorragende Fachleute, wir können das genauso gut beurteilen, wir nehmen natürlich sehr ernst das Urteil der Ratingagenturen zur Kenntnis, aber wir bilden uns unser eigenes Urteil, und dann kann man ja je nach Sachlage das Urteil der Ratingagenturen relativieren oder nicht.
Klein: Scharfe Kritik kam ja auch vom italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi, der sagte, das sei eher von Medienberichten als von der Realität diktiert, diese Herabstufung. Belegt das auch, dass eben die EU keine wirklichen Einflussmöglichkeiten in Italien hat, solange Italien keine Finanzhilfen bezieht? Im Augenblick ist der Einfluss auf die Regierung ja sehr begrenzt.
Franz: Natürlich wird die EU und die anderen Regierungschefs die italienische Regierung versuchen davon zu überzeugen, dass sie nun endlich die Maßnahmen durchsetzt. Ich gehe davon aus, dass da auch vertrauliche Telefonate und Briefe gewechselt werden. Aber noch mal: Das ist ein Alarmsignal, welches die Ratingagenturen aussenden. Das ist sehr wichtig, das erwarten wir auch. Und selbst wenn jetzt daraufhin in Italien die Zinsen für italienische Staatsanleihen steigen, ist das der Preis dafür, dass man eben nicht frühzeitig reagiert hat. Das erwarten wir von den Finanzmärkten. Eigentlich hätte ich sogar noch mehr erwartet, nämlich dass die Finanzmärkte im Vorfeld schon, das heißt schon seit einer geraumen Anzahl von Monaten, wo ja die Staatsschuldenquote Italiens schon rund 120 Prozent betrug, Alarm geschlagen haben. Dass sie erst im Juli aufgewacht sind, das gibt mir zu denken. Aber trotzdem, das Signal, was sie jetzt aussenden, ist ganz klar: Macht einen finanzpolitischen Konsolidierungskurs, bringt euren Haushalt in Ordnung. Und so wie ich das auch in den Zeitungen gelesen habe, ist der Finanzminister Tremonti ja durchaus eine Persönlichkeit, die da auch überzeugende Vorschläge vorzulegen hat.
Klein: Die Einschätzung des Wirtschaftswissenschaftlers Professor Wolfgang Franz. Ich danke für das Gespräch, Herr Franz, und einen schönen Tag.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.