In der Sierra Kaliforniens leben Berglöwen, die Pumas. Als große Raubtiere bilden sie dort das Ende der Nahrungskette. Sie jagen Rehwild und schleppen ihre Beute zu Fressplätzen, wo sie die Kadaver dann über ein bis zwei Tag hinweg verzehren. Allerdings leben auch immer mehr Menschen in den natürlichen Habitaten der Pumas. Und das hat überraschende Folgen, wie Wissenschaftler beobachtet haben.
"Wenn Pumas in der Nähe von Menschen leben, fressen sie weniger von den Kadavern. Das führt dazu, dass sie gezwungen sind, insgesamt mehr Rehwild zu töten, um den Nahrungsmangel zu kompensieren."
Die Biologin Liana Zanette von der Western University im kanadischen Ontario hat sich gemeinsam mit kalifornischen Kollegen daran gemacht, herauszufinden, warum die Pumas im Umfeld von Siedlungen ein derart geändertes Fressverhalten an den Tag legen. Ihre Theorie: Die Pumas fürchten den Menschen als eine Art Super-Raubtier. Kommt er ihnen zu nahe, flüchten sie und lassen ihre Beute zurück.
Womöglich weitreichende Folgen für die Natur
Das würde allerdings bedeuten, dass der Mensch viel weitreichendere Auswirkungen auf die Natur hat, als bisher gemeinhin angenommen. Denn wenn ein Puma aus Angst vor dem Menschen mehr Beutetiere reißt, kann sich das kaskadenartig auf viele weitere Bestandteile des Ökosystems auswirken.
"Wir wissen, dass Menschen alle möglichen Auswirkungen auf Ökosysteme haben. Wir zerstören die Habitate et cetera. Aber die Idee, dass die Biodiversität schon durch unsere schiere Präsenz beeinflusst werden kann, ist irgendwie neu."
Um ihre Theorie zu beweisen, machten Liana Zanette und Kollegen ein Experiment. Sie installierten Fotofallen mit versteckten Lautsprechern an typischen Fressplätzen der Pumas. Die Lage dieser Fressplätze kannten sie, weil sie die Pumas zuvor mit GPS-Funkhalsbändern versehen hatten, und so deren Position verfolgen konnten.
Geriet ein Tier in die Fotofalle, ertönten aus dem Lautsprecher mal leise Menschenstimmen, mal das Quaken von Baumfröschen, die typisch sind für die Region. Dabei zeigte sich: Hörten die Pumas die menschlichen Stimmen, nahmen sie fast immer Reißaus und kehrten auch später nur selten zu ihrer Beute zurück. Vom Klang der Frösche ließen sie sich hingegen gar nicht stören.
"Dies ist die erste Studie, die experimentell nachweist, dass große Raubtiere uns Menschen als Super-Raubtiere wahrnehmen. Wenn man bedenkt, dass immer mehr Raubtiere in Landschaften leben, die mittlerweile von Menschen dominiert sind, dann heißt das, dass sie zwar mit uns, aber auch in ständiger Angst vor uns leben. So stören wir die Ökosysteme in einer Weise, wie wir es bisher kaum bedacht haben."
Zweifel an der Methodik
Jetzt stellt sich die Frage: Lässt sich das, was Liana Zanette bei den Pumas beobachtete, auch auf andere große Raubtiere übertragen? Der Wildtier-Ökologe Guillaume Chapron von der Schwedischen Agraruniversität in Uppsala hält die kalifornische Studie für sehr interessant, weil sie einen bisher kaum beachteten Effekt der Menschen auf Raubtiere belege. Allerdings sieht er auch ein methodisches Problem, weshalb sich die Ergebnisse nicht einfach so verallgemeinern ließen.
"Die Forscher arbeiten in der Studie mit Tieren, die GPS-Sender tragen. Hier stellt sich die Frage, wie repräsentativ diese dann noch für die Pumas im Allgemeinen sind. Denn um ihnen den Sender umzuhängen, wurden die Tiere gefangen genommen und sediert. Wenn sie jetzt menschliche Stimmen hören, fürchten sie möglicherweise nur, erneut gefangen genommen zu werden."
Liana Zanette und Kollegen wollen dennoch genauer erforschen, welche weitreichenden Folgen die schiere Präsenz des Super-Raubtieres Mensch auf die Nahrungsketten in der Natur hat. Langzeitexperimente sollen zeigen, inwieweit menschliche Stimmen auch schon das Jagdverhalten der Pumas beeinflussen, wie sich das auf die Rehwild-Population auswirkt, und welche Effekte sich daraus für weitere Glieder der Nahrungskette ergeben.