Dina Netz: Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtet heute, dass das Münchner Auktionshaus Neumeister, einer der großen Namen der Branche, einen rühmlichen Schritt tut. Neumeister veröffentlicht auf der Datenbank-Seite lostart.de die Kataloge des Auktionshauses Weinmüller von 1933 bis '45. Adolf Weinmüller weist einige Parallelen zu Hildebrand Gurlitt auf: Er hatte seine größten Erfolge in der NS-Zeit, aber auch danach blieb er im Kunsthandel tätig. Seit 2012 gibt es eine wissenschaftliche Arbeit über ihn, aber ansonsten ist über Adolf Weinmüller bisher wenig bekannt. Rudolf Neumeister übernahm sein Auktionshaus dann 1958, heute leitet es seine Tochter Katrin Stoll. Ich habe Katrin Stoll unterwegs erreicht und gebeten: Die Vorgeschichte zu dieser heutigen Veröffentlichung geht so, dass Sie im Keller des Auktionshauses einen Schrank fanden. Erzählen Sie am besten mal selbst, was da drin war ...
Katrin Stoll: Man muss vielleicht noch ein bisschen weiter ausholen. Ich habe erkannt, dass Weinmüller eine problematische Provenienz oder Historie hat, und habe 2009 ein Forschungsprojekt in Auftrag gegeben, zusammen mit dem Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München und der Arbeitsstelle für Provenienzforschung Berlin. Wir haben dieses Projekt mit einer Publikation abgeschlossen und hatten dann noch ein, zwei Folgeprojekte laufen, und bei den Folgeprojekten habe ich festgestellt, dass in meinem Unternehmen in einem Technikraum - jetzt müssen Sie sich vorstellen: das ist ein Riesenunternehmen, wo im Jahr 15.000 Kunstgegenstände durchlaufen mit drei Lastenaufzügen und Elektrizität, Klimaanlage, Alarm-Sicherheitssystem-, und in einem dieser Technikbereiche in einem Stahlschrank lagen diese annotierten Kataloge. Wir haben selbstverständlich bei unserem Forschungsprojekt alle Archive und Bibliotheken auf den Kopf gestellt, aber wir haben nie damit gerechnet, eben in einem völlig absurden Bereich diesen Quellenfund zu machen vor einem Jahr.
Netz: Und was genau waren das dann für Quellen und wie sind die aufgearbeitet worden?
Stoll: Bei dem Quellenfund handelt es sich um diesen kompletten Satz sämtlicher annotierter Auktionskataloge aus den Jahren 1933 bis '45 und dann sind es 11 der 18 Wiener Kataloge. Weinmüller hatte in Wien das Auktionshaus Kende arisiert und auch da sind eben elf der 18 komplett jetzt annotiert mit handschriftlicher Bezeichnung von Einlieferern und Käufern aufgetaucht. Es gibt zusammen einen Datensatz von 35.000 Daten, was in Einzelinformationen 150.000 Namen, Nummern, Preisen und so weiter ergibt.
Netz: Und wie haben Sie diese Dokumente dann erschlossen? Das wird sich ja nicht alles von selber erklärt haben.
Stoll: Ja. Da war der Punkt, dass natürlich diese Bücher - das alte Papier ist ja minderwertig - teilweise auch in sehr schlechtem Zustand waren. Wir haben erkannt, wir müssen es als erstes sichern. Dann haben wir das in einem ad-hoc-Projekt mit der Arbeitsstelle für Provenienzforschung Berlin digitalisiert und anschließend transkribiert. Das Ganze hat sechs Monate gedauert. Jetzt möchte ich noch mal sagen: Im Fall Gurlitt ging es um 1500 Bilder, und ich glaube, in zwei Jahren sind 500 Bilder anrecherchiert worden. Wir haben in sechs Monaten 35.000 Daten komplett digitalisiert und transkribiert.
Netz: Das führt natürlich gleich zu der nächsten Frage, Frau Stoll. Diese Dokumente, die galten ja als bei einem Luftangriff zerstört. Sie hätten sich also gar nicht rühren müssen. Warum haben Sie sich denn entschieden, diese Dokumente erstens zu erschließen, auf eigene Kosten zum Teil, und sie dann auch zu veröffentlichen?
Stoll: Ja, das ist die ganze Historie: Warum habe ich überhaupt mich der Vergangenheit oder der Historie Weinmüller gestellt? Ich muss Ihnen sagen, meine Eltern haben mir vorgelebt, aufrecht und rechtschaffen durchs Leben zu gehen, und ich hatte das Bedürfnis, ich habe da Informationen, die von so großer Bedeutung sind. Welche hohe Bedeutung die haben, war mir nicht klar. Und welche Rolle ich jetzt einnehme auch bundesweit im Kunsthandel, habe ich natürlich auch überhaupt nicht geahnt. Ich habe für mich das gemacht, was ich für richtig hielt, für mich ganz privat, und dass das natürlich jetzt eine große Tragweite hat, ist eine Dimension, die mich teilweise fast bedrückt oder betroffen macht.
Netz: Sie haben gerade schon von 150.000 Einträgen gesprochen. Welche Bedeutung haben diese Dokumente denn jetzt für die Aufarbeitung der NS-Zeit? Wer muss da jetzt wohl welche Konsequenzen ziehen?
Stoll: Na ja, das eine ist natürlich, dass Anspruchsteller jetzt belastbare Fakten haben, mit denen sie ihre Ansprüche geltend machen können. Und wie die dann verwirkt sind oder realisiert werden können, das sei juristisch noch mal auf einem ganz anderen Niveau. Aber zumindest Fakten, die geschaffen sind, keine Spekulation über unter Umständen auch Personen, die zu Unrecht belangt werden. Das gibt es ja auch, dass Ansprüche gestellt werden, die vielleicht nicht zutreffen, weil es eben keine Quellenlage gibt, und auch diese können dann geklärt werden und unter Umständen zu den Akten gelegt. Ich denke, es ist sehr wichtig, einfach diese Faktenlage jetzt zu haben.
Netz: ..., sagt Katrin Stoll, Geschäftsführerin des Münchner Auktionshaus Neumeister, über ihre Veröffentlichung eines spektakulären Fundes. Bisher hat übrigens noch kein anderes Auktionshaus sich zu so einem Schritt durchgerungen.
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