Burkhard Müller-Ullrich: Am Montag vor drei Wochen hat das Berner Kunstmuseum die Annahme des Erbes von Cornelius Gurlitt erklärt. Der Mann hatte dem Museum testamentarisch seine ganze umstrittene und Gerüchte umwobene Bildersammlung sowie seine Immobilien und sein Geldvermögen vermacht und damit seine lebenden Verwandten übergangen. Für die Berner Museumsleute kam das wie ein Blitz aus heiterem Himmel und lange wurde in der Schweiz darüber diskutiert, ob man dieses halb vergiftete Erbe überhaupt annehmen solle. Schweizerische Regierungsstellen hatten davon abgeraten, der Chefredakteur der "Weltwoche" hatte davon abgeraten. Andere sahen allerdings eine Chance darin. - Ich habe den Schweizer Historiker und Raubkunstexperten Thomas Buomberger gefragt, warum die Schweiz eigentlich Deutschland bei der sogenannten "Bewältigung seiner Vergangenheit" unbedingt helfen will.
Thomas Buomberger: Ja, die Schweiz war natürlich während des Zweiten Weltkriegs auch ein Umschlagplatz für gestohlene Kunst, für Nazi-Raubkunst. Das ist zum Teil aufgearbeitet worden, aber ein großer Teil, würde ich mal behaupten, liegt immer noch im Dunkeln und da gibt es noch Einiges zu tun, und vielleicht könnte auch die Annahme dieses Gurlitt-Erbes dazu beitragen, nicht nur in der Schweiz, sondern auch in Deutschland diese Diskussion wieder voranzutreiben. Und ich nehme auch an, dass international vielleicht dieser Fall doch zu einer Intensivierung in der Diskussion um Raubkunst und auch zur Aufarbeitung führen könnte.
Müller-Ullrich: Das Museum hat ja angekündigt, es kommt keine Raubkunst ins Haus, die bleibt in Deutschland. Das heißt, im Grunde könnte man auch von Rosinenpickerei sprechen, die Guten kommen ins Töpfchen und die Schlechten, die bleiben einfach da wo sie sind.
Buomberger: Das ist zu befürchten, dass dieses Image hängen bleibt. Ich hätte mir gewünscht, dass sich das Kunstmuseum Bern auch intensiver an der Task Force beteiligen würde, auch finanziell beteiligen würde, und ich würde mir vor allem auch wünschen, dass diese Aufklärungsarbeit sich nicht nur auf das Kunstmuseum Bern bezieht, sondern auch auf andere Schweizer Museen, insbesondere auch, dass man eine Diskussion führt über die Definitionen, was ist eigentlich Raubkunst. Oder anders gesagt: In der Schweiz geht man immer davon aus, dass das, was jüdische Flüchtlinge in der Schweiz verkauft haben, dass dass sogenanntes Fluchtgut ist, das nicht restitutionsfähig ist, im Gegensatz zum sehr viel weiteren deutschen Begriff des NS-verfolgungsbedingten Verlustes. Und da hoffe ich mir, dass die Annahme dieses Erbes auch eine Intensivierung dieser Diskussion um die beiden Begriffe ergibt.
Müller-Ullrich: Ja gut, es gibt natürlich einen großen Unterschied. Die Schweiz hat nicht den Juden irgendwelche Kunst abgejagt oder abgepresst oder sie zum Verkauf gezwungen.
Buomberger: Das ist zweifellos so. Aber auf der anderen Seite ist es natürlich ein bisschen blauäugig zu glauben, dass die geflüchteten Juden, die in der Schweiz ihre Werke verkauft haben, dass die das wirklich aus freiem Willen getan haben. Wenn nicht die Herrschaft der Nazis ja zu dieser Flucht geführt hätte, dann wären die ja kaum in die Schweiz gekommen, auch wenn die Schweiz ein freies Land war, der Markt einigermaßen funktioniert hat, aber der Wille war sicher nicht in jedem Fall frei.
Müller-Ullrich: Was schwebt Ihnen da vor, Herr Buomberger, dass man alle Schweizer Museen jetzt mal durchschaut, was da alles noch möglicherweise an Werken enthalten ist, die unter Druck verkauft worden sind?
Buomberger: Das ist zweifellos der erste Schritt, dass die staatlichen oder die staatlich subventionierten Museen mal endlich ihre Hausaufgaben machen müssten. Das Bundesamt für Kultur - das Kulturministerium wäre das in Deutschland - hat ja schon vor drei Jahren mal eine Umfrage unter über 500 Schweizer Museen gemacht, ob sie diese Arbeit getätigt haben. Die Antworten waren sehr ernüchternd. Der absolut kleinste Teil hat diese Hausarbeit schon gemacht und jetzt wäre es eigentlich an der Zeit, das endlich zu tun.
Müller-Ullrich: Gibt es da irgendwelche Hotspots, die Sie benennen können, irgendwelche Häuser oder Sammlungen, die da speziell infrage stehen?
Buomberger: Ich würde sicher mal den Fokus auf die größeren Institutionen richten, wie zum Beispiel das Kunsthaus Zürich, das sich sogar bei der Beantwortung dieser Umfrage verweigert hat. Ich denke - und das ist aber eine Hypothese -, da könnten sicher noch einige Leichen im Keller liegen, auch wenn das Kunsthaus Zürich das Gegenteil behauptet.
"Richtig, dass das Kunstmuseum Bern dieses Erbe angetreten hat"
Müller-Ullrich: Jetzt hat Bern ja trotzdem doch sehr geholfen. Bei der Task Force sind sie dabei und sie sind vor allem sehr schnell gewesen, indem sie die Unterlagen ins Internet gestellt haben. War das nicht ein sehr erfreulicher Schritt?
Buomberger: Ja, zweifellos. Nur da führt kein Weg dran vorbei, dass man natürlich mit dieser Offenheit, mit dieser Transparenz da ans Werk geht und dass man, auch wenn nur der geringste Zweifel besteht, dass da ein Raubbild darunter sein könnte, dass man da die Finger davon lässt. Da könnte sich das Kunstmuseum Bern gar keine andere Position leisten.
Müller-Ullrich: Stichwort "Die Finger davon lassen". Die Argumentation, man hätte die Finger davon lassen sollen, ist ja immer noch nicht ganz vom Tisch. Was glauben Sie, wäre es besser gewesen zu sagen, das soll Deutschland alleine machen?
Buomberger: Nein. Ich denke, es ist schon richtig, dass das Kunstmuseum Bern dieses Erbe angetreten hat, und zwar gerade aus dem Grund, dass man damit auch eine Verpflichtung eingegangen ist - nicht nur in Bezug auf die eigene Sammlung, die skrupulös untersucht werden muss, oder dieses Erbe, das so skrupulös untersucht werden muss, sondern auch, dass man eine, wie ich hoffe, erweiterte Diskussion führen kann in Bezug auf die anderen Schweizer Museen, dass man offensiv dieses Thema angeht. Und ich möchte da noch einfügen: Der Schweizerische Bundesrat, die Regierung, die hat im Kulturleitbild für die nächsten Jahre explizit geschrieben, dass die Recherche nach Provenienzen, dass das eine wichtige Aufgabe sein soll, wenn man das nicht machen würde, oder wenn es dunkle Flecken gäbe, dass das auch ein Reputationsrisiko für die Schweiz sein könnte. Nur schon aus diesem Grund müsste man diese Aufgabe wirklich endlich anpacken.
Müller-Ullrich: Der Schweizer Historiker Thomas Buomberger über die weiteren Folgen des Gurlitt-Testaments für die Schweiz.
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