Ralf Krauter: Über 5.000 deutsche Forscher haben seit 2014 Artikel in wissenschaftlichen Pseudo-Journalen publiziert. Die vermeintlichen Fachmagazine, herausgegeben von dubiosen "Raubverlegern" wie OMICS aus Indien, veröffentlichen gegen Bezahlung alles. Eine Prüfung der wissenschaftlichen Qualität findet nicht statt. Hat sie das überrascht, dass so viele deutsche Wissenschaftler diesen Raubverlegern auf den Leim gehen?
Mike Schäfer: Das ist in der Tat schon etwas überraschend. Die einzigen Zahlen, die man bisher zu diesem Phänomen der Raubzeitschriften und der Fake-Konferenzen hatte, war gewissermaßen, dass man das Angebot kannte. Man weiß, dass es heute etwa knapp 10.000 von diesen Zeitschriften gibt. OMICS ist einer der großen Anbieter, hat allein 700 von diesen Zeitschriften im Angebot. Man weiß, dass die Zahl der Artikel in diesen Zeitschriften deutlich gestiegen ist. Das waren 2010 etwa 50.000, und das hat sich dann innerhalb weniger Jahre auf fast eine halbe Million vervielfacht. Und man weiß auch, dass es viele von diesen Scheinkonferenzen gibt.
Es gibt die WASET, die World Academy of Science, Engineering and Technology, ein Raubverlag, der in der Türkei sitzt. Und die haben zum Beispiel in diesem Jahr allein 60.000 Konferenzen veranstaltet, oft mehrere zu ganz unterschiedlichen Themen am gleichen Ort, im gleichen Hotel. Das heißt, dieses Angebot kannte man, und was diese neuen Recherchen nun zeigen, ist, wie viele Forschende tatsächlich in unterschiedlichen Ländern beteiligt waren, und dass es hierzulande seit 2014 offenbar über 5.000 waren. Einerseits glaube ich, ist das schon eine etwas besorgniserregende Zahl, auch wenn das nur – das ist ungefähr ein Prozent der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Durchschnitt, die wir in Deutschland haben. Aber was ich fast noch besorgniserregender finde, ist die Tatsache, dass der Trend gestiegen ist. In den vergangenen fünf Jahren hat sich die Zahl von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die durchschnittlich in diesen Zeitschriften veröffentlicht haben, verfünffacht, und das ist tatsächlich etwas, worüber man nachdenken sollte.
"Publish or perish" trägt sicherlich dazu bei
Krauter: Wie ist es denn aus Ihrer Sicht zu erklären, dass offenbar eine wachsende Zahl von Forschern diesen Raubverlegern in die Falle gehen? Weil es ist ja in allen großen Zeitungen schon mal über diese Problematik berichtet worden. Das heißt, wer sich informieren wollte, der konnte eigentlich wissen, dass man da so ein bisschen achtsam sein muss, wo man publiziert. Also warum ist diese Warnung bei vielen Forschern offenbar nicht angekommen?
Schäfer: Die befragten Forscher begründen das ja zu einem Teil mit Unwissenheit und mangelnder Information, und zum Teil ist das möglicherweise auch so. Wenn man Koautor nur einer Veröffentlichung ist und so weiter, ist es durchaus denkbar, dass einige der Kolleginnen und Kollegen da nicht so genau hingeschaut haben. Aber man muss schon auch sagen, bei vielen dieser Angebote, die wir alle in der Wissenschaft fast täglich ins Haus bekommen oder in die Mailbox bekommen, ist es nicht allzu schwer, herauszufinden, um was für Zeitschriften und Konferenzen es sich da handelt. Häufig ist das schon an der E-Mail ersichtlich, in den meisten Fällen bekommt man das nach einer kurzen Internetrecherche raus. Diese hohe Zahl mit Unwissenheit und mangelnder Information zu erklären, leuchtet mir nicht ein. Es tragen sicherlich andere Faktoren auch dazu bei.
Ganz generell muss man sagen, dass das Anreizsystem in der Wissenschaft, das auf eine Maximierung von Publikationen, also von möglichst vielen Veröffentlichungen ausgelegt ist – das, was man publish or parish nennt im Englischen, dass das sicherlich auch dazu beiträgt. An der Zahl der Publikationen, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler veröffentlichen, wird in vielen Kontexten ihre Leistung gemessen, für den Einzelnen oder die Einzelne, für das Forschungsteam, zum Teil auch für ganze Universitäten. Denn in Hochschulrankings, die immerzu veröffentlicht werden, spielen Publikationsmaße auch eine wichtige Rolle. Und Publikationen gelten auch als Grundlage für Personalentscheidungen wie Beförderung und Berufung.
Ich will damit nicht sagen, dass in all diesen Fällen Veröffentlichungen in Raubjournalen eine wichtige Rolle spielen – gerade Personalentscheidungen verlaufen meiner Wahrnehmung nach sehr seriös, und im großen Stil würde das da auffallen. Aber dieses Anreizsystem, das auf Maximierung von Publikationen ausgelegt ist, trägt sicherlich dazu bei, dass wenigstens ein kleiner Teil von Kolleginnen und Kollegen nach Wegen sucht, die Zahl der Publikationen zu erhöhen. Raubjournale sind natürlich ein sehr einfacher und sehr offensiv von den entsprechenden Anbietern ins Haus gebrachter Kanal.
Finanzieller Schaden und ein Glaubwürdigkeitsproblem
Krauter: Was ist denn der gravierendere Schaden, den die Öffentlichkeit letztlich von diesem System der Raubverleger - ist es der finanzielle Schaden, der entsteht, weil diese dubiosen Verlage Millionen scheffeln, oder ist es der Verlust an Glaubwürdigkeit, weil eben seriöse Forscher in unseriösen Publikationen dann neben Scharlatanen auftauchen unter Umständen?
Schäfer: Das ist schwer gegeneinander zu gewichten, und ich glaube, es gibt beides. Zum einen gibt es einen durchaus beträchtlichen finanziellen Schaden. Die Gebühren für eine Veröffentlichung, die diese Raubzeitschriften veranschlagen, liegen zwischen 50 und mehreren tausend Dollar. Im Durchschnitt, gab es eine Studie, die das beziffert hat auf etwa knapp unter 200 US-Dollar, die man zahlen muss für so eine Veröffentlichung. Und wenn man das jetzt hochrechnet auf diese halbe Million Artikel, die da jährlich veröffentlicht werden, dann kommt man bei einer Zahl von 100 Millionen Dollar an, und das ist natürlich eine ordentliche Menge. Und den entsprechenden Anteil dieser Summe für Studien, die aus Deutschland kommen, der wird zu einem nicht unwesentlichen Teil vom Steuerzahler gezahlt, weil die Forschung ja hier ganz stark steuerfinanziert ist auch. Das ist ein Problem, glaube ich.
Das andere Problem ist dieses Glaubwürdigkeitsproblem, das zweischneidig ist. Einerseits läuft man Gefahr, dass man Scharlatane, die auch in diesen Zeitschriften veröffentlichen, aufwertet, wenn ernst zu nehmende Wissenschaftler neben ihnen publizieren. Denn in diesen Raubzeitschriften findet man Studien, die die Gefahren des Rauchens kleinreden, Studien, die die Wirksamkeit von Homöopathie scheinbar bestätigen. Und das bekommt dann natürlich den Hauch des Seriösen, wenn da etablierte Wissenschaftler daneben veröffentlichen. Und umgekehrt ist es so, dass die Glaubwürdigkeit auch der etablierten Wissenschaft möglicherweise leidet, wenn die neben diesen Scharlatanen auftauchen und veröffentlichen. Und die Gefahr ist auch, dass das Bild, dass in der Wissenschaft alles doch irgendwie umstritten ist und dass die Wissenschaft ihrer Kernfunktion, nämlich möglichst gesichertes Wissen zu produzieren, nicht in ausreichendem Maße gerecht werden kann, dass diese Wahrnehmung in der Öffentlichkeit gestärkt wird.
Ein problematischer Markt
Krauter: Die Chefs der großen Wissenschaftsorganisationen betonen ja gerade immer wieder, dass mehr Transparenz und Glaubwürdigkeit der Schlüssel ist, um das Vertrauen der Menschen in die Wissenschaft zurückzugewinnen, zu stabilisieren. Nun stehen ja pikanterweise auf der Liste der Forscher, die da in Pseudo-Journalen veröffentlicht haben sollen, aber auch Leute, die für Fraunhofer-, Max-Planck- oder Helmholtz-Institute arbeiten, und unterminieren damit ja sozusagen die Glaubwürdigkeit auch dieser Institutionen. Haben die Forschungsorganisationen ihre Hausaufgaben nicht gemacht, wenn die ihren Mitarbeitern nicht beibringen, wo sie publizieren sollten und wo vielleicht besser nicht?
Schäfer: Ich glaube, da müsste man sich tatsächlich den konkreten Fall anschauen. Es ist ja so, dass die betroffenen Organisationen dann zum Teil sehr schnell und sehr früh reagiert haben und versucht haben, ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nahezulegen, dass das nicht die richtigen Publikationskanäle sind.
Es ist sicherlich so, dass die Aufklärung darüber, was ernst zu nehmende Zeitschriften sind und wie man sich zu diesen predatory journals, zu diesen Raubzeitschriften verhalten sollte, etwas ist, was wichtig ist. Man muss dauerhaft dranbleiben bei der Information seiner Mitarbeiter, um auf die aktuellen Entwicklungen auch dieses problematischen Marktes aufmerksam zu machen.
Bewusstsein und Ressourcen schaffen
Krauter: Was müsste passieren, um dieses Problem mit den Pseudo-Journalen und Scheinkonferenzen mittelfristig in den Griff zu bekommen?
Schäfer: Ich glaube, es gibt keinen quick fix, um mit diesem Problem umzugehen. Solange die Anreizstrukturen in der Wissenschaft sind, wie sie sind, Stichwort publish or perish, wird es diese Angebote geben und wird es einen bestimmten und hoffentlich kleinen Anteil von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geben, die darauf einsteigen. Ich glaube, was man tun muss, ist erstens, man muss Bewusstsein schaffen für die Problematik. Man muss zweitens auch Ressourcen schaffen, glaube ich. Die Frage, was sind denn Raubjournale und was sind denn eigentlich seriöse Journale, ist in vielen Fällen einfach und schnell zu entscheiden, aber in manchen Fällen eben auch nicht. Und was immer wieder versucht worden ist, ist, Listen aufzustellen, die entweder die seriösen Zeitschriften zusammenstellen oder gewissermaßen die bösen Zeitschriften zusammenstellen.
Diese Art von Ressourcen und Orientierungshilfen zu schaffen, ist wichtig und ist auch etwas, worüber man als kollektiver Akteur aus der Wissenschaft, als Fachgesellschaft, als Akademie, als Forschungsförderer nachdenken sollte. Und dann muss man natürlich gründlich prüfen, gerade bei wichtigen Entscheidungen, wo haben Forscherinnen und Forscher denn eigentlich veröffentlicht, gerade bei Berufungen, gerade bei Beförderungen, gegebenenfalls auch klar sanktionieren. Wobei man, glaube ich, abschließend noch einmal sagen muss, das ist kein grassierendes, kein weitverbreitetes Problem, das ist meines Erachtens nach wie vor ein Randproblem, gerade in europäischen Ländern. Aber es ist ein Problem, das offensichtlich etwas zugenommen hat und das man angehen muss.
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