Schon ewig träumen die Menschen von fremden Welten. Seit klar ist, dass bemannte Raumfahrt möglich ist, scheint der Sprung zur interstellaren Spezies nur noch eine Frage der Zeit.
Noch liefern Versorgungsshuttles regelmäßig Essen auf die ISS. Hauptsächlich Convenience-Menüs: vorgekocht und thermostabilisiert oder gefriergetrocknet, 1,6 Kilogramm am Tag für jedes Besatzungsmitglied. Hochgerechnet auf eine zweijährige Marsmission hieße das für eine sechsköpfige Mannschaft über sieben Tonnen Ladung alleine für Lebensmittel. Dazu noch Wasser und Sauerstoff macht insgesamt 140 Tonnen. Untragbar, in mehr als einer Hinsicht: Keine Trägerrakete hat aktuell so große Kapazitäten. Und das Fertigessen enthält zwar alle wichtigen Nährstoffe, aber manche davon, insbesondere Vitamine, lassen sich schlecht lagern.
Selbstgezogenes, frisch geerntetes Gemüse könnte die Astronauten mit allen wichtigen Nährstoffen versorgen, Mangelerscheinungen verhindern, den Stoffkreislauf schließen, die Seele nähren. Der erste Salat wurde im Orbit bereits geerntet. Jetzt geht es darum, in sich geschlossene, stabile Kreisläufe zu entwickeln: ein autarkes Raumschiff Botanika, eine neue Erde in klein.
Das Manuskript:
10. August 2015, den Bruchteil einer Lichtsekunde entfernt von der Erde auf der Internationalen Raumstation ISS. An Bord ist es Nachmittag. Astronaut Scott Kelly und seine Crew-Kollegen feiern die Früchte langer Arbeit mit einem kleinen Festessen. Live übertragen von der NASA:
Salat. Ein lokales Produkt. Von den Astronauten auf der ISS selbst gezogen. Gegessen wird mit der Hand aus einer Plastiktüte. Essig und Öl kommen aus der Tube auf jedes Blatt einzeln. Mehr Esskultur ist bei Schwerelosigkeit nicht drin.
Frischen Salat hat Scott Kelly nicht mehr gegessen, seit er ein halbes Jahr zuvor die Erde verlassen hat. "Ein kleiner Bissen für einen Menschen, aber ein großes Blatt für die Menschheit" wird er später twittern.
"Ich lebe nun schon eine Weile auf der Raumstation und da wird einem natürlich klar, wie groß die logistische Herausforderung ist, wenn Menschen für längere Zeit im Weltraum wohnen und arbeiten. Wenn wir eines Tages zum Mars fliegen – und das werden wir –, dann müssen wir selbstversorgende Raumschiffe haben, auf denen Nahrung produziert wird."
Schon ewig träumen die Menschen von fremden Welten. Seit klar ist, dass bemannte Raumfahrt möglich ist, scheint der Sprung zur interstellaren Spezies nur eine Frage der Zeit. Und doch: Völlig losgelöst von der Erde, sind wir noch lange nicht.
Regelmäßig liefern Versorgungsshuttles auch Essen auf die ISS. Hauptsächlich Convenience-Menüs: vorgekocht und thermostabilisiert oder gefriergetrocknet. 1,6 Kilogramm am Tag für jedes Besatzungsmitglied. Eine zweijährige Marsmission müsste ohne solche Versorgungsflüge auskommen. Das würde für eine sechsköpfige Mannschaft über 7 Tonnen Ladung alleine für Lebensmittel bedeuten. Dazu noch Wasser und Sauerstoff. Insgesamt 140 Tonnen, rechnet die ESA vor. Untragbar, in mehr als einer Hinsicht.
"Das Fertigessen enthält zwar alle wichtigen Nährstoffe, aber manche davon, insbesondere Vitamine, sind nicht besonders gut lagerfähig. Wenn die Astronauten zusätzlich selbstgezogenes, frisch geerntetes Gemüse damit kombinierten, wäre das eine sehr gute Möglichkeit, sie mit allen wichtigen Nährstoffen zu versorgen und Mangelerscheinungen zu verhindern. Und dann ist da noch der psychologische Gewinn etwas Frisches, Knackiges zu essen."
Schlechtes Essen untergräbt die Moral
Gioia Massa ist Wissenschaftlerin im NASA-Programm zur Lebensmittelproduktion im All und weiß ganz genau: Schlechtes Essen untergräbt die Moral. Die ersten Raumfahrer mussten noch unappetitliche Pasten aus Tuben direkt in den Mund quetschen. Die Missionen dauerten damals nur einige Stunden, aber die Männer beschwerten sich bitterlich über die Verpflegung. Inzwischen werden Weltraummahlzeiten individuell nach Geschmack jedes einzelnen Crewmitgliedes vorgekocht. Für die Rezeptentwicklung kooperieren die Weltraumagenturen gelegentlich sogar mit Spitzenköchen. Ganz ohne Entbehrungen geht es trotzdem nicht.
"Das erste Programm, in dem es darum ging zu erforschen, wie man Raumstationen baut [die Leben im All ermöglichen], wurde von der Sowjetunion durchgeführt."
Weltraumhistoriker Robert Zimmermann:
"Dazu gehörte auch eine Serie von Pflanzenexperimenten. Das erste Ziel war es, die Pflanzen im All zu vermehren."
Bereits 1971, an Bord der allerersten Weltraumstation Saljut 1, pflanzten russische Kosmonauten Flachs. Die Samen keimten, die Sprösslinge starben.
"Sie haben das jahrelang versucht. Und mussten im Laufe der Zeit feststellen, dass es einfach sehr schwierig ist, Pflanzen im Weltraum zum Wachsen zu bekommen."
1980 berichteten die Kosmonauten nach ihrer Ankunft auf der Raumstation Saljut 6 in einer live-Übertragung ins russische Fernsehen, eine Gurke wäre in der verwaisten Pflanzkammer herangereift. Die Sensation entpuppte sich als Scherz: Einer der Männer hatte das Gemüse vom letzten Frühstück auf der Erde mitgebracht.
Echte Ernte gab es erst 1982 an Bord von Saljut-7. Eine Ackerschmalwand blühte und produzierte fruchtbare Samen. Der Beweis, dass Anbau und Vermehrung von Pflanzen jenseits der Erde möglich ist.
"Wenn es gelingt, die passenden Umweltbedingungen zu schaffen, wachsen Pflanzen im All tatsächlich ziemlich normal. Wasser, Licht, Nährstoffe und eine gesunde Umgebung sind der Schlüssel zum Erfolg. Auf der Erde richten Pflanzen ihr Wachstum nach der Schwerkraft aus, aber im All können sie auch andere Stimuli nutzen. Blaues Licht etwa lenkt das Wachstum des Sprosses. Das ist ziemlich faszinierend."
Essbares Gemüse, isoliert vom Rest der Raumstation
Wasser, Licht, Nährstoffe, gesunde Umgebung – im Weltall, unter Schwerelosigkeit und Strahlenbelastung, ist das alles ein Problem. Seit 2003 gelingt es russischen Kosmonauten, kleine Mengen essbares Gemüse zu produzieren: In einer geschlossenen Kammer, isoliert vom Rest der Raumstation.
Scott Kellys Salaternte ist dagegen die erste, bei der die Wissenschaftler sich getraut haben, auf weniger Kontrolle zu setzen, erklärt die zuständige NASA-Expertin Gioia Masssa:
"Wir benutzen die Atmosphäre, in der auch die Menschen leben und atmen. Die Luft dort oben ist voller Mikroorganismen, die von der Crew mitgebracht werden. Die verteilen sich überall. Es ist also ein guter Test auch für zukünftige Systeme: brauchen wir unbedingt getrennte Module für Pflanzen mit gereinigter Luft, oder können sie einfach bei der Crew wachsen."
Ein bisschen weniger Technik, ein bisschen mehr "back to the roots". Das ändert nichts daran, dass das Einfachste das Schwierigste bleibt: Gießen ist wissenschaftlichen Teamarbeit.
"Wasser und Luft mischen sich im All nicht so, wie sie es hier auf der Erde tun. Das macht Probleme und setzt die Pflanzen oft unter Stress, wenn sie zu viel oder zu wenig Wasser abbekommen."
Oberflächenspannung ist unter Schwerelosigkeit die bestimmende Kraft. Wasser wird klebrig und haftet an den Wurzeln statt abzufließen. Wieviel Flüssigkeit gerade richtig ist, muss für jeden Typ Pflanze neu bestimmt werden. Der kosmische Gemüseanbau gelingt immer besser. Aber Ernte ist noch lange nicht garantiert.
"Die höheren Pflanzen werden sicherlich irgendwann einmal eine wichtige Rolle spielen. Aber letztlich, wenn es darum geht den Mechanismus der Photosynthese für den Menschen nutzbar zu machen im Weltraum muss man sich erstmal überlegen, wie effizient können wir die eigentlich einsetzen. Und die Photosynthese wird eben nicht nur von höheren Pflanzen betrieben, sondern zum Beispiel auch von Mikroalgen. Und Mikroalgen sind eben doch wesentlich einfacher zu kultivieren."
Universität Stuttgart, Institut für Luft- und Raumfahrttechnik. Stefan Belz ist auf dem Weg ins Labor.
Ein großer Raum vollgestellt mit Technik. Kabel, Steckverbindungen, Lötkolben; man trägt Karohemd statt weißem Kittel – ein echtes Ingenieurslabor.
"Das sind unsere beiden Breadbords und die ganzen technischen Details kann dann der Herr Keppler erklären."
Grünalgen auf die ISS
Doktorand Jochen Keppler deutet auf einen Kasten, etwa so groß wie ein XL-Paket. Die Seiten sind mit schwarzer Isolation beklebt. Die Front wird von einer Plexiglasscheibe bedeckt. Dahinter noch mehr Technik, Steckverbindungen, Kabel. Auf den ersten Blick vermutet man es nicht, aber auch hier werden Pflanzen gezüchtet.
"Da werden unsere Mikroalgen kultiviert. Man kann es sich so vorstellen, dass dieser Teststand auf der Raumstation später einfach in einen Schrank reingeschoben werden kann und dann kann es losgehen."
Erst beim zweiten Hinsehen entdeckt man sie: Chlorella vulgaris. Einzellige Grünalgen. Sie schwimmen in einem mit Nährstofflösung gefüllten Mini-Aquarium, einem "Photobioreaktor". Eine Pumpe rührt um. Anfang nächsten Jahres sollen sie für sechs Monate auf die ISS fliegen. Es geht auch darum, ihr Potential zur langfristigen Versorgung von Raumfahrern mit Sauerstoff zu testen. Die Latte hängt hoch: denn technische Lösungen zur Aufbereitung von Atemluft gibt es bereits:
"Über Wasserelektrolyse kann man Sauerstoff erzeugen. Dabei fällt zusätzlich noch Wasserstoff an, dieser Wasserstoff kann dann noch für andere Prozesse verwendet werden, nämlich gerade bei der Rückgewinnung von Sauerstoff aus dem ausgeatmeten Kohlendioxid."
Dieser Kreislauf der so genannten physikochemischen Lebenserhaltungssysteme ist allerdings nicht komplett geschlossen. Sauerstoff wird nicht vollständig zurückgewonnen. Zusätzlich entsteht als kohlenstoffhaltiges Abfallprodukt Methan, eine wertvolle Ressource, die ungenutzt ins All entlassen wird. Beim Recycling durch pflanzliche Photosynthese würde das nicht passieren.
"Und genau hier setzt eigentlich auch der große Benefit des Photobioreaktors an, dass wir neben dem Beitrag zur Sauerstoffversorgung dann auch eben diesen Kohlenstoff zurückgewinnen in Form von Nahrung."
Chlorella vulgaris ist reich an Protein und Fett. Richtig aufbereitet könnten damit 30 Prozent des Nährstoffbedarfs gedeckt werden.
"Genau. Doch. Das sieht jetzt eigentlich sehr gut aus. Die beiden Spritzen sind jetzt direkt mit dem Experiment verbunden."
Stefan Belz hantiert mit einem Gerät, dessen Herzstück zwei ziemlich große Spritzen sind.
"Wir haben eine fast leere Spritze und eine gefüllte Spritze installiert, und wenn man jetzt …die Kurbel betätigt, dann treibt man auf der einen Seite die Flüssigkeit aus der vollen Spritze aus und zieht mit der leeren Spritze die Flüssigkeit aus dem System heraus."
In der Spritze schwappt grüne Brühe, in der man die Algen jetzt deutlich erkennen kann. In dem kleinen Testmodul werden pro Tag aus einem Gramm CO2 je etwa ein halbes Gramm Sauerstoff und Algenbiomasse gewonnen. Im All könnte die Bilanz ganz anders ausfallen. Viele Monate unter kosmischer Strahlung könnten die Algenkulturen verändern; ihr Wachstum einschränken oder ihre Photosynthese-Fähigkeit. Egal was passiert, eines ist schon jetzt klar:
"Also wenn man versucht jetzt ein Kilogramm CO2, was der Mensch am Tag ausatmet, umzusetzen, würde man eigentlich zu viel Biomasse erzeugen, das heißt die Astronauten könnten gar nicht so viel essen. Deshalb ist es eher klüger die Rechnung so aufzumachen: wieviel Biomasse bräuchten wir eigentlich am Tag und wenn man das dann runter rechnet, dann kommt man so auf zirka 180 Gramm Algenbiomasse die man pro Mensch erzeugen sollte."
"Ab einer Missionsdauer ohne Nachschub von etwa einem dreiviertel Jahr, dann lohnt sich der Einsatz von einem Photobioreaktor im Vergleich zu konventionellen Lebenserhaltungssystemen. Im Vergleich zu dem ganzen Nachschubbedarf, den man sonst so bräuchte."
Wasser und Dünger an Bord eines Raumschiffes
Egal ob Mikroalge oder Salat, auch Pflanzen leben nicht von Luft und Liebe. Was für die Versorgung der Astronauten eingespart werden könnte, müsste stattdessen für die Pflanzen geliefert werden: Wasser und Dünger. Und das, obwohl zumindest der Dünger an Bord jedes bemannten Raumschiffes theoretisch vorhanden wäre.
Astronaut Steven Swanson schwebt locker-lässig durch ein Video der NASA. Er zeigt sein Zuhause auf Zeit, die ISS.
"Hier haben wir das "WC", so heißt es tatsächlich, aber eigentlich ist es ein Plumpsklo."
Er greift nach einem Schlauch mit gelbem Trichter drauf.
"Zum Urinieren benutzt man das hier – warum sonst wäre es gelb –, da ist ein bisschen Unterdruck drauf. Luft und Urin werden im Inneren getrennt und der Urin wird dann zu Trinkwasser verarbeitet. Es ist ein ganz gutes System, das im Prinzip zuverlässig funktioniert. Wir hatten vor einiger Zeit ein paar Probleme damit, aber jetzt funktioniert wieder alles - zum Glück."
Recycling wird auf der ISS großgeschrieben. Bei dem was es kostet die Raumstation mit Nachschub zu versorgen ist ein Liter Wasser gut 16 Tausend Euro wert. Im Vergleich zu dem was biologische Kreisläufe auf der Erde leisten, geht aber immer noch viel verloren. Harnstoff, Kalium, Phosphat – für Pflanzen wertvolle Stickstoffverbindungen – werden als Abfall entsorgt
Am Deutschen Luft- und Raumfahrtinstitut in Köln erforscht Jens Hauslage, wie man Pflanzen mit dem ernähren kann, was Menschen im All übriglassen.
"Jeder spricht über Produzieren, über Nahrungsmittelproduktion, das und das und das müssen wir haben. Aber keiner denkt darüber nach: Wie kann man es recyceln? Wie kann man es in den Kreislauf wieder zurückbringen?"
Auf der Erde funktioniert das optimal im Komposthaufen: Boden plus Mikroorganismen. Erde mit in den Weltraum zu nehmen wäre aber keine gute Idee.
"Man kann Boden nicht kontrollieren. Ein bisschen mehr Feuchtigkeit, ein bisschen mehr Temperatur, dann steigt plötzlich der CO2 Anteil und so weiter und so fort. Das heißt, wir versuchen sozusagen, die Funktionalität des Bodens abzubilden in einem kontrollierten Lebensraum, dieser Röhre hier."
Der Biologe klopft gegen eines von zahlreichen Rohren, die ringsherum an den Wänden montiert sind. Graue Fallrohre aus PVC, darunter blaue Regentonnen. Keine Spur von komplizierter Weltraumtechnik.
"Und was darin passiert, ist nichts anderes, als dass eine Urinlösung mithilfe einer Pumpe über Lavagestein "getricklet" beziehungsweise gerieselt wird ‒ das sind Rieselfilter, die wir hier haben."
In seiner Reinform ist Urin kein Pflanzenfreund. Harnstoff, neben Wasser der wichtigste Bestandteil, wird schnell zu Ammoniak umgewandelt. Der ist ätzend und riecht auch so.
"Wir haben hier ein Experiment laufen mit 60, 80, 100 Prozent Urin, wir können ja gerne mal riechen Riecht eigentlich nach nichts, ne. Hier unten haben wir eine Kiste, da können wir mal schauen, verschiedenste Größen…"
Die porösen Lavasteine ersetzen den Boden und dienen als Unterkunft für verschiedene Bakterien. Die bauen den giftigen Ammoniak erst zu Nitrit ab und dann weiter zu Nitrat, das Pflanzen als Dünger dient. Eingezogen sind die Mikroorganismen durch einen Löffel ganz normaler Erde, die Jens Hauslage unter die Steine gemischt hat.
"Das tut's. Wir müssen diese Lebensräume schaffen, die gleich sind mit diesen funktionellen Räumen wie zum Beispiel der Boden auf der Erde. Um sie dann in geschlossenen Lebenserhaltungssystemen einsetzen zu können."
Geschlossene Stoffkreisläufe sind immer eine Herausforderung
Von Gülle bis Mettbrötchen haben die Rieselfilter schon alles Mögliche in Flüssig-Kompost verwandelt. Auf der Erde funktionieren sie einwandfrei und zuverlässig.
Ob sie es auch im Weltall tun wird sich bald zeigen. In einem Gemeinschaftsprojekt mit der Uni Erlangen und dem DLR in Bremen hat Jens Hauslage die Rieselfilter in ein Lebenserhaltungssystem für Tomaten integriert. An Bord eines Satelliten wird es 2018 in den Weltraum fliegen.
Kohlendioxid und Urin werden mitgeschickt. Für alles andere muss das geschlossene Lebenserhaltungssystem aus Pflanzen und Bakterien selber sorgen. Schiefgehen kann dabei jede Menge. Geschlossene Stoffkreisläufe sind immer eine Herausforderung. Selbst auf der Erde
26. September 1991. Vier Frauen und vier Männer winken fröhlich und betreten dann durch eine Luftschleuse eine 1,6 Hektar große Utopie: Biosphere 2, das Modell einer Marsstation in der Wüste Arizonas. Ein Ökosystem unter Glas. Es soll sich selbst erhalten ohne von außen Nachschub an Atemgasen, Nahrungsmitteln oder Wasser zu erhalten. Zwei Jahre sollen die Menschen darin leben. Nach 16 Monaten ist der Sauerstoff so knapp, dass die Luftschleusen geöffnet werden müssen, um das Leben der "Bionauten" nicht zu gefährden. Die Mikroorganismen produzieren beim Abbau der überreich vorhandenen organischen Abfälle mehr CO2 als das kleine Ökosystem wiederaufnehmen kann. Dadurch kippt letztlich die gesamte Atmosphäre.
Stoffrecycling ist ein ungelöstes Problem für die Raumfahrt mit dem auch Enrique Peiro jeden Tag beschäftigt ist.
"Das hier ist der Teil der Anlage, in dem die axenischen Module stehen. Man kann es wegen der Sonne gerade nicht gut sehen, aber hier links ist der Nitrifikationsreaktor."
Enrique Peiro zeigt durch eine Scheibe auf ein fünf Meter hohes Gebilde aus Glas, Rohren und Elektrik.
"Die Bakterien wachsen in einem Biofilm auf kleinen Stückchen aus Polyethylen. In der Mitte des Reaktors ist ein kleines Guckloch…"
Die Bakterien schimmern leicht rötlich aus dem Herz des Bioreaktors. Sie tun im Prinzip das gleiche wie Jens Hauslages Rieselfilter: Ammoniak zu Nitrat umsetzen. Die Kunststoffstückchen ersetzen die Lavasteine. Die Bakterien aber sind ausgewählte Spezialisten. Den Raum darf man nur mit Genehmigung und in spezieller Schutzkleidung betreten. Die Kultur soll auf keinen Fall verunreinigt werden.
Sortenreine Bakterienkulturen sind weniger stabil als solche die durch natürliche Selektion entstehen aber ihr Verhalten ist berechenbarer. Und genau darum geht es in diesem Experiment. Nichts soll dem Zufall überlassen sein.
"Die beste Art zu erklären, worum es beim Melissa-Projekt geht, ist folgende: der Versuch, ein geschlossenes Ökosystem zu entwickeln."
Melissa: Micro-Ecological Life Support System Alternative. Ein rein biologisches Lebenserhaltungssystem, das 100 Prozent der Sauerstoffversorgung abdeckt. Atemgase, Wasser, organische Abfälle – alles soll komplett recycelt und zur Lebensmittelproduktion wiederverwendet werden. Biosphere 2 als Raumschiff. Allerdings ohne unberechenbare Natur. Mit 100 Prozent kontrollierten biologischen Systemen. Das ist das große Ziel.
Ein Monster-Projekt der ESA, in dem mittlerweile 27 Jahre Forschungsarbeit stecken von 40 Arbeitsgruppen aus 13 Ländern. Fransesc Godia leitet an der Autonomen Universität Barcelona die Pilotanlage für das Raumschiff-Ökosystem.
"Stellen wir uns zum Beispiel einen See vor. Darin gibt es viele verschiedene Lebensgemeinschaften, die alle eine ganz bestimmte Funktion erfüllen. Die einen zersetzen Abfallstoffe. Die nächsten machen daraus Nährstoffe, die von Pflanzen aufgenommen werden können, um Sauerstoff zu produzieren, der dann von Tieren eingeatmet werden kann. In Melissa wird jede dieser spezifischen Funktionen von einem einzelnen Bioreaktor übernommen. Und dann geht es darum, die zusammenzuschließen und ins Gleichgewicht zu bringen."
Bisher ging es darum, jede Funktionseinheit genau zu modellieren, zu charakterisieren und einzeln zu testen: Drei verschiedene Bakteriengemeinschaften, die unterschiedliche Schritte des Abfallrecyclings übernehmen. Den Bioreaktor mit Algen. Ein Containergroßes Gewächshaus für Gemüse. Erst jetzt fangen die Wissenschaftler an, Systeme miteinander zu verbinden und den Kreislauf zu schließen.
Enrique Peiro, Technischer Leiter der Anlage, öffnet die Tür zum größten der vier Labore, über die die insgesamt sechs Module verteilt stehen.
"Das hier ist das Crew-Kompartiment. In unserem Fall ist das eine Gruppe von Ratten, als Stellvertreter für einen Menschen, aber ersetzt durch Ratten."
Testphase wird noch Jahrzehnte dauern
Durch Fenster kann man ins Innere gucken: leere Käfige und verpackte Einstreu. Die "Crew" zieht immer nur dann ein, wenn sie wirklich gebraucht wird.
Durch eine Glasscheibe kann man ein Labor weiter die sortenreine Algenkultur in einem mannshohen Bioreaktor grün schimmern sehen.
"Wir haben hier zwei Rohre, über die das Tier-Kompartiment mit dem der Mikroalgen verbunden werden kann. Gerade im Moment machen wir das nicht. Aber 2016 haben wir das getestet."
"Das war das erste Mal, dass wir Ratten als Crew im Kompartiment hatten. Und das war sehr interessant. Wir konnten zeigen, dass unser Kontrollsystem für den Algenbioreaktor über die Beleuchtungsstärke die Sauerstoffproduktion wirklich ganz genau an den Bedarf der Ratten anpassen konnte."
Für Fransesc Godia ein Meilenstein auf einem immer noch weiten Weg. Derzeit wird das Zusammenspiel zwischen Mikroalgen und den Dünger herstellenden Bakterien getestet.
In zwei Jahren sollen dann alle drei Systeme, Algen, Tiere und nitrifizierende Bakterien, miteinander gekoppelt werden. Bis das komplette Ökosystem getestet werden kann, wird es noch einige Jahre dauern. Bis alles flugfähig, All-geprüft und für eine komplette Mannschaft hochskaliert ist, vielleicht Jahrzehnte. Zu lange für eine Marsmission?
"Das ist eine gute Frage. Aber der Punkt ist: wann wird die Mission stattfinden?"
Rein rechnerisch bietet sich das Jahr 2033 an. Dann werden Mars und Erde besonders nahe zueinanderstehen. Eine Gelegenheit, auf die Entdeckungsreisende sonst wieder 15 Jahre warten müssten.
"Ich denke in den nächsten 50 Jahren werden Pflanzen noch keine große Rolle spielen. Aber die Erforschung des Weltraums wird sehr schnell voranschreiten."
Das Transportproblem könnte schneller zu lösen sein, als das der biologischen Lebenserhaltung. Das private Raumfahrtunternehmen SpaceX steht kurz davor, eine Rakete mit 63 Tonnen Tragkraft zu starten. Das wäre fast die Hälfte des Gewichts der Ladung, die für eine Marsmission kalkuliert wird.
"Aber dann, wenn wir die Planeten besiedeln und zwischen ihnen reisen wollen, dann werden wir Pflanzen mitnehmen müssen um zu essen und zu atmen. Insofern dürfen wir die dafür nötige Entwicklung nicht vernachlässigen. Wir werden wissen müssen, wie das geht. Das ist einfach so."
Im Forschungsmodul der Internationalen Raumstation sind Scott Kelly und seine Kollegen dabei, ihre Salatmahlzeit zu beenden.
Ein paar Blätter haben sie für ihre russischen Kollegen aufbewahrt, die gerade auf einem Weltraumspaziergang sind. Der Rest und die abgeernteten Wurzeln müssen in Plastiktüten verpackt und tiefgefroren werden. Wissenschaftliche Proben für Gioia Massa und ihr Team auf der Erde.
"Man kann nicht rausgehen. Man ist weit weg von zuhause. Vielleicht kann man die Erde aus dem Fenster sehen, aber man kann nicht die Natur erleben. Viele Leute vermissen das sehr. Und wenn man so ein kleines Stück Erde bei sich hat, dann ist das besonders auf einer weiten Reise wie zum Mars, wo man die Erde noch nicht mal sehen kann, wirklich sehr wichtig."