Von außen sieht Europas Tor zum Weltraum ziemlich unspektakulär aus. Ein Gewerbe- und Büroareal am westlichen Stadtrand von Darmstadt - die Auffahrt zur A 5 Richtung Frankfurt am Main und Basel ist nicht weit. Ein kleines Empfangsgebäude, in dem man seinen Ausweis abgeben muss. Dann geht es durch eine Drehtür. Auch die Bauten im Inneren des Geländes der ESOC sind schlichte, mehrstöckige Bürogebäude. ESOC ist die Abkürzung von "European Space Operations Center". Rund 800 Menschen arbeiten hier. Paolo Ferri ist einer von ihnen. Bevor er das Fenster in seinem Büro schließt, schimpft er noch ein wenig über die Laubbläser auf dem Gelände, die ihn bei der Konzentration stören. Dabei braucht Paolo Ferri gerade jetzt gute Nerven. Denn der Italiener ist verantwortlich dafür, dass erstmals in der Geschichte der Menschheit ein auf der Erde gebautes Gerät auf der Oberfläche eines Kometen landen soll:
"Schon seit zwei Monaten wissen wir, dass es auf dem Kometen keinen schönen Landeplatz gibt. Keine Landebahn. Wir haben jetzt in den letzten Wochen Bilder mit höherer Auflösung, die zeigen, dass in diesem Bereich, wo wir landen sollen, es nicht nur schöne Plätze gibt, die flach sind, sondern dort gibt es auch viele Felsen und Wände – Steinwände. Also es ist wirklich nicht so einfach. Und auch, wo es flach ist, ist viel Staub. Also wir wissen wirklich nicht, was auf dieser Oberfläche ist und was wir treffen werden."
Kühlschrank-großes Landegerät
Obwohl so vieles noch unklar ist - die Anspannung ist Paolo Ferri kaum anzumerken. Der an der Universität Pavia ausgebildete Physiker ist jedoch froh, dass die Raumsonde Rosetta seit Tagen in 30 Kilometern Höhe in einer stabilen Umlaufbahn um den Kometen "Tschuri" fliegt. Das Kühlschrank-große Landegerät, das von Rosetta aus auf der Oberfläche des felsigen Himmelskörpers platziert werden soll, muss sich im Kometenboden festkrallen, um bei geringer Schwerkraft nicht sofort wieder los zu schweben. Ob das für heute am frühen Abend geplante Anker-Manöver mit einer Befestigungs-Harpune gelingt, ist völlig unklar, so Paolo Ferri:
"Und wir wissen nicht, ist die Oberfläche völlig hart und geht die Harpune nicht durch oder ist sie zu weich. Das kann man noch nicht sagen, aber wir werden das bald rausfinden."
Das riskante Landemanöver wird auch dadurch erschwert, dass das rund 200 Million Euro teure Landegerät nicht sehr gut gesteuert werden kann. Das erklärt Gerhard Schwehm, der fast drei Jahrzehnte lang bei der ESOC mit dem Rosetta-Projekt beschäftigt war, bevor er unlängst in Pension ging:
"Der Lander kann ja nicht voll gesteuert werden, das ist eigentlich ein passives Ereignis in dem Sinn. Der Lander, wenn man das so ganz naiv sagt, wird rausgeschubst und dann muss er runterfallen und auf den drei Beinchen aufkommen. Und das hört sich einfach an und ist natürlich ziemlich komplex und es muss alles gut zusammenpassen."
"Wenn es schief geht, lernen wir auch daraus"
Wenn das Landemanöver gelingen sollte, könnten die Messinstrumente, die das Landegerät mit sich führt, noch einmal etwa 20 Prozent zu den Gesamtergebnissen beisteuern, die die Rosetta-Mission bisher geliefert hat. Ob nur wenige Stunden lang oder einige Tage – wie lange genau dann Messwerte erstmals in der Menschheitsgeschichte von einem Kometenboden an die Erde übermittelt werden können, ist ebenfalls völlig offen. ESOC-Wissenschaftler Paolo Ferri fühlt sich aber durch die zehn Jahre ermutigt, die die Raumsonde Rosetta jetzt schon im All unterwegs ist:
"Wenn es schief geht, lernen wir auch daraus. Ein Fehler ist nicht immer ein Misserfolg, wenn man was daraus lernt."
Obwohl jetzt schon klar ist, dass die Oberfläche des Kometen "Tschuri" nicht besonders einladend ist, glaubt Paolo Ferri, dass die "Rosetta-Mission" einen Traum durchaus weiterleben lässt. Den Traum nämlich, dass irgendwann auch mal ein Mensch auf einem Kometen landet und mit ihm durch das Weltall gleitet:
"Als ich das zum ersten Mal gesehen habe, war meine erste Reaktion: Ich will dahin. Und warum sollte man eigentlich ausschließen - die Erforschung von Asteroiden und Kometen ist nicht nur sehr interessant für die Wissenschaft, sondern auch für die Zukunft der Menschheit. Die sind eine Gefahr, diese Objekte. Und je mehr wir über diese Objekte wissen, desto mehr können wir gegen sie unternehmen, in den künftigen Jahrhunderten, hoffe ich. Deswegen würde ich nicht ausschließen, dass irgendwann Menschen auch auf einem Kometen landen. Natürlich wird es ganz anders sein als auf einem Planeten. Aber sehr, sehr aufregend."
Der langjährige Rosetta-Flugmanager Gerhard Schwehm drückt jetzt erst mal die Daumen, dass das unbemannte Landemanöver auf dem Kometen klappt.
"Wir haben das Beste versucht, aber die Wirklichkeit kommt jetzt erst, wenn wir auf dem Kometen sitzen."