Jetzt trägt das aktuelle Album des 30-jährigen Sängers den Titel "Opium" und provoziert mit französischen Liedern der Belle Epoque (s)eine betörende Wirkung. In unbedenklichen, weil akustischen Dosen lädt Sie Julia Schölzel an diesem Sonntagmorgen ein in diese Welt des sanften Ausnahmezustands. "Traum eines verloschenen Glücks, rauschhafte Abende, ihr ruht im Vergessen" so beschwört Pierre Lorys in seiner Elegie dieses Lebensgefühl, Jules Massenet hat die verklärten Erinnerungen in morbide Farbtöne getränkt und schwerelos, zeitlos, ja traumverloren schwebt Philippe Jaroussky, begleitet von dem Pianisten Jérôme Ducros und dem Cellisten Gautier Capuçon, durch surreale Zwischenräume.
Introvertiert stimmt Jaroussky diese Elegie von Massenet an, sodass man ihm ganz nahe ist. In seinen lang entwickelten Phrasen spürt man das Seufzen und Sehnen und das dem Vergangenen Nachhängen, Befindlichkeiten einer Zeit, in der die feinsinnige psychologische Nabelschau und das Erforschen des Unbewussten en vogue war. 24 französische Melodien einer glanzvollen Epoche hat Jaroussky gemeinsam mit dem Pianisten Jérôme Ducros für diese Virgin Classics Produktion zusammengetragen, süßlich-melancholische Schmuckstücke, die Komponisten wie Cécile Chaminade, Reynaldo Hahn, Ernest Chausson, Gabriel Fauré und Camille Saint-Saens in das ambivalent schimmernde Flair des Fin de Siècle getunkt haben.
Für Jaroussky selbst ist dieses Repertoire eine absolute Entdeckung und ebenso eine absolute Ausnahme, denn 20 Einspielungen zählt bisher seine Diskographie, doch darunter befindet sich ausschließlich für seine Stimmlage taugliches Barockrepertoire. Dass der stimmlich geschmeidige Countertenor noch ganz andere, wunderbar schräge Töne anstimmen kann, konnte man auf seiner aktuellen CD "Teatro d'Amore" mit Christina Pluhar und deren Ensemble Arpeggiata bestaunen. Wie ein stilistisches Chamäleon fügte Jaroussky zu Monteverdis Barockostinati improvisierte Jazzskalen: Puristen mochten erschrecken, amüsierte Hörer entspannt mitwippen.
Entspannt ist nun die Stimmung dieses Albums Opium wahrlich nicht: eher etwas schwül, elegisch parfümiert, vielleicht auch artifiziell gespreizt. Keines dieser Lieder ist für die damals nahezu ausgestorbene Spezies des Countertenors geschrieben, doch Jaroussky möchte bewusst musikalisches Neuland für sich gewinnen und flattert jetzt im akustischen Maßanzug durch diesen künstlichen Mikrokosmos: Elegant, mühelos und selbst einem artifiziellen Wesen gleich scheint er nicht fassbar zu sein in einer Welt, die immer nur um sich selbst kreist: Tournoiement "Songe d'opium" (Der kreisende Opiumtraum) heißt nahezu beängstigend Camille Saint-Saens' Vertonung eines Gedichts von Armand Renaud, beängstigend deshalb, weil schon in den ersten Takten klar wird, dass es hier um das bewusst inszenierte Risiko des Realitätsverlusts geht, es wird gespielt zwischen Schein und Sein.
"Ohne irgendwo zu verweilen drehe ich mich, drehe ich mich auf der Spitze der großen Zehe wie ein verwelktes Blatt. Wie in dem Augenblicke, wenn man scheidet, ziehen vor meinen verwirrten Augen vorüber die Erde, der Ozean, der Luftraum, und werfen das gleiche Licht zurück."
Wie mitten im Drehen angehalten, das flüchtige Ende des Opiumtraums, des "Songe d'opium" von Camille Saint-Saens. Die makellos schöne Stimme Jarousskys wird hier zum betörenden Rauschmittel, seine Anmut und sein eindringliches Timbre klingen rätselhaft noch lange in unseren Ohren nach.
Die poetische Ausstrahlung dieser CD ist auch dem Pianisten Jérôme Ducros zu verdanken. Wie bewundernswert, mit welchem Zeitgefühl er die musikalischen Bögen an- und abschwellen lässt. Mit den Klangfarben seines Flügels spielt er wie mit Lichtstimmungen, die sich übereinander blenden. Noch vor Jarousskys erstem Ton hat Ducros bereits schmerzhaft schöne Minidramen intoniert und so eine Art roten Teppich ausgerollt, auf dem er den Sänger diskret abholt, und doch immer mehr ist als ein persönlicher Begleitservice.
Auch mit der Auswahl des Flötisten Emanuel Pahud, des Geigers Renaud Capuçon und des Cellisten Gautier Capuçon hat Jaroussky einen Rundumschlag in der französischen Starriege der klassischen Musik gemacht: Pahud und die Brüder Capuçon sind die Vorreiter einer jüngeren Musikergeneration, die scheinbar fast alles überzeugend darbieten können: von Monteverdi bis Lachenmann, und das als Solisten wie auch als Kammermusikpartner. In dieser Aufnahme zeigen sie sich als kongeniale Partner, die gerade die zerbrechliche Vergänglichkeit dieser filigranen Kunstobjekte aufschimmern lassen. Interessant ist, dass die Komponisten und die Dichter, die die fünf Musiker auf ihrer CD präsentieren, damals ungefähr im selben Alter waren wie die Interpreten heute.
Sie wollten die menschliche Seele unverstellt von den pompösen Kulissen der Belle Epoque in all ihren Facetten aushorchen. Hinter der sinnlichen Hörerfahrung von Vers und Musik steht ganz konkret die Frage: wie ist der Mensch beschaffen? Was macht ihn aus? Der Komponist André Caplet anwortet mit Victor Hugos Poème "Viens, une flute invisible soupire" (Komm eine unsichtbare Flöte): der Mensch ist auf jeden Fall ein durch und durch liebendes Geschöpf.
Hinter diesen ätherischen Klängen von André Caplet wird man kaum vermuten, dass ziemlich eindeutig zum Beischlaf aufgefordert wird. Nicht nur der große französische Literat Victor Hugo zog dezent schimmernde Gazéschleier über seine erotischen Andeutungen, wie es die Zeit gebot. Generell kaschierte man das Eigentliche hinter raffinierten Sprachsymbolen, und so flirren täuschende Doppeldeutigkeiten durch alle 24 "Mélodies françaises" des neuen Albums von Philippe Jaroussky. Ganz so harmlos wie die Interpretationen daher scheinen, sind sie längst nicht. Jaroussky durchschaut das trügerische Spiel und setzt kokett die hochmusikalische Unschuldsmiene auf.
Der Druck der französischen Originale und deutsche wie englische Übersetzungen im Booklet machen es indes leicht, den literarischen wie musikalischen Hintersinn aufzudecken. Ein Vorwort des Sängers rundet den wissenschaftlichen Exkurs von Christophe Ghristi über die musikalischen Gepflogenheiten des Fin de Siècle ab. Die CD "Opium", erschienen im Label Virgin Classics, glänzt als ein äußerst individuelles Schmuckstück im reichen Plattenschatz des jungen französischen Countertenors Philippe Jaroussky. Begleitet von dem Pianisten Jérôme Ducros hebt er sich weit ab vom barocken Universalrauschen seiner Stimmkollegen. Ein musikalischer Ausnahmezustand, nach dem man süchtig werden kann, meint Julia Schölzel.
CD-Titel "Opium - Mélodies françaises"
Philippe Jaroussky, Countertenor
Jérôme Ducros, Klavier
mit Emanuel Pahud, Flöte, Renaud Capuçon, Violine und Gautier Capuçon, Violoncello
(Virgin Classics 509992166212 6; LC 06646)
Introvertiert stimmt Jaroussky diese Elegie von Massenet an, sodass man ihm ganz nahe ist. In seinen lang entwickelten Phrasen spürt man das Seufzen und Sehnen und das dem Vergangenen Nachhängen, Befindlichkeiten einer Zeit, in der die feinsinnige psychologische Nabelschau und das Erforschen des Unbewussten en vogue war. 24 französische Melodien einer glanzvollen Epoche hat Jaroussky gemeinsam mit dem Pianisten Jérôme Ducros für diese Virgin Classics Produktion zusammengetragen, süßlich-melancholische Schmuckstücke, die Komponisten wie Cécile Chaminade, Reynaldo Hahn, Ernest Chausson, Gabriel Fauré und Camille Saint-Saens in das ambivalent schimmernde Flair des Fin de Siècle getunkt haben.
Für Jaroussky selbst ist dieses Repertoire eine absolute Entdeckung und ebenso eine absolute Ausnahme, denn 20 Einspielungen zählt bisher seine Diskographie, doch darunter befindet sich ausschließlich für seine Stimmlage taugliches Barockrepertoire. Dass der stimmlich geschmeidige Countertenor noch ganz andere, wunderbar schräge Töne anstimmen kann, konnte man auf seiner aktuellen CD "Teatro d'Amore" mit Christina Pluhar und deren Ensemble Arpeggiata bestaunen. Wie ein stilistisches Chamäleon fügte Jaroussky zu Monteverdis Barockostinati improvisierte Jazzskalen: Puristen mochten erschrecken, amüsierte Hörer entspannt mitwippen.
Entspannt ist nun die Stimmung dieses Albums Opium wahrlich nicht: eher etwas schwül, elegisch parfümiert, vielleicht auch artifiziell gespreizt. Keines dieser Lieder ist für die damals nahezu ausgestorbene Spezies des Countertenors geschrieben, doch Jaroussky möchte bewusst musikalisches Neuland für sich gewinnen und flattert jetzt im akustischen Maßanzug durch diesen künstlichen Mikrokosmos: Elegant, mühelos und selbst einem artifiziellen Wesen gleich scheint er nicht fassbar zu sein in einer Welt, die immer nur um sich selbst kreist: Tournoiement "Songe d'opium" (Der kreisende Opiumtraum) heißt nahezu beängstigend Camille Saint-Saens' Vertonung eines Gedichts von Armand Renaud, beängstigend deshalb, weil schon in den ersten Takten klar wird, dass es hier um das bewusst inszenierte Risiko des Realitätsverlusts geht, es wird gespielt zwischen Schein und Sein.
"Ohne irgendwo zu verweilen drehe ich mich, drehe ich mich auf der Spitze der großen Zehe wie ein verwelktes Blatt. Wie in dem Augenblicke, wenn man scheidet, ziehen vor meinen verwirrten Augen vorüber die Erde, der Ozean, der Luftraum, und werfen das gleiche Licht zurück."
Wie mitten im Drehen angehalten, das flüchtige Ende des Opiumtraums, des "Songe d'opium" von Camille Saint-Saens. Die makellos schöne Stimme Jarousskys wird hier zum betörenden Rauschmittel, seine Anmut und sein eindringliches Timbre klingen rätselhaft noch lange in unseren Ohren nach.
Die poetische Ausstrahlung dieser CD ist auch dem Pianisten Jérôme Ducros zu verdanken. Wie bewundernswert, mit welchem Zeitgefühl er die musikalischen Bögen an- und abschwellen lässt. Mit den Klangfarben seines Flügels spielt er wie mit Lichtstimmungen, die sich übereinander blenden. Noch vor Jarousskys erstem Ton hat Ducros bereits schmerzhaft schöne Minidramen intoniert und so eine Art roten Teppich ausgerollt, auf dem er den Sänger diskret abholt, und doch immer mehr ist als ein persönlicher Begleitservice.
Auch mit der Auswahl des Flötisten Emanuel Pahud, des Geigers Renaud Capuçon und des Cellisten Gautier Capuçon hat Jaroussky einen Rundumschlag in der französischen Starriege der klassischen Musik gemacht: Pahud und die Brüder Capuçon sind die Vorreiter einer jüngeren Musikergeneration, die scheinbar fast alles überzeugend darbieten können: von Monteverdi bis Lachenmann, und das als Solisten wie auch als Kammermusikpartner. In dieser Aufnahme zeigen sie sich als kongeniale Partner, die gerade die zerbrechliche Vergänglichkeit dieser filigranen Kunstobjekte aufschimmern lassen. Interessant ist, dass die Komponisten und die Dichter, die die fünf Musiker auf ihrer CD präsentieren, damals ungefähr im selben Alter waren wie die Interpreten heute.
Sie wollten die menschliche Seele unverstellt von den pompösen Kulissen der Belle Epoque in all ihren Facetten aushorchen. Hinter der sinnlichen Hörerfahrung von Vers und Musik steht ganz konkret die Frage: wie ist der Mensch beschaffen? Was macht ihn aus? Der Komponist André Caplet anwortet mit Victor Hugos Poème "Viens, une flute invisible soupire" (Komm eine unsichtbare Flöte): der Mensch ist auf jeden Fall ein durch und durch liebendes Geschöpf.
Hinter diesen ätherischen Klängen von André Caplet wird man kaum vermuten, dass ziemlich eindeutig zum Beischlaf aufgefordert wird. Nicht nur der große französische Literat Victor Hugo zog dezent schimmernde Gazéschleier über seine erotischen Andeutungen, wie es die Zeit gebot. Generell kaschierte man das Eigentliche hinter raffinierten Sprachsymbolen, und so flirren täuschende Doppeldeutigkeiten durch alle 24 "Mélodies françaises" des neuen Albums von Philippe Jaroussky. Ganz so harmlos wie die Interpretationen daher scheinen, sind sie längst nicht. Jaroussky durchschaut das trügerische Spiel und setzt kokett die hochmusikalische Unschuldsmiene auf.
Der Druck der französischen Originale und deutsche wie englische Übersetzungen im Booklet machen es indes leicht, den literarischen wie musikalischen Hintersinn aufzudecken. Ein Vorwort des Sängers rundet den wissenschaftlichen Exkurs von Christophe Ghristi über die musikalischen Gepflogenheiten des Fin de Siècle ab. Die CD "Opium", erschienen im Label Virgin Classics, glänzt als ein äußerst individuelles Schmuckstück im reichen Plattenschatz des jungen französischen Countertenors Philippe Jaroussky. Begleitet von dem Pianisten Jérôme Ducros hebt er sich weit ab vom barocken Universalrauschen seiner Stimmkollegen. Ein musikalischer Ausnahmezustand, nach dem man süchtig werden kann, meint Julia Schölzel.
CD-Titel "Opium - Mélodies françaises"
Philippe Jaroussky, Countertenor
Jérôme Ducros, Klavier
mit Emanuel Pahud, Flöte, Renaud Capuçon, Violine und Gautier Capuçon, Violoncello
(Virgin Classics 509992166212 6; LC 06646)