Philipp May: Am Telefon ist jetzt Margherita Bettoni, investigative Journalistin mit dem Schwerpunkt Mafia. Schönen guten Abend!
Margherita Bettoni: Guten Abend.
May: Frau Bettoni, war das ein schwerer Schlag gegen die ’Ndrangheta, oder doch nur ein Kratzer?
Bettoni: Es war auf jeden Fall ein Schlag, würde ich sagen – in dem Sinne: Es ist immer gut, wenn Leute verhaftet werden, die mutmaßlich der kalabrischen Mafia angehören. Und es war in dem Sinne auch ein wichtiger Schlag, weil er koordiniert wurde auf europäischer Ebene und deswegen gleichzeitig in mehreren Ländern Leute traf. Aber von einem wichtigen Schlag zu sprechen, ist immer schwierig, weil die kalabrische Mafia auch natürlich streng strukturiert ist.
May: Mit anderen Worten: Da sind vor allen Dingen die kleinen Fische jetzt nur gefangen worden. An die richtig großen ist man da nicht herangekommen?
Bettoni: Das würde ich so nicht sagen, weil einige der Leute, die heute verhaftet worden sind, gehören schon eigentlich zu wichtigen Figuren innerhalb der ´Ndrangheta. Die Tatsache ist aber, dass es so viele Clans gibt, und das ist auf jeden Fall jetzt ein Verfahren, das einen Clan oder mehrere Clans geschwächt hat, aber es hat nicht die gesamte ´Ndrangheta, wenn man so will, an sich geschwächt. Aber wie gesagt, jede Verhaftung ist natürlich wichtig. Aber da bleibt noch viel zu tun.
"Der ´Ndrangheta steht ein unglaubliches Vermögen zur Verfügung"
May: Offensichtlich gerade in Deutschland bleibt viel zu tun. Wir haben es heute gehört. Offensichtlich ist die ’Ndrangheta auch in Deutschland sehr aktiv. Welche Rolle spielt sie denn in Deutschland, die Mafia beziehungsweise vor allen Dingen die ´Ndrangheta?
Bettoni: Die ´Ndrangheta ist nicht nur in Deutschland, sondern weltweit eigentlich die stärkste italienische Mafia-Gruppierung und wahrscheinlich auch die stärkste kriminelle Gruppierung überhaupt, weil sie unter anderem in Deutschland, aber wirklich weltweit den Kokain-Handel kontrolliert, so dass die ´Ndrangheta einfach ein unglaubliches Vermögen zur Verfügung hat.
May: Können Sie mal Zahlen nennen, wieviel ungefähr?
Bettoni: Es ist immer schwierig, weil es sich um Dunkelziffern handelt. Ich kann Zahlen nennen, was die Mitglieder zum Beispiel angeht hier in Deutschland, weil da gibt es auch zum Beispiel Unterschiede. Es gibt einmal die offiziellen Zahlen. Das BKA geht von 590 mutmaßlichen Mafia-Mitgliedern in Deutschland aus. Die Mehrheit von ihnen gehören der kalabrischen ´Ndrangheta an. Das sollen 353, um genau zu sein, sein. Die Staatsanwaltschaft, die höchste Instanz in der Bekämpfung der ´Ndrangheta in Italien, spricht von 60 ´Ndrangheta-Lokalen in Deutschland. Ein Lokal ist eine Mafia-Zelle, die, um überhaupt zu existieren, 49 Mitglieder braucht. Wenn man 49 mal 60 macht, kommt man auf rund 3000 Mitglieder. Das sind deutlich mehr, als die aktenkundigen Mafiosi sein sollten. Das einfach, um einen Überblick in den Unterschieden der Zahlen, die man da nennen kann, darzustellen.
"Deutschland ist ein beliebtes Land für Geldwäsche"
May: Okay. Welche Rolle beziehungsweise wie wichtig ist Deutschland für die ´Ndrangheta als Geschäftsfeld?
Bettoni: Deutschland ist auf jeden Fall ein wichtiges Land, nicht nur für die ´Ndrangheta, auch für andere Mafia-Gruppierungen. Deutschland hat einige Besonderheiten. Es handelt sich um ein Land, das eine stabile Volkswirtschaft hat, das mitten in Europa liegt, das top Infrastrukturen hat, und dazu auch noch viel Bargeld im Umlauf hat. Es bietet auch überragende Möglichkeiten, Geld zu investieren. Es gibt hier Spielhallen, es gibt Kfz-Handel, es gibt Restaurant- und Gastronomiebetriebe und weitere Betriebe. Dementsprechend ist Deutschland auch ein beliebtes Land, wo Kriminelle, unter anderem die ´Ndrangheta ihr Geld waschen, auch weil tatsächlich es ein bisschen Probleme gibt bei der Strafverfolgung von Geldwäsche hierzulande.
"Das Phänomen wurde unterschätzt"
May: Das hat ja auch der italienische Anti-Mafia-Ermittler bei der Pressekonferenz heute in Den Haag sinngemäß angedeutet. Da hat er gesagt, die ´Ndrangheta ist unter anderem deshalb auch in Deutschland so präsent, weil sie hier leichter arbeiten kann als in Italien. Heißt das, man hat das Problem zu lange nicht richtig ernst genommen?
Bettoni: Ja, ich glaube schon. Man wird jetzt langsam mit der Zeit bewusster, dass die Mafia, auch die verschiedenen Mafia-Gruppierungen auch in Deutschland ein Problem sind. Aber ich glaube, das Phänomen wurde tatsächlich lange unterschätzt. Das ist vielleicht auch dem Image, das die italienische Mafia hier in Deutschland hat, geschuldet, weil manchmal denkt man, ein Mafioso sei einfach der nette Pizzabäcker um die Ecke, der quasi im Hinterraum ab und an mal ein bisschen Drogen schmuggelt. Das ist nicht so. Ich glaube, man hat hierzulande sehr lange das Problem tatsächlich unterschätzt.
May: Hat denn mittlerweile ein Umdenken stattgefunden?
Bettoni: Es hat ein Umdenken ein bisschen stattgefunden. Letztes Jahr gab es einige wichtige Gesetzesänderungen, zum Beispiel die Neufassung des Paragrafen der kriminellen Vereinigung oder eine Reform der Vermögensabschöpfung. Es wurden schon einige Schritte unternommen, die in die richtige Richtung gehen und die auch zeigen, dass man das Problem Mafia in Deutschland erkannt hat. Aber es könnte immer noch mehr stattfinden. Deutschland braucht zum Beispiel einen Mafia-Paragrafen, so etwas, was es auch in Italien gibt, die Tatsache, dass man schon eine Straftat begeht, indem man der Mafia angehört, auch wenn man daneben keine weitere Straftat begeht. Das wäre zum Beispiel wichtig. Es kann immer noch mehr gemacht werden, auf jeden Fall.
"Tatsächlichen Strukturen der ´Ndrangheta in Deutschland enthüllen"
May: Aber dennoch: Auch wenn einiges im Argen liegt, zeigen nicht solche konzertierten Polizeiaktionen, europäisch koordiniert, wie wir sie heute gesehen haben, dass man insgesamt auf dem richtigen Weg ist im Kampf gegen die Mafia?
Bettoni: Ich glaube, mehr Verhaftungen sind immer gut, und deswegen ist jede Operation, darum ist jedes Verfahren vor allem [solche] von heute willkommen, vor allem, wenn mehrere europäische Länder kooperieren, weil das heißt, auch diese europäischen Länder setzen eigentlich die Priorität auf die Mafia-Bekämpfung, und das ist sehr wichtig und nicht selbstverständlich. Was, glaube ich, noch wichtiger wäre, dass es zum Beispiel mehr Ermittlungsverfahren in Deutschland gäbe, die nicht nur darauf zielen, Leute festzunehmen, sondern auch mehr darauf zielen, die tatsächlichen Strukturen etwa der ´Ndrangheta in Deutschland zu enthüllen. Wir wissen immer noch viel zu wenig über die Strukturen der kalabrischen Mafia hier in Deutschland, wie sie aufgebaut ist. Man geht davon aus, dass sie ähnlich aufgebaut sei wie in Italien, aber das weiß man tatsächlich nicht. Wüsste man das, könnte man auch gezielter dagegen vorgehen.
May: Das heißt, wir brauchen hier mehr verdeckte Ermittler?
Bettoni: Genau! Und man braucht auf jeden Fall noch mehr Kräfte, die sich mit dem Phänomen Mafia beschäftigen.
May: … sagt Margherita Bettoni, investigative Journalistin mit dem Schwerpunkt Mafia. Frau Bettoni, vielen Dank für das Gespräch.
Bettoni: Danke auch.
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