Die Sperrfrist endete um 7.30 Uhr. Seitdem berichten sämtliche deutsche Nachrichtenmedien über die „Großrazzia im Reichsbürgermilieu“, so etwa der Titel eines Beitrags, den der WDR produziert hat. Die größte ARD-Anstalt gehört neben dem NDR und der „Süddeutschen Zeitung“ (SZ) zu dem Rechercheverbund, der pünktlich zum Ende der Sperrfrist mit zahlreichen Beiträgen die Aktion der Generalbundesanwaltschaft begleitet.
Ob in längeren Hintergründen („Der Prinz, der Putsch und der Pöbel“, SZ) oder in „exklusiven“ Berichten („Razzia wegen geplanten Staatsstreichs“, tagesschau.de) – die beteiligten Medien präsentieren auf verschiedenen Wegen ihre Recherchen. Und auch andere warten mit eigenen Informationen auf, bilden das Thema prominent ab oder drehen es inhaltlich weiter.
Politikerin Renner: Gefahr für Ermittlungen
Wirklich überraschend kam die Meldung offenbar für die wenigsten Redaktionen. Das ist auch der Eindruck von Medienkritiker Stefan Niggemeier. „Das ist aus Lesersicht ja ganz praktisch, aber für den Fahndungserfolg vielleicht doch problematisch?“, fragt der Gründer des Portals Übermedien auf Twitter. Wo er dann auch als Beleg für seine These auf die Bundestagsabgeordnete Martina Renner (Die Linke) verweist.
Renner schreibt, die Razzia sei seit mindestens einer Woche ein offenes Geheimnis gewesen. Und weiter: „Wenn ein Ministerium oder eine Behörde dafür sorgt, dass eine Woche vorher sogar die Adressen der Razzien bei der Presse bekannt sind, ist es schwer vorstellbar, dass niemand der Durchsuchten Bescheid wusste. Die Telegram-Nachricht eines Beschuldigten bestätigt dies.“ Ein solches Vorgehen gefährde den Erfolg der Ermittlungen, kritisiert die Politikerin.
„Sind Medien bereits über den genauen Termin einer Razzia informiert, kann das problematisch sein“, sagt der Mainzer Journalistik-Professor Tanjev Schultz. Der Fall von Klaus Zumwinkel sei hierfür ein Beispiel gewesen. Die medienwirksame Verhaftung des damaligen Post-Chefs hatte 2008 für viel Kritik gesorgt. Damals sei es auch um die „Zurschaustellung eines Managers“ gegangen, so Schultz gegenüber dem Deutschlandfunk.
Darüber hinaus könne man sich fragen, wenn einzelne Medienvertreter vorab informiert werden, „ob das manchmal eine zu große Abhängigkeit und Nähe zu den jeweiligen Behörden mitbedingt, als eine Art des gegenseitigen Gebens und Nehmens“, gibt Schultz zu bedenken.
„Abwegig“ – findet Journalistik-Professor Tanjev Schultz
Gleichzeitig sei nicht zu erwarten, dass recherchierende Journalistinnen und Journalisten Informationen weitergeben, betont Schultz, der selbst als Journalist investigativ gearbeitet hat, etwa für die SZ im NSU-Prozess. „Da hätte ich mal größtes Vertrauen in den Quellenschutz und die Vertraulichkeitszusagen, die Journalisten geben.“ Und dass eine Razzia gefährdet sei, weil wenige, als seriös einzustufende Journalisten Informationen erhalten, halte er für „abwegig“.
Und wie gefährlich ist es, wenn journalistische Recherchen laufende Ermittlungen begleiten? Im Journalismus sei es immer wichtig, sich nicht abhängig von Behörden zu machen. Das hätten Fälle gezeigt, bei denen in die falsche Richtung ermittelt oder Fehler gemacht worden seien. Im aktuellen Fall der Großrazzia gehe es um eine Szene, so Schultz, über die ja schon in Teilen relativ viel recherchiert und berichtet worden sei. „Für mich wäre es ein Zeichen von geringer Medienqualität, wenn sämtliche Medien überrascht wären.“
Das bestätigt auch Katja Riedel, als Investigativ-Reporterin beim WDR an den aktuellen Recherchen zu „Reichsbürgern“ beteiligt. Sie habe schon vor vielen Monaten damit begonnen, zu diesem Netzwerk zu recherchieren, sagte Riedel im Deutschlandfunk. Dazu habe sie keine Informationen von Behörden benötigt.
Überhaupt spiele das Wort „Kooperation“ im Umgang mit Behörden für Investigativjournalistinnen wie sie keine Rolle, unterstreicht die Mitautorin des Buchs „Rechts unten“. Sie stelle Anfragen und erhalte darauf Antworten, mal vertraulich, mal für die Öffentlichkeit bestimmt. Medien sollten nicht mit Behörden kooperieren. Die journalistische Arbeit könnte aber Ermittlungen zur Folge haben.
Lange Zeit sei das allerdings nicht so gewesen, stellt Riedel fest. Beispielsweise habe sie sich nach ihren Recherchen zur AfD-Spendenaffäre gefragt: „Warum gab es eigentlich so wenige Ermittlungen?“ Es habe sehr lange gedauert, bis die Staatsanwaltschaft in dieser Sache „zugeschlagen“ habe. Recherchen wie die der taz zum rechten Netzwerk „Hannibal“ hätten „mit dazu beigetragen, Aufmerksamkeit auf dieses Feld zu lenken und auch viele Details offenzulegen“.
Dilemma: Medien werden Teil einer Inszenierung
Aber haben Medien nun nicht mitgeholfen, einen Ermittlungserfolg in den Vordergrund zu stellen? Auch das dürfe für ihre Arbeit keine Rolle spielen, findet die WDR-Journalistin. "Es darf keine Rolle spielen bei unserer Berichterstattung, wer davon einen Nutzen hat." Die Öffentlichkeit habe ein Recht, von so einem Netzwerk zu erfahren.
Das Medien mit ihrer Berichterstattung über eine Razzia auch Teil einer Inszenierung werden – für den Journalistik-Professor gibt es hier dieses Dilemma: „Medien wollen sich nicht zum Hebel der Behörden machen, aber ein Stück weit erfüllen sie am Ende doch diese Funktion.“ Im aktuellen Fall handle es sich objektiv um einen erheblichen Sachverhalt. „Daran kommt man nicht vorbei.“
Gleichzeitig wirke es auch so, als gäbe es ein behördliches und politisch motiviertes Interesse, das entsprechend zu inszenieren. „Medien können eigentlich nur durch kritisches Mitrecherchieren deutlich machen, dass sie sich nicht direkt gemeinmachen“, so Schultz.