Samstagnachmittag in der Fußball-Bundesliga. RB Leipzig spielt zuhause gegen den Hamburger SV. Da trifft Retorte auf Tradition in Reinform. Sagen die einen. Für andere spielt da mit dem HSV ein Klub, der in den vergangenen Jahren sehr viel Geld sehr sinnlos verprasst hat. Unter anderem das viele schöne Geld seines milliardenschweren Gönners: des Unternehmers Klaus-Michael Kühne. Und mit Leipzig spielt da ein Klub, der mit seinen Brause-Hersteller-Millionen haushaltet. Der Unterschied: Leipzig gelingt es, das Unternehmer-Geld in Erfolg umzuwandeln.
Auch wenn der HSV den Ost-Club an diesem Samstag deutlich bezwingt: Die Leipziger zünden sportlich in ihrer ersten Erstligasaison und stehen mit attraktivem Fußball auf Platz 2. Der HSV dümpelt seit Jahren in der Abstiegszone. Trotzdem: Leipzig ist für viele das Sinnbild für Kommerzialisierung im Fußball schlechthin. Dabei ist der Klub nur die letzte Entwicklungs-Stufe dessen, was 1973 begann. Bei einem echten Traditionsverein. Bei Eintracht Braunschweig. Der erste Bundesligist, der mit Trikotwerbung auflief. Werbung für einen Likör, die der DFB zunächst verbot, was den Sponsor diebisch freute:
"Dadurch stand das ja in allen Zeitungen, alle berichteten über den Ärger."
Zunehmende Kommerzialisierung
Sponsor Günter Mast revolutionierte die Bundesliga. In den 70ern. Kurz nach der Jahrtausendwende trieb ein anderer Club die Kommerzialisierung vehement voran: Borussia Dortmund. Mit seinem Börsengang. Später durfte der fast in Konkurs gegangene Klub nur deshalb in der Bundesliga verbleiben, weil die Lizenzwächter der Deutschen Fußball Liga Gnade vor Recht ergehen ließen. Darüber schauen Fußball-Nostalgiker gerne hinweg. Schimpfen stattdessen auf die Fußball-Kapitalisten aus Leipzig. Auf einen Klub, der - ja - nur aus Marketing-Zwecken gegründet wurde.
"Für mich ist das kein richtiger Verein."
"Die machen den Profifußball kaputt."
Auseinandersetzungen mit Anhängern der Traditionsvereine wie Schalke 04, dem 1. FC Köln oder Borussia Dortmund waren beim Aufstieg der Leipziger in die Bundesliga zu befürchten. Die gab es ja auch schon auf dem Weg von der Oberliga bis ins Fußball-Oberhaus. Immer wieder sind Kritik und Missgunst gegenüber dem als Plastikklub verschrienen Verein in Hass umgeschlagen.
So etwa bei Fans des MSV Duisburg am letzten Zweitligaspieltag der vergangenen Saison: Beim Heimspiel gegen Leipzig hielten Duisburg-Anhänger hartnäckig ihre Schmähtransparente nach oben und bekamen vor lauter blindwütiger Abneigung überhaupt nicht mit, was ein neutraler Zuschauer hätte empfinden können: Dass nämlich die freundlichen und verspielten Leipziger, die schon als Bundesligaaufsteiger feststanden und wohl auch noch ein wenig feiertrunken waren, die Latte nur so hoch gelegt hatten, dass die tapferen Zebras gerade so eben drüber galoppieren und sich in die Relegation retten konnten.
Positive Einstellung und großes Selbstbewusstsein
Duisburg vergeigte anschließend die Relegation. Die Leipziger nahmen und nehmen die Anfeindungen meist sehr gelassen. Auch Trainer Ralf Hasenhüttl. Zum Beispiel nachdem der Mannschaftsbus bei der Anfahrt zum Auswärtsspiel in Leverkusen mit Farbbeuteln beworfen worden war:
"Einer hat aus zwei Metern daneben geworfen. Der soll vielleicht demnächst besser von der Seite kommen. Wir haben halt die Fähigkeit durch solche Aktionen diese negative Geschichte so ein bisschen in positive Energie umzumünzen."
Mit positiver Einstellung und großem Selbstbewusstsein hat Leipzig gleich im ersten Bundesligajahr die Szene durcheinander gewirbelt. Hat Dortmund abgelöst als Bayern-Jäger Nummer eins. Auch wenn das erst mal gar nicht der Plan war. Aber sie sind halt erfolgreich, die Leipziger. Mit ihrem Spiel. Mit diesem hohem Pressing und dem schnellen Abschluss. Eine Spielweise, bei der auch einige kritische Beobachter zugeben: Sie ist hoch attraktiv. Eine Spielweise, die in dieser Saison deutlich mehr Lob von neutralen Beobachtern abbekam, als das oftmals schlaff wirkende Spiel des Titelabonnenten FC Bayern.
Familienfreundlicher Fußball
Auch deshalb ist RB Leipzig in seiner eigenen Stadt so beliebt. Zu den Heimspielen ins einstige WM-Stadion kommen gut 40.000 Zuschauer. Und die bekommen Fußball der Marke: Familienfreundlich. Keine Pyros, kein Rumgepöbel, keine Randale. Ob Anstand eine Währung im Fußball ist? Sicher nicht für jeden Fan. Doch auch auf der Führungsebene bekommt RB - wenn es die Hand ausstreckt - gelegentlich den Rücken zugedreht. Die Dortmunder Klubführung zum Beispiel soll laut Medienberichten bei ihrem Gastspiel in Leipzig zu Beginn der Saison eine Einladung der Leipziger zum Essen ausgeschlagen haben. Das dürfte nach den Ausschreitungen beim Rückspiel in Dortmund wohl nicht mehr vorkommen, denn beide Klubs erklärten in Zukunft sachlicher mit einander umzugehen und mehr zu kommunizieren. Wie das gehen kann, zeigen die Leipziger Fans während des Spiels gegen den Hamburger SV. Dem ersten Spiel nach der Randale in Dortmund:
"Da singen sie zusammen gegen Gewalt, alles sehr friedlich, alles sehr stimmungsvoll."
Leipzig und seine Willkommenskultur. Ganz nach dem Geschmack von Sportdirektor Ralf Rangnick: "Es war ja auch ein Signal an den Rest von Deutschland, wie wir den Gegner begrüßen und so wünscht man sich das auch in jedem anderen Stadion."