Christiane Kaess: Der Satz "Der Islam gehört zu Deutschland" mag zwar von vielen kritisch gesehen worden sein, aber spektakulär war diese Aussage von deutschen Politikern längst nicht mehr. Schon Wolfgang Schäuble hatte das im Jahr 2006 gesagt, Christian Wulff als damaliger Bundespräsident wiederholte dann später den Satz, und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich dieser Meinung ein paar Jahre später angeschlossen.
Aber was für manche schon als ganz natürliche Gewissheit galt, sehen andere eben doch nicht so, und für deren Meinung steht jetzt der Satz von Horst Seehofer: "Der Islam gehört nicht zu Deutschland."
Kurz vor der Sendung habe ich mit dem Generalsekretär des Zentralrates der Muslime in Deutschland gesprochen, mit Abdassamad El Yazidi.
Ich habe ihn zuerst gefragt, was Seehofers Satz, der Islam gehört nicht zu Deutschland, für ihn bedeutet.
Abdassamad El Yazidi: Er bedeutet für mich, dass wieder eine neue Scheindebatte angetreten wird. Diese Thematik wurde schon längst geklärt. Der Islam ist längst Teil der Gegenwart, der Vergangenheit und der Zukunft Deutschlands.
Da brauchen wir nicht mehr drüber zu diskutieren. Ich vermute auch, dass hier parteipolitische beziehungsweise Wahlkampfgründe im Hintergrund stehen, dass so eine Debatte wieder losgetreten wird.
Kaess: Jetzt sagen Sie, das ist eine Scheindebatte. Aber rein sachlich hat Horst Seehofer ja recht, wenn er sagt, Deutschland ist durch das Christentum geprägt.
El Yazidi: Ja, diesen Teil unterstreiche ich. Aber sowohl das Judentum als auch der Islam sind inzwischen ein Teil Deutschlands geworden.
"Wir kommen nicht weiter mit solchen Debatten"
Kaess: Aber wenn Sie sagen, das ist eine Scheindebatte, dann muss Sie daran irgendwas stören. Und wenn Herr Seehofer sagt, die in Deutschland lebenden Muslime, die gehören ganz selbstverständlich zu Deutschland, warum reicht Ihnen das dann nicht?
El Yazidi: Ich verstehe nicht, wie er das festmachen will, dass er die muslimischen Bürger als Teil Deutschlands verstehen will, aber einen wesentlichen Teil ihrer Identität, nämlich ihre Religion ausschließen will. Wie das funktionieren soll, das muss mir der Herr Seehofer erklären. Ich habe das nicht verstanden.
Kaess: Was glauben Sie denn, was ihn dazu bringen könnte, das so auseinanderzudividieren?
El Yazidi: Ich glaube, wie schon anfangs gesagt, dass hier parteipolitische beziehungsweise Wahlkampfgründe oft verschiedene Parteien dazu zwingen oder dazu bewegen, dass sie AfD-Rhetorik wiederholen. Wir haben heute auch schon festgestellt, dass die AfD ihren Anspruch auf diesen Satz erhoben hat und unseren Innenminister des Ideenklaus beziehungsweise des Rhetorikklaus bezichtigt hat. Wir kommen nicht weiter mit solchen Debatten.
Wir müssen uns auseinandersetzen mit den Problemen, die wir hier in Deutschland haben. Wir haben aktuell eine zentrale Veranstaltung zu den internationalen Wochen gegen Rassismus. Der Rassismus in unserer Gesellschaft nimmt zu. Man versucht, die verschiedensten Gruppen unserer Gesellschaft auseinanderzudividieren. Es brennen Moschee-Gemeinden, es werden muslimische Funktionäre beleidigt, angegriffen. Ich glaube, das sind die Themen, die wir in erster Linie diskutieren sollten, und zwar gesamtgesellschaftlich.
"Die Muslime leben nicht neben der Mehrheitsgesellschaft"
Kaess: Ich möchte noch mal zurück auf die zentrale Botschaft, um die es Horst Seehofer geht. Zumindest stellt er das so dar. Er sagt, Muslime müssen mit uns leben und nicht neben oder gegen uns. Jetzt werden wahrscheinlich tatsächlich viele sagen, das ist richtig, denn Seehofer geht davon aus, dass es Muslime gibt, die gegen die Mehrheitsgesellschaft der Nichtmuslime leben.
An der Stelle möchte ich auch erwähnen, dass auch Sie schon mal vom Verfassungsschutz in die Nähe zur Muslimbruderschaft gerückt worden sind, und die gilt als islamistisch. Das verunsichert viele Nichtmuslime und das schürt auch Ängste.
El Yazidi: Das ist genau der Punkt, den die Spalter und Hetzer hier erreichen wollen. Man will den Islam …
Kaess: Aber wieso Spalter und Hetzer, wenn Herr Seehofer da Ängste anspricht, die es ja offensichtlich in unserer Gesellschaft gibt?
El Yazidi: Spalter und Hetzer versuchen, hier wirklich die Muslime, die hier in Deutschland angekommen sind, diejenigen, die sich auch öffentlich zu unserer freiheitlichen Grundordnung bekennen, zu diskreditieren und in eine Schmuddelecke zu schieben.
Kaess: Aber Herr Seehofer würde wahrscheinlich …
El Yazidi: Ich weiß, was der Herr Seehofer sagen würde, aber solche Scheindebatten, die bekräftigen diese Kräfte auch noch. Die Muslime leben nicht neben der Mehrheitsgesellschaft; sie sind Teil der Mehrheitsgesellschaft. Die erste Generation der Muslime, die sogenannten Gastarbeiter haben mit dazu beigetragen, dass Deutschland so floriert und dass es Deutschland so gut geht.
Die haben in den Fabriken sich für ihr Land Deutschland eingesetzt und Großartiges geleistet. Sie jetzt nach 30, 40 Jahren in eine schlechte Ecke zu rücken, ist einfach nicht fair!
"Deutschland 2018 ist ein Deutschland, was geprägt ist von Fremdenhass"
Kaess: Aber das würde Herr Seehofer wahrscheinlich auch nicht bestreiten, und es hat ja auch keiner bestritten, dass der Großteil der Muslime, die hier leben, gut integriert ist, so wie Sie das gerade beschrieben haben. Aber es gibt auch die anderen und das schürt Ängste. Das wissen wir spätestens seit dem Aufstieg der AfD.
El Yazidi: Genau das ist der Punkt. Wir haben Extremisten in unserer Gesellschaft, sowohl von der rechten Seite als auch religiösen Extremismus, und deswegen müssen wir die Mitte stärken. Die Mitte sind, was jetzt den Islam angeht, diejenigen, die sich klar positioniert haben für unser Land, die sich einsetzen und die auch keine zweite Heimat haben, außer ihrer Heimat Deutschland, und das auch bei jeder Möglichkeit bekunden.
Die sollten in den Vordergrund gestellt werden und die sollten geschützt werden. Ich habe bei dem Statement von Herrn Seehofer vermisst, dass er auch nur mit einem Satz auf die Angriffe gegen muslimische Einrichtungen, gegen unsere Gotteshäuser irgendwas gesagt hat. Er als Innenminister ist verantwortlich für den Schutz der Muslime in Deutschland, der friedlich lebenden Muslime, und das ist die absolute Mehrheit.
Kaess: Herr El Yazidi, es ist schon oft der Ruf stark geworden oder laut geworden an genau diese gemäßigten, gut integrierten, die Mitte, wie Sie gesagt haben, dass die sich stärker positionieren gegen die Extremisten.
Jetzt hat Horst Seehofer auch ganz klar gesagt, er will die Islam-Konferenz beibehalten, will da über Integrationsprobleme der Muslime diskutieren, will sich mit Ihnen an einen Tisch setzen. Würden Sie denn dem neuen Innenminister zumindest zugutehalten, dass er um die Integration bemüht ist?
El Yazidi: Das halte ich ihm zugute, dass der Dialog weitergeführt wird. Das muss auch weitergeführt werden. Wir müssen darüber sprechen, was verbessert werden kann in unserem gesellschaftlichen Umgang mit Minderheiten. Wir müssen aber auch insbesondere sprechen über den Schutz von religiösen Einrichtungen, ob diese jüdische, christliche, muslimische oder auch sonstige Religionen angehören.
Das sind Themen, die uns beschäftigen werden, und darauf sollten wir uns konzentrieren und da müssen wir partnerschaftlich arbeiten. Wir als Zentralrat der Muslime sind dazu bereit und waren es auch immer, und wir möchten schon betonen, dass Deutschland 2018 ist ein Deutschland, was geprägt ist von Fremdenhass, von Fremdenfeindlichkeit, von verbalen, aber auch körperlichen Angriffen gegen Muslime, und das muss definitiv ein Thema werden, auch in der Islam-Konferenz.
"Mehr als 2.000 Moscheen sind alleine in den KRM-Verbänden organisiert"
Kaess: Das Problem bei der Integration von Muslimen für den Staat ist ja auch, dass in diesem Forum der Islam-Konferenz nur ein kleiner Teil der Muslime vertreten ist. Wie soll denn der Staat in den Dialog mit dem Rest der Muslime, die hier leben, gehen, wenn auf der anderen Seite gar kein Ansprechpartner da ist? Und lassen Sie mich noch hinzufügen: Die liberalen Muslime, die fehlen in der Islam-Konferenz, und von dort heißt es, das ist wegen der Dominanz der konservativen Verbände.
El Yazidi: Diese Beschreibung von Liberal und Konservativ, das ist von Seite zu Seite unterschiedlich. Wir werden von vielen Stellen als die liberalen Muslime betrachtet.
Kaess: Das würde man von anderer Seite anders sehen.
El Yazidi: Von anderen Stellen werden wir dagegen als konservativ angesehen. Von daher ist das immer nur ein Screenshot, ein Augenblick, eine Sichtweise des Betrachters. Ich bin der Meinung, dass in der Deutschen Islam-Konferenz mit zehn unterschiedlichen Religionsgemeinschaften die Muslime sehr gut repräsentiert sind. Wir haben in Deutschland zirka 2.600 Moscheen. Mehr als 2.000 Moscheen sind alleine in den KRM-Verbänden organisiert. Ich weiß nicht, wo sonst noch eine so große Repräsentation der Muslime geschaffen werden kann, wenn nicht durch solche Verbände.
"Meine Bundeskanzlerin ist Dr. Angela Merkel"
Kaess: Zum Schluss noch, Herr El Yazidi. Ich nehme mal an oder unterstelle ich jetzt mal, Sie hätten wahrscheinlich viel lieber den Satz von Horst Seehofer gehört, der Islam gehört zu Deutschland.
Aber wie weit kann diese Integration und eine Aussage wie diese gehen, wenn wir anders herum feststellen, dass wahrscheinlich kein Staats- oder Regierungschef eines muslimisch geprägten Landes wie zum Beispiel die Türkei sagen würde, das Christentum gehört zur Türkei?
El Yazidi: Ich hätte am liebsten weder den einen, noch den anderen Satz von Herrn Seehofer gehört, sondern das Ganze als selbstverständlich erachtet.
Kaess: Und das würden Sie sich auch von anderen Staats- und Regierungschefs von muslimisch geprägten Ländern wünschen?
El Yazidi: Meine Bundeskanzlerin ist Dr. Angela Merkel und ich als deutscher Muslim bin in erster Linie darauf bedacht, dass das, was meine Staatsvertreter sagen, dass das Hand und Fuß hat. In der Welt gibt es sehr viel Unrecht und sehr vieles, was nicht gut tut, aber dafür fühle ich mich nicht in erster Linie verantwortlich.
Kaess: … sagt der Generalsekretär des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Abdassamad El Yazidi.
Kaess:
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