Christine Heuer: Es klingt wie eine Räuberpistole und kann eine internationale Krise heraufbeschwören, sagen Beobachter. Saudische Agenten sollen im Konsulat ihres Landes in der Türkei einen regierungskritischen saudischen Journalisten ermordet haben. Der zuletzt im US-Exil lebende Jamal Khashoggi war vor anderthalb Wochen in das Konsulat gegangen, um Papiere für seine bevorstehende Hochzeit abzuholen. Danach wurde er nicht mehr gesehen. Die Türkei hat angeblich Beweise dafür, dass Khashoggi in dem Gebäude ermordet und in Stücke zerteilt wurde. Saudi-Arabien bestreitet das. Geplant sind nun gemeinsame Ermittlungen beider Staaten, und wir sprechen über den Fall mit Guido Steinberg, Nahost-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik. Wie plausibel finden Sie diese Mordgeschichte?
Guido Steinberg: Nach allem, was bisher bekannt geworden ist, müssen wir davon ausgehen, dass Herr Khashoggi zumindest verschwunden ist, möglicherweise ermordet worden ist, und dass die saudi-arabische Regierung dafür verantwortlich ist. Das Problem an der Beweislage ist ganz einfach, dass ganz vieles, was wir in den letzten Tagen erfahren haben, von türkischen Regierungsstellen durchgestochen wurde, also nicht wirklich beweiskräftig ist. Und deswegen bleibt so ein letzter Rest an Unsicherheit, was man ja auch an den vielen Reaktionen, an den vielen vorsichtigen Reaktionen zu diesen Ereignissen spürt. Und ein Problem ist natürlich auch, dass die türkische Regierung in solchen Fragen, nachrichtendienstlichen Fragen, polizeilichen Fragen nicht wirklich verlässlich ist.
"Erdogan äußert sich sehr vorsichtig"
Heuer: Angeblich gibt es ja Videos, zumindest aber Tonmitschnitte von den Geschehnissen im Konsulat. Wieso legt die Türkei solche Beweise, wenn sie sie denn hat, nicht offen?
Steinberg: Da gibt es zwei Erklärungsmöglichkeiten. Zunächst einmal ist es natürlich problematisch, die eigenen geheimdienstlichen Methoden aufzuzeigen. Ich halte es schon für höchst problematisch, dass, wenn das denn überhaupt stimmt, diese Informationen über Tonmitschnitte aus dem saudischen Konsulat an die Öffentlichkeit gelangen, oder auch, dass Tonmitschnitte etwa von Gesprächen, die abgefangen wurden außerhalb des Konsulats, veröffentlicht werden. Ich denke aber, dass der wahre Grund politischer Natur ist. Die türkische Regierung möchte ganz offensichtlich keine große diplomatische Krise mit Saudi-Arabien, und deswegen sehen wir, dass der Präsident Erdogan sich ja sehr vorsichtig äußert, sehr häufig in Frageform, dass aber seine Beamten gleichzeitig Informationen, bei denen wir nicht wissen, ob sie zutreffen, an die Presse weitergeben.
Mord aus Paranoia
Heuer: Wenn wir noch mal auf den Fall schauen, Herr Steinberg – Mord, Zerstückelung der Leiche, Abtransport in Koffern oder schwarzen Boxen –, wovon da alles die Rede ist, das klingt wie ein schlechter Film. Warum sollte Saudi-Arabien so etwas riskieren, mit einer immerhin möglichen Zeugenschaft der türkischen Behörden?
Steinberg: Paranoia der Diktatoren. Wir können das immer wieder erleben, dass Gewaltherrscher große Furcht selbst vor den harmlosesten Oppositionellen empfinden. Und der Herr Khashoggi war nun noch nicht mal ein richtiger Oppositioneller. Aber er war jemand, der im Sommer 2017 das Land verlassen hat, weil er Angst hatte vor einer Verhaftung. Er ist ein liberaler Journalist, der sich schon einmal kritisch über die Regierung geäußert hat, sehr häufig kritisch, ab September 2017 noch offener kritisch. Aber er war aus meiner Sicht kein wirklicher Oppositioneller. Aus Sicht der saudi-arabischen Regierung war er so gefährlich, weil er einmal eine große Strahlkraft hatte in liberalen Kreisen in Saudi-Arabien. Er war, man könnte sagen, so eine Art Stefan Aust des saudi-arabischen Journalismus. Also ein sehr prominenter Mann, der noch dazu sehr gute Beziehungen hatte zur Muslimbruderschaft weltweit, weil er der Muslimbruderschaft früher wahrscheinlich angehört hat, zumindest aber sehr nahe stand. Und er hatte auch noch sehr gute Beziehungen zu führenden Prinzen in der Herrscherfamilie, die seit letztem Jahr unter Druck geraten sind. Dazu gehört zum Beispiel der große Investor Al-Walid bin Tallal, der im Rahmen dieser Antikorruptionskampagne der saudi-arabischen Regierung letztes Jahr längere Zeit inhaftiert wurde und dem Geld abgenommen wurde.
"Saudi-Arabien hat sich geschadet"
Heuer: Also ein gefährlicher Mann aus Sicht Riads. Nun gehen, nachdem die Gerüchte oder eben die Geschichten verbreitet werden über die mögliche Ermordung von Khashoggi, gehen Regierungen auf Distanz zu Saudi-Arabien. Manche Wirtschaftsunternehmen tun das auch. Hat sich Saudi-Arabien schwer geschadet mit dieser Geschichte?
Steinberg: Ja, ich denke schon. Saudi-Arabien hat sich geschadet. Der Kronprinz Mohammed bin-Salman, der für die saudi-arabische Politik der letzten Jahre verantwortlich ist, der hat sich sehr bemüht, das Bild eines reformorientierten Saudi-Arabiens zu schaffen. Er hatte ein großes Wirtschaftsprogramm aufgelegt, das sich "Vision 2030" nennt, und einer der Kernpunkte dieses Programms ist die Förderung der Privatwirtschaft. Wenn aber saudi-arabische Investoren aus dem Land abziehen, ihr Geld ins Ausland schaffen, wenn ausländische Investoren schwerer zu gewinnen sind, und das ist eine Folge jetzt, eine direkte Folge dieser Ereignisse, dann schadet das diesem Reformprogramm. Das schadet dem Bild Saudi-Arabiens in der Welt. Aber offensichtlich ist es dem Kronprinzen wichtiger, jegliche Opposition auszuschalten und auch potenzielle zukünftige Opposition einzuschüchtern durch die Ereignisse in Istanbul.
Heuer: Also sozusagen eine Güterabwägung.
Steinberg: Ja, ich denke schon. Dazu gehört allerdings auch, zur Interpretation gehört allerdings auch das Verhältnis Mohammed bin-Salmans zur US-Regierung. Er hat ganz hervorragende Beziehungen zur Trump-Administration, insbesondere zum Schwiegersohn von Donald Trump, Kushner. Und er scheint den Eindruck zu haben, dass er selbst mit solchen Aktionen wie in Istanbul davonkommen kann. Und die Reaktionen aus Washington lassen darauf schließen, dass zumindest der Präsident und seine Umgebung bereit sind, den Saudis auch eine solche Entführung oder gegebenenfalls sogar einen Mord durchgehen zu lassen. Es ist der Kongress, der auf Aufklärung und auf weitere Maßnahmen drängt.
"Westliche Staaten müssen reagieren, wenn sich Vorwürfe bestätigen"
Heuer: Das ist richtig. Donald Trump hat ja angekündigt, dass er weiter Waffengeschäfte mit Saudi-Arabien machen möchte, weil das Arbeitsplätze bringt in den USA. Wir haben auch Reaktionen in Deutschland. Steffen Seibert, der Regierungssprecher, hat gesagt, er möchte ein Ende der deutschen Waffenexporte nach Saudi-Arabien nicht ins Auge fassen. Siemens plant weiterhin seine Teilnahme an einem Wirtschaftsgipfel in Saudi-Arabien Ende des Monats. Tja. Welches Signal sendet da Deutschland eigentlich aus, Herr Steinberg?
Steinberg: Deutschland sendet das Signal aus, das auch die Türkei und die USA aussenden. Saudi-Arabien ist all diesen Regierungen zu wichtig, gute Beziehungen zu Saudi-Arabien sind ihnen zu wichtig, als dass sie die Entführung oder den Mord in Istanbul da zum Anlass nehmen wollen, die Beziehungen zu schädigen.
Heuer: Das heißt aber, Herr Steinberg, Riad kann sich alles erlauben.
Steinberg: Genau. Darauf zählt Mohammed bin-Salman. Ich denke aber doch, dass, wenn sich die Vorwürfe bestätigen – ich gehe mittlerweile fast sicher davon aus, dass das der Fall sein wird, dann müssen westliche Staaten reagieren. Immerhin haben wir es hier mit einem Entführungsfall oder einem Mordfall in einem Konsulat in einem NATO-Land zu tun. Und ich sehe durchaus starke Parallelen zum Fall Sergej Skripal in Großbritannien. Und da war die Reaktion der meisten Staaten des westlichen Bündnisses, russische Diplomaten auszuweisen. Und das hielte ich hier auch in diesem Fall für die angemessene Reaktion, und zwar die angemessene Reaktion aller Bündnispartner. Das Problem ist nur, dass nicht einmal die Türkei eine solche Maßnahme will. Die Amerikaner wollen es anscheinend auch nicht, und die deutsche, die Bundesregierung schon mal gar nicht. Die haben ja gerade erst ihre Beziehungen zu Saudi-Arabien wieder halbwegs normalisiert.
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