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Rebecca Menzel: Jeans in der DDR. Vom tieferen Sinn einer Freizeithose.

Eine in Buchform veröffentlichte Magisterarbeit ist auch Gegenstand unserer letzten Rezension – und zugleich ein schönes Beispiel dafür, wie angenehm lesbar wissenschaftliche Arbeiten sein können. Schon vor Ostalgie-Shows und Zonenkinder-Literatur waren Editionen zur DDR-Alltagskultur auf dem Büchermarkt ein lukratives Geschäft. Ob Annette Kaminsky mit ihren Bänden zur sozialistischen Konsum- und Versandhauswelt, ob Simone Tippach Schneider mit ihrer Dokumentation zum DDR-Werbefernsehen oder die zahlreichen Bildbände zu DDR-Design und Produktgestaltung – das Angebot ist groß. Nur ein sehr zentrales Objekt der Begierde ostdeutscher-namentlich jugendlicher- Konsumenten blieb bislang außen vor: Die Jeans. Während die westdeutsche Nietenhosen-Front in den 50ern und 60ern zwischen Teenagern und Eltern verlief, war die Hose in der DDR zudem auch noch politisch vorbelastet: in den Augen der spießigen Funktionärskaste um Walter Ulbricht galt sie als westlich-dekadent. Die Ost-Jugend hatte also gleich an mehreren Fronten zu kämpfen – von den Beschaffungsproblemen einmal ganz abgesehen. Ein Großteil der deutsch-deutschen Privat-Zerwürfnisse ging damals vermutlich auf die Tatsache zurück, dass das West-Weihnachtspäckchen keine West-Jeans enthielt. In diesem Fall hatte die Oma in Helmstedt den Wunschzettel entweder nicht aufmerksam studiert oder der DDR-Zoll in Marienborn zugegriffen. Eigentlich also keine Thematik, die geeignet ist, verklärende Gefühle aufkommen lässt. Ob die erste DDR-Jeans-Biographie in die Hose gegangen ist, verrät Ihnen Wolf Dietrich Fruck.

Von Wolf Dietrich Fruck | 20.12.2004
    Wenn zu DDR – Zeiten das ersehnte West – Paket ankam, dann durfte ein Kleidungsstück im Paket nicht fehlen: Die "echte " Jeans. Und echt war damals nur eine Original LEVIS. Fünfzehn Jahre nach den letzten steuerlich absetzbaren Westpaketen erschien nur ein Buch, dass sich genau diesen Hosen und deren Folgeerscheinungen für die DDR widmet: Jeans in der DDR – Vom tieferen Sinn einer Freizeithose.

    Jeans - das waren in der DDR nicht nur Hosen – es war eine Weltanschauung, sie zu tragen. Nur leider nicht die staatlich erwünschte sozialistische Anschauung von der Welt, sondern die des Klassenfeindes, des ideologischen Gegners. So erhielt die "Nietenhose" in der offiziellen Diktion der 50er Jahren den Status der " Ami – Hose", getragen von Rowdies und anderen asozialen Elementen, pointiert ausgedrückt im Propaganda-Slogan, ihre Träger seien " Nieten in Nietenhosen". Im Kalten Krieg reichte es aus, sich mit einer Jeans in der Öffentlichkeit zu zeigen um sofort als " Feind" gebrandmarkt zu werden. Nicht zuletzt wurde bei den nach dem 17. Juni 1953 geführten Prozessen gegen die so genannten Rädelsführer immer wieder darauf verwiesen, dass diese sich in " Nietenhosen " und "Texashemden" kleideten, und somit eindeutig vom Klassenfeind gesteuert seien.

    Die Autorin des Buches "Jeans in der DDR - Vom tieferen Sinn einer Freizeithose" heißt Rebecca Menzel, ist Jahrgang 1975 und wuchs in West – Berlin auf, war also zu DDR-Zeiten nicht direkt mit dieser Problematik konfrontiert. Trotzdem ist es ihr gelungen, dieses Kapitel DDR-Alltagsgeschichte einfühlsam und sachkundig zu dokumentieren - auch indem sie Zeitzeugen berichten lässt. Das schafft eine zusätzliche Authentizität und gibt dem Leser die Möglichkeit neben dem theoretischen Exkurs auch das Lebensgefühl der Jugendlichen in der jeweiligen Zeit nachzuvollziehen. Zu den fünfziger Jahren etwa berichtet Horst Hertel, Jahrgang 1936:

    Jeans waren eine richtige Welle. Die kamen aus Amerika, dort waren die Cowboys und die hatten ja auch alle Levis oder Lee – Jeans an. Und die Cowboys haben wir im Film gesehen. Das mussten wir einfach haben… Nach und nach haben sich alle aus meiner Clique solche Klamotten beschafft und wir liefen durch die Straßen wie John Wayne persönlich.

    Krampfhaft suchte die staatlich gelenkte DDR-Textilindustrie Alternativen anzubieten: Für die Gestaltung einer Mode, die " frei ist von Einflüssen der amerikanischen Unkultur" wurde 1952 in der DDR das Institut für Bekleidungskultur geschaffen, ab 1957 hieß es " Deutsches Modeinstitut" Das Thema " Nietenhose" stand aber bis in die sechziger Jahre hinein nicht in den Jahresplänen des Instituts.
    Erst mit der beginnenden Liberalisierung nach dem Bau der Mauer, die echte West-Jeans noch unerreichbarer werden ließ, wurde jeansähnliche Bekleidung – verschämt als " Cottino" – Hose getarnt - im volkseigenen Handel angeboten. Doch schon mit dem so genannten " Kahlschlag- Plenum" im Dezember 1965 fiel man wieder in die bewährten Agitationsmuster zurück: Filme, in denen Jugendliche Nietenhosen trugen, gerieten auf den Index und das FDJ-Zentralorgan "Junge Welt" initiierte 1966 eine Umfrage unter dem Titel: Gibt es Modeerscheinungen, die du aus politischen Gründen ablehnst?" und druckte die gewünschten Antworten ab. So schrieb z. B. eine Leserin :

    Niethosen und Beatlesfrisuren lehne ich streng ab. Wir haben es nicht nötig, aus Westdeutschland und anderen kapitalistischen Ländern solche Modenarrheiten zu übernehmen.

    Falls diese Zuschrift überhaupt echt war, so stand diese Jugendfreundin mit ihrer Meinung ziemlich allein. Der Kult um Jeans und Beatmusik hatte die DDR längst erfasst. Der Musiker Bernd "Kuhle" Kühnert, Jahrgang 1954 erinnert sich :

    Für mich waren Jeans damals eine Weltanschauung. Alle die Jeans trugen waren ein bisschen anders und gehörten irgendwie nicht zum System. Und alle, die Musik gemacht haben und die ich damals verehrt habe, trugen ebenfalls Jeans.

    Anfang der siebziger Jahre hatte man endlich ein Einsehen mit den Nöten der Jeans – Fans. Das Tabu fiel, und Erich Honecker machte sich zum Amtsantritt 1971 unter andrem dadurch beliebt, dass er in den staatlichen Jugendmode – Geschäften Levis und Wrangler - Jeans verkaufen ließ – und das zum staatlich gestützten Preis von 50.- Mark der DDR. Die Schlangen waren dementsprechend lang, aber endlich hatten auch viele ohne West-Verwandtschaft und Intershop-Zutritt erstmals die Möglichkeit, mit den geliebten blauen Hosen ins lauwarme Wasser zu steigen und sie für die ideale Passform am Körper trocknen zu lassen.

    Nicht hoch genug ist zu dieser Zeit der Einfluss des Theaterstückes " Die neuen Leider des jungen W." von Ulrich Plenzdorf einzuschätzen. Dieses Anfang der siebziger Jahre zur Theatersensation in der DDR aufgestiegene Stück ließ seinen Helden sagen:

    Jeans sind die edelsten Hosen der Welt. Dafür verzichtet ich doch auf die ganzen synthetischen Lappen aus der JUMO, die ewig tiffig aussehen… Ich meine natürlich echte Jeans. Es gibt ja auch einen Haufen Plunder der bloß so tut wie echte Jeans … Es gibt überhaupt nur eine Sorte echte Jeans. Wer echter Jeansträger ist, weiß, welche ich meine."

    Musik: Jahrgang 49 - Lewishosen

    Nicht nur, dass in den Siebzigern die Singegruppe "Jahrgang '49" die Knappheit an West-Jeans augenzwinkernd dialektisch deuten durfte - wie so oft machte man nun in der DDR aus der Not eine Tugend und beschloss, eine gewaltige eigene Jeanproduktion aufzubauen.
    Schalck – Golodkowski stellte D-Mark bereit und die DDR importierte Produktionsanlagen aus dem Westen. In tapferem sozialistischen Wettbewerb kreierte man in Rostock, Templin, Lößnitz, Güstrow und anderswo Jeans der Marken Boxer, Goldfuchs, Shanty und Wisent. Aber wieder war es den Käufern nicht recht zu machen. Mario Mendelsohn, Jahrgang 1964:

    Der Klassentölpel trug Boxer – Jeans, aber wer wollte schon der Klassentölpel sein. Boxer – Jeans hatten die falsche Farbe, den falschen Stoff und den falschen Schnitt und sahen völlig uncool aus.

    Und der Journalist Alexander Osang, Jahrgang 1962, resümierte 1994:

    Ost - Jeans blieben Ost – Jeans und ihre Besitzer seltsame Außenseiter. Man konnte Osthemden, –schuhe und –jacketts tragen, doch als Ost – Jeans Träger war man bei allem Respekt immer ein bisschen diskriminiert.

    Am Beispiel der Jeansproduktion zeigt sich das ganze Dilemma der sozialistischen Planwirtschaft, angefangen von der Verpflichtung, Baumwolle zu überhöhten Preisen aus der Sowjetunion zu importieren bis hin zu den langwierigen Abstimmungsprozessen zwischen Hersteller und Handel. Wenn die neue Produktion in die Läden kam, hatte sich der angesagte Schnitt der Hosen geändert oder es wurden plötzlich Stone-washed-Jeans verlangt, für die man erst wieder teure Anlagen im Westen hätte kaufen müssen.
    In den achtziger Jahren, als zunehmend alle Illusionen schwanden und allgemeine Lethargie das Land beherrschte, verlor auch die Jeans an Bedeutung. Sie war nun nicht mehr als ein modisches Kleidungsstück, praktisch, bequem und wurde inzwischen auch von den älteren Berufsjugendlichen im FDJ – Zentralrat zum Blauhemd getragen.

    Rebecca Menzels Buch ist chronologisch aufgebaut – von den 50 Jahren bis zum Ende der DDR, und damit auch ihrer Jeansproduktion. Unterbrochen werden die einzelnen Kapitel jeweils durch Interviews und Betrachtungen ehemaliger DDR – Bürger, wobei diese Statements sowohl von Prominenten wie Dieter Birr , Klaus Renft, Chris Doerk oder Ulrich Plenzdorf, als auch von ganz normalen Jeanskäufern und -trägern stammen. Dies unterbricht zwar immer wieder den Lesefluss, gibt aber ein sehr authentisches Bild von den damaligen Befindlichkeiten.
    Ärgerlich allerdings: dem Lektor fiel nicht auf, dass die angegebenen Geburtsjahre der Protagonisten mitunter nicht mit den dann folgenden Aussagen übereinstimmen können. Da irrt man dann schon mal um ein oder auch um zehn Jahre.

    Was das Buch neben den Zeitzeugenerinnerungen spannend macht, sind die kleinen, weitgehend unbekannten Geschichten wie z.B. die angedrohte Klage der Firma Levi Strauss gegen das Jeanswerk in Templin, als man sich 1980 über das offensichtliche Plagiat der Wisent–Jeans beschwerte. Oder die Tatsache, dass Levi Strauss 1989 als Hauptsponsor eines DDR–Rockkonzerts in Erinnerung an das Woodstock Festival bereits von Erich Honecker abgesegnet war.

    Ein umfangreiches Literaturverzeichnis gibt zudem all jenen Hinweise, die mehr über Jugend, Musik und Mode in der DDR erfahren möchten. So ist ein amüsantes und informatives Buch entstanden, eine Hommage an die Jeans und an die jungen Leute in der DDR, die sich tapfer in die Internationale des Jeansträger einreihten und ihre geliebten Hosen mutig verteidigten.

    Wolf Dietrich Fruck über Rebecca Menzel: Jeans in der DDR. Vom tieferen Sinn einer Freizeithose. Das im Berliner Christoph Links Verlag erschienene Buch umfasst 198 Seiten und kostet 14 Euro und 90 Cent. Soviel für heute in unserer Sendung "Politische Literatur".