Ein Einkaufszentrum am Rande von Prag. Im ersten Stock sitzt Sabina Slonkova in einem Café, mitten im Trubel. Hier in der Anonymität trifft sie sich oft mit Informanten. Sie ist in Tschechien eine der renommiertesten Enthüllungsjournalistinnen.
"Inseln von freiem Journalismus gibt es sehr wenige. Wir sehen den riesigen Druck der tschechischen Politik auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die großen Verlagshäuser sind im Besitz von Milliardären. Da bleiben also nur unabhängige Medien, für die man arbeiten kann."
Slonkova arbeitete für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk und eine ganze Reihe von privaten Medienhäusern.
Investigativer Journalismus liegt brach
"In den 1990ern hörten die Journalisten auf, die in das alte Regime verwickelt waren. Wir Jungen kamen sehr früh an große Themen heran: Skandale bei der Privatisierung, Skandale von Politikern. Da gab es kein Tabu, weil man mit manchen Recherchen jemanden gegen sich aufbringen könnte. Ganz im Gegenteil: Man beschrieb die Realität, wie sie war."
Heute denken viele in Tschechien wehmütig an diese Zeit zurück. Denn gerade die investigative Recherche steckt in einer Krise: Öffentlich-rechtliche Sender stehen ohnehin im Visier einiger Politiker und fürchten, dass sie sich mit Enthüllungsgeschichten angreifbarer machen würden. Und vor allem: Fast alle Printmedien haben in den vergangenen Jahren ihren Besitzer gewechselt. Klassische Verlagshäuser, häufig aus Deutschland, stiegen aus.
Die Anteile übernahmen meistens tschechische Großunternehmer – so wie Andrej Babis, Milliardär und derzeit Premierminister. Kurz bevor der Populist in die Politik einstieg, kaufte er die Zeitung Mlada Fronta Dnes und einige weitere Titel. Die redaktionelle Ausrichtung habe sich sehr schnell geändert, urteilt Erik Tabery, Chefredakteur des Wochenmagazins Respekt, das als eine der letzten Bastionen des tschechischen Enthüllungsjournalismus gilt.
"Mlada Fronta war immer einer der wichtigsten investigativen Titel des Landes. Aber seit Andrej Babis die Zeitung übernommen hat, tendiert das gegen Null, die investigative Arbeit ist dort quasi komplett verschwunden."
Journalistin gründet eigenes Nachrichtenportal
Oder, so drücken es andere aus: Wer defizitäre Printmedien kauft, will entweder etwas für den Meinungspluralismus tun – oder verfolgt ureigene Interessen. Auch Sabina Slonkova, die Investigativ-Reporterin, arbeitete für Mlada Fronta Dnes. Sie stieg als Chefredakteurin ein, kurz nachdem Milliardär Andrej Babis die Zeitung übernommen hatte. Er habe ihr versprochen, sich nicht in die Inhalte einzumischen, sagt sie rückblickend – aber nach einem halben Jahr gab sie den Posten auf; sie habe eben doch nicht frei agieren können.
Nach dieser Erfahrung gründete sie 2015 ihr eigenes Nachrichtenportal, es heißt neovlivni.cz – frei übersetzt so viel wie "unbeeinflusst". Sie finanziert es über eine Art Guerilla-Taktik, um die großen Verlagshäuser zu umgehen.
"Inzwischen gibt es eine Stiftung zur Förderung von unabhängigem Journalismus, es gibt eine Anti-Korruptions-Stiftung, die uns für ein konkretes Projekt unterstützt. Das zeigt, dass man Sponsoren finden kann – es sind weniger, als man sich so vorstellt, aber es gibt Förderer, die Interesse an journalistischer Unabhängigkeit haben."
Guter Journalismus auch ohne Verlag im Rücken
Einige der profiliertesten Investigativ-Reporter des Landes arbeiten inzwischen bei Medien, die Journalisten neu gegründet haben. Neben Slonkovas Portal gibt es etwa das Monats-Magazin Reporter oder auch die Zeitung Echo24. Was sie alle verbindet, ist die vergleichsweise kleine Auflage – und die Überzeugung, dass sie trotzdem etwas bewegen können. Sabina Slonkova verweist darauf, dass eine ihrer Recherchen schon in den ersten Wochen zum Rücktritt einer hochrangigen Politikerin geführt habe, die sie der Vorteilsannahme überführt hatte:
"Mir zeigt das: Man hat auch Möglichkeiten, wenn man keinen Verlag hinter sich hat. Es dauert ein bisschen länger als bei einer Zeitung mit großer Auflage, aber relevante Nachrichten finden ihren Weg in die Öffentlichkeit."
Und das scheint in Tschechien wichtiger geworden zu sein denn je.